Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

46 dazwischen breitwedeliges Farnkraut und andere Pflanzen des Waldes, und im Weiterwandern trauliche Waldwiesen mit saftigen Gräsern und bunten Blüthen begleiten uns're Wanderung. Am Gipfel des Waldes ist ein Anger, kleiner als die Waldwiesen; er trägt den Aussichtsthurm, ein graues, steinernes Gemäuer mit zwei Stockwerken und einer Plattform. Auf deni Anger herum oder im Innern des Thurmes oder auch bei den einfachen Tischen, die unter den Baumästen hergerichtet sind, hat sich schon so manche Gesellschaft zusammeu- gefunden. Wirth und Wirthin sind gegen Durst und Hunger genügsam versorgt und nach einigem Rasten und Stärken geht's hinaus die Wendeltreppe empor auf die Plattform des Thurmes. Höhere Berge haben oft einen weniger lohnenden Fernblick als diese Spitze. Wenden wir uns zunächst nach Süden. In weiter Ferne glänzt die weiße Mauer der österreichischen Alpen, im Vordergründe der Traunstein, weiter links das Sengseugebirge, der hohe Priel und die Gipsel bis hin zum Schneeberg in Nieder- österreich. Es ist, als wären sie alle beschneit oder mächtige Gletscher auf ihnen ansgebreitet. Der Alpenkette vorgelagert zieht der dunkle Kamm des Böhmerwaldes hin Der Thomasberg mit seinem Ruinenwürfel Wittingshausen, ans dem, wie uns A. Stifter im „Hochwald" erzählt, der sorgsame Schloßherr Johanna und die liebliche Clarissa, seine Tochter, in der unruhigen Zeit des 30jährigen Krieges dem Schutze der undurchdringlichen Wälder um den Waldsee beim Plöckenstein anvertraute, grüßt vertraut herüber und fällt zuerst in die Augen. Rechts von ihm erhebt sich ein weniges der Bärenstein, der auf der Mitternachtseite des oberösterreichischeu Marktes Aigen liegt. Mehr westwärts steht die düstere Majestät des Hochficht und Plöckenstein, ruhsam, voll Melancholie. Mit einem Fernrohr vermag man die steile, graue Seewand des Sees am Plöckenstein zu unterscheiden Vor Hochsicht und Plöckenstein zieht eine sauste Einbuchtung, einem Sattel vergleichbar. Mitten auf ihr, an der nackten Stelle derselben, ist ein einsamer, gewaltiger Baum bemerkbar, die von A. Stifter in den „Bunten Steinen" erwähuteDrilliugs- föhre, aus deren Aesten in der Pestzeit ein Vöglein den Bewohnern die Mittel zurief, die die Pest vertrieben. Hinter der Drillingsföhre, kaum tausend Schritte tiefer, dem Blicke aber verdeckt, ruht der Geburtsort Stifter's, Oberplan. Ganz westlich vom Thurm steht Waldwoge an Waldwoge, der „obere Wald". Zu unseren Füßen aber glänzt zeitweise der Lichtblick der Moldau herauf. Saatfelder und Wiesen, dazwischen Schloß und Stadt Krummau, grüne Schwellungen, weiße Ortschaften, Kirchen und Häuser und mancher dunkle Waldrücken und ganz nahe der von Nord nach Süd gelagerte Ort Kalsching geben ein erfreuliches Bild. Wenn man die Erhabenheit einer herrlichen Alpenansicht einer schwungvollen Ode vergleichen möchte, so ist die Einfachheit des dunklen Waldes, der westwärts vor uns liegt, einem gemessenen epischen Gedichte gleichzustellen. Treten wir an die Nordseite des Thurmes. Unter uns die Wipfel der Tannen und Fichten und weit hinab geschlossene Waldbestände. Daun folgen Dörfer, kleine Teiche und den Himmel schneidend tauchen Vororte von Budweis auf. Mit bewaffnetem Auge überblickt man die ganze ansehnliche Stadt und neben ihr die unmuthigen Formen von Schloß Frauenberg, dem böhmische« Windsor, verwebt mit dem Dufte der dahinterliegendeu Wälder. Das Alles aber in flachem Lande und schroffem Gegensatze zu der höhen- und waldreichen Gegend, die sich vom Süden und Westen dem Anblick bot. 'Links von Frauenberg gegen den oberen Wald hin ist wieder Waldspitze an Waldspitze und weit draußen als letzte der Berg Libin bei Prachatitz, während auf der Gegenseite, imSüdosten, die Berge um Freistadt stehen, davor bebautes Laud. Auf der ganzen Runde ist der feeige Duft und Schmelz der Lust, der ausgedehnte Landschaften so anmuthig macht, und den der Pinsel so selten erreicht. Man mag noch so ost von dieser lustigen Bergeswarte niederschauen ringsum aufs sonnbeglänzte Land, niemals wird der mächtige Eindruck von der Schönheit und Eigenart Südböhmens abgeschwächt. Man verfällt ins Sinnen und Träumen, und ist man gar ein Kind dieser Gefilde und Waldberge, so zieht wohl von Kriepner's einfachem Liede, „der Heimat Bild", durch die Seele: „Wo der Planster ragt zum Himmel, Krumm die Au besäumt den Strand, Sal)' ich fern vom Weltgetümmel Stets entzückt hinein ins Land." Mittlerweile ist die Sonne Hintern, Böhmerwalde hinabgetaucht und der Abendhimmel erglüht unter ihrem letzten Kusse, während um die sanften Wölbungen der Berge sich etwas wie ein seiner Schleier legt. Immer dunkler wird's. Einzelne Sterne leuchten auf derHimmels- glocke empor, erst schüchtern, dann immer zuversichtlicher, bis endlich eine unzählbare Schar dieser Weltdurchwand'rer die Himmelswacht bezogen hat. Doch auch unter uns blitzt manches Sternlein, bis endlich im Süden, Osten und Norden die leuchtenden Punkte auf der Erde an Zahl und Gefunkel mit den Lichtern am Himmel wetteifern. Es ist dies die Menge der Sonnwend-, oder, wie man sie. auch nenut, Johanuisfeuer, die man, uralten Brauches eingedenk, allüberall ange- znnden. Nur im Westen vom St. Thomaswald bis zum Plöckenstein will kein Licht aufflnmmen. Die Bewohner dieser Gegend feiern erst nächsten Abend Sonnenwende. Die Stimmung Aller, die vom Thurm in die Weite spähen, wird gehobener. Jeder wetteifert mit dem Andern, möglichst viele dieser glänzenden Feuer zu erblicken und zu zählen. Wenn man wenigstens neun Sonnwendfeuer erspäht hat, so soll das Glück bringen fürs ganze Jahr. Doch hier ist eine solche Anzahl flimmender Lichter zu schauen, 47 daß es unmöglich wird, dieselben zu zählen. Eine erhebliche Menge derselben flimmert auch von der von Tschechen bewohnten Gegend herauf. Diese haben eben im Jahrhunderte dauernden Wechselverkehr mit ihren deutschen Nachbarn diese den Deutschen ureigenste Sitte sich angeeignet, wie ihnen ja so viel Schönes und Nützliches von ihren deutschen Lehrmeistern und Erziehern übermittelt wurde. Die zunächstliegenden Feuer sind von einem Kranze kleiner Lichter umgeben, die sich hin und her beweg'cu, bald im Kreise und dann ein feuriges Rad bildend, bald in geraden Strichen, bald aufwärts und niederhüpfend. Diese kleinen Lichter rühren von den Pechfackeln und von getrockneter Rinde der Birke her, die sich die Jugend, der die Sonnenwende ein lang ersehntes Fest ist, geschnitten hat, und auf Ruthen gereiht und in Brand gesteckt, singend und jauchzend schwingt. Nun lodert auch knisternd und funkensprühend der mächtige Reisighaufen auf, den man auf dem Anger um den Thurm zu beträchtlicher Höhe aus Baumreisern und Scheitern geschichtet hatte. Um ihn ist solche Gluth, daß man selbst auf der Plattform des Thurmes sich zurückzuweichen genöthigt sieht. Vivats erschallen, Lieder ertönen, zwischendrein klingende Musik und rings wiederhallend der kurz abgebrochene Knall von Schüssen. In der Ferne Lichter, um den Thurm Funkengewirr, überall laute Fröhlichkeit, da kann es denn nicht anders sein, auch in den Herzen wird's licht und Festesfreude macht Leid und Groll vergessen und erniöglicht den ungezwungensten Verkehr. Dort bringen sich zwei den Gedächtnißtrunk unentwegter Freundschaft, hier wird alte Feindschaft begraben, und in einem unbemerkten Winkel, die allgemeine Zwanglosigkeit benützend, tauschen zwei junge Herzen Schwur und Siegel übermächtiger Liebe und vergessen über den Jubel in ihrem Innern den der lauten Menge. Frau Minne hält Umzug an Odin's Feste. Ueber die Plattform gebeugt,

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