Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

56 Ja, das war eine Frage, die keiner von ihnen genau beantworten konnte. Den Ferenez Nyulassy hielten Alle für unschuldig, sie konnten sich nicht verhehlen, daß die Lage des Verhafteten eine äußerst gefährliche war und zwar dadurch, weil der sehr einflußreiche Graf Achmilin den Ferencz mit aller Bestimmtheit als den Mörder des Achvala bezeichnet. Blieb er in Haft, so war seine Verurtheilung vorauszusehen. Um den Verhafteten zu retten, faßten sie nach längerer Berathschlagung den Entschluß, ihrem Kameraden am nächsten Tage bei Gelegenheit seiner Ueberführung in das Comitatsgefängniß zur Flucht zu verhelfen. Dieser Plan wurde denn auch mit aller Vorsicht ins Werk gesetzt. Am nächsten Tage zeitlich in der Früh hielten sich an hundert Männer, Pferde- und Schafhirte, Zigeuner und wandernde Musikanten in der Nähe des gräflich Achmilin'schen Schlosses verborgen und warteten auf den Augenblick, wo Ferencz mit seiner Escorte auf der Straße er- scheine» werde. Endlich trat der Erwartete in Begleitung einiger Panduren zum Schloßthor hinaus. Aber welche Ueberraschung für diejenigen, die hier erschienen waren, um ihm zurFreiheit zu verhelfen! Ferencz wollte nicht befreit sein, er wollte nicht seinen Kameraden in die Freiheit folgen. „Ich bin unschuldig," sagte er. „Und als einen Schuldlosen muß mich das Gericht anerkennen, wenn es in Ungarn überhaupt noch eine Gerechtigkeit gibt." Schon wollte der Graf zu Ferencz sagen, daß er ihn freigebe und daß er von dem Morde nur die einfache Anzeige bei Gericht erstatten werde — da fiel sein Blick auf die au dem Schlosse vorbeiführende Heerstraße, auf der soeben eine Escadron Uhlanen jedenfalls auf dem Marsche in einen anderen Garnisonsorte im Begriffe war. Und an der Spitze dieser Reitertruppe befand sich ein mit dem Grafen intim befreundeter Ober- lieutenant. »He, Fedor," rief Graf Achmilin durch das Parkgitter dem Commandanten der Escadron zu, „ich bitte dich, befreie mich von dem Gesindel, das mein Schloß belagert hält. Dieser Mann hier ist ein Mörder und die Leute draußen wollen ihin zur Flucht verhelfen." „Herr," sagte Ferencz, „ich bin kein Mörder. Sie wissen recht gut, daß ich auf den Geza Achvala nicht geschossen habe." „Schweig! Du warst es, der die Kugel auf ihn abgefeuert hat." „Ich war es nicht, so wahr mir Gott einst in meiner Sterbestunde helfen möge. Herr Graf, Ihr Wort ist im Stande, mich zu verderben —" „Siehst du das ein? Und verlangst du etwa von mir, daß ich dich, einen Mörder, schönen soll?" „Herr Graf, ich habe eine alte Mutter, einen alten Vater, vier Geschwister —" „Und eine saubere Geliebte," höhnte der Graf. ~ „O, seien Sie gerecht! Sehen Sie mich vor Ihnen auf den Knieen liegen. Mit erhobenen Händen flehe ich Sie an, handeln Sie gerecht und sprechen Sie die Wahrheit. Sie wissen, daß ich nicht der Mörder des Geza Achvala bin." „Jetzt hab' ich die Sache satt. Heda, Panduren," rief der Graf zum Park hinaus, „nehmt den Mann wieder in Euere Mitte und führt ihn ab. Die Reiterescadron wird jedenfalls bei Ench bleiben zu Euerem Schutze." „Das war Hilfe iu der Noth," sagte sich der Graf, als der nun wieder gefesselte Ferencz Nhulassh in der Mitte einer ganzen Escadron Soldaten gegen die nächste Kreisstadt zog. „Cingalya hat recht," fügte er hämisch lächelnd hinzu, „ich habe zwei Fliegen mit einem Schlage getroffen'.... Aber wenn das Mädchen plaudern würde! Pah! Mein Wort wird bei Gericht wohl mehr Glauben .finden als das eines Zigennermädchens." Einige Wochen später stand der junge Csikos Ferencz Nyulassy vor seinen Richtern. Was nützte es ihm, daß er bei Gott und allen Heiligen schwor, daß er an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen unschuldig sei, daß er den Geza Achvala nicht erschossen, daß er auch nicht wisse, wer die That begangen habe? Graf Achmilin gab seine Anklage unter seinem Eide ab und da der Angeklagte für seine Schuldlosigkeit keinen anderen Beweis als seine Betheuerung, daß er unschuldig sei, beibringen konnte, mußte er uach dem Gesetze verurtheilt werden. Das Urtheil lautete auf den Tod durch den Strang. Zur Vollstreckung dieses Urtheils fehlten nur noch zwei Tage, als sich in dem zur Besitzung des Grafen Achmilin gehörenden Föhrenwalde die schöne Wirthstochter Aranka und Ciugalya, das Zigeunermädchen, trafen. Aranka saß auf einem Baumstumpf und hielt ihr abgehärmtes Gesicht in ihren Händen vergraben. Sie hatte wohl keine Ahnung, daß sich in ihrer Nähe das hübsche Zigeunermädchen befinde; denn als sie sich von diesem ansprechen hörte, fuhr sie mit verstörter Miene in die Höhe. „Ach, du bist es, Cingalya!" sagte sie mit inatterStimme. „Was suchst du hier?" 57 „Vielleicht dasselbe, was du hier suchst. Ich möchte deu Grafen Achmilin sprechen." „Auch ich kam in der Absicht her, den Grafen aufzusuchen," bemerkte Aranka. „Und du wünschest von ihm?" „Das Leben des Ferencz Nyulassy will ich von ihm verlangen," rief Aranka aus, indem große Thränen in ihre Augen traten. „So? Dann ist dir Ferencz Nyulassy wohl lieb und werth?" forschte das Zigeunermädchen. „Mehr als du glaubst." „Du liebst ihn?" „Wie nichts in der Welt. Cingalya, glaube mir, ich werde sterben, wenn er sterben muß." Cingalya nickte befriedigt mit ihrem Haupte. „Ich weiß, ich weiß," sprach sie wie zu sich selbst, „und das hat mir wohl gethan." Eine Weile schaute sie ius Leere, dann rief sie plötzlich wieder aus: „ Ara Ilka! Ich sage, daß Ferencz Nyulassy nicht hmgerichtet wird!" „Geh' doch! Treibe nicht Spott mit Einem Schmerze. Könntest du etwa das Wunder bewirken, daß er nicht den Tod erleiden muß?"

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