Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

58 „Ja, das kaun ich!" rief Cingakya funkelnden Blickes aus. „Du, Aranka, warst immer gut gegen die arme Cingalya, hast mir anch keinen Grund zur Eifersucht gegeben, nun sollst du sehen, daß ein Zigeunerkind auch dankbar sein kann. Ich schwöre dir, dein Ferencz soll gerettet werden." So schnell sie nur laufen konnte, lief sie in das Lager der Ihrigen, das sie nach Ablauf von etwa zwei Stunden erreicht hatte. „Auf!" rief sie den Männern zu. „Es gibt Arbeit! Ferencz Nyulassy soll hingerichtet werden und das darf nicht geschehen. Er ist unschuldig. Graf Achmiliu hat den Geza Achvala erschossen " Verwundert blickten sich die Männer gegenseitig an. „Kannst du das auch beweisen?" „Ja." „Aber wie —?" „Fragt nicht jetzt darnach, jetzt ist keine Zeit, um Euch Antwort zu stehe«. Thut was ich Euch heiße. Etwa hundert Mann sollen sofort aufbrechen, das Schloß des Grasen Achmilin umzingeln und diesen gefangen halten, bis ich komme. Hütet Euch, deu Grafen entfliehen zu lassen! Ferner treibt so viel Leute auf, als Ihr könnt und kommt übermorgen auf den, Hinrichtnngsplatz. Bleibt mein Bemühen umsonst, so muß Fereucz Nyulassy mit Gewalt gerettet werden Wollt Ihr so thun, wie ich Ench heiße?" Als Antwort langten die Männer mit Geräusch nach ihren Waffen und machten sich zum Aufbruch bereit. „Ich muß jetzt nach der Kreisstadt." sagte Cingalya. „Ich rathe Ench, laßt den Grafen nicht entfliehen. Bewacht ihn gut. Vielleicht seht Ihr mich erst über- morgen wieder, bis dahin dürft Ihr den Grafen nicht aus den Augen lassen/" Sie bestieg einen kleinen Wagen und in Begleitung eines ihrer Verwandten fuhr sie in der Richtung der etwa vier Stunden entfernt gelegenen Kreisstadt. Was sie vor hatte, wußte keiner im Lager der Zigeuner. Man that, was sie befohlen, allein Stunde nm Stunde verstrich und Ciugalya wollte sich nicht sehen lassen. Der Tag, an welchem FerenczNyulassy hingerichtetwerdensollte, brach an und Cingalya war noch immer nicht erschienen. Der große Marktplatz in der Kreisstadt Nagy-Föderöß, auf welchem die Hinrichtung des Ferencz Nyulassy statt- sinden sollte, war mit Neugierigen förmlich Kopf an Kopf gedrängt. Um die sechste Morgenstunde sollte die Execution stattfinden. Nun fehlte nur noch eine halbe Stunde bis dahin. Unter den vielen Hunderten von Menschen, die den Marktplatz füllten, sah man eine Unzahl Zigeuner, sehr viele Csikos und andere Leute mehr, die den größten Theil des Jahres auf der Pußta zubrachten. Plötzlich ließ sich das Armesünder- glöckleinvernehmen.Unter ohrbetäubendem Lärmen drängten die Leute mit einem Ungestüm nach vorwärts, daß das ansgerückte Militär alle Mühe hatte, den Platz vor der Richtstätte und den Weg, der zu dieser führte, frei zu halten. Und wie groß der Lärm auf dem Marktplatze noch eben jetzt war, so tief war die Stille, als man des Delignenten ansichtig wurde. Die Nichtstätte war erreicht. Ferencz verließ den Karren, das Urtheil wurde ihm noch einmal vorgelesen, der Stab wurde über ihn gebrochen und dann wurde er dem Heuler übergeben, damit dieser das Todesurtheil vollstrecke. Viele Frauen schluchzten laut auf, Männer schimpften über Ungerechtigkeit, eine ungeheure Bewegung entstand unter der Menschenmenge, als Ferencz die Stufen betrat, die zu dem Galgen führten. Einen Angenblick schien es, als müßte das spalierbildende Militär von der schreienden, drängenden und stoßenden Menschenmenge erdrückt werden. Das Spalier in der numittelbarsten Nähe der Richtstätte war auch schon von einer Schaar wilder verwegener Männer, dem Anscheine nach Zigenner,. bereits durchbrochen, als ein Ereignis; eintrat, das die ganze Situation mit einem Schlage total veränderte. Die Männer, die jetzt noch voll Haß und Wnth das Schaffot stürmen und den Delinquenten befreie» wollten, blieben plötzlich stehen und jauchzten himmelhoch aus, Frauen weinten vor Freude und diejenigen, die eben erst über Ungerechtigkeit schimpften, schwenkten die Mützen und priesen jubelnd die Gerechtigkeit der Richter. „Pardon! Pardon!" drang es wie 59 ein Jubelgeschrei aus tauseuden Kehleu, indeß Aller Augen einen Reiter ver- solgten, der, ein weißes Tuch, das Zeichen der Gnade und Freiheit schwenkend, mit verhängten Zügeln dahergesprengt kam. „Die Freiheit unter dem Galgen!" Ferencz Nyulassy hatte bereits die Schlinge um den Hals, als ihm angezeigt wurde, daß ihm nicht nur das Leben geschenkt, sondern er auch der Freiheit wiedergegeben sei.

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