42 wird dann noch eine dieser Flanellbinden darübergegeben, und nun entwickelt sich darunter eine feuchte, intensive Wärme, die bekanntlich der beste Naturheilproceß ist. Im Kunstausdruck nennt man es die Prießnitzbinde. Hier seht Ihr meine Frottirtücher ans rauher Leinwand, nnd ich kann Euch versichern, mit diesen Fetzen würde die ganze Menschheit regenerirt werden, wenn sie nnr zur Erkenntniß der Wichtigkeit des Heilprocesses der feuchten Wärme gelangen möchte." Bräunlich schüttelte denKopf, er schien sehr ungläubig und beutete dauu auf einige Fläschchen und Tiegel, in denen er wahrscheinlich das St. Germain'sche Lebenselixir vermuthete. Herr Frischauf that aber gar nicht geheimnißvoll, sondern langte sofort nach einem der kleinen Por- zcllantiegel, dessen Deckel er aufhob. Es war eine weiße, feste Masse darin, und da der wißbegierige Schüler dieselbe nicht gleich analysiren konnte, so erklärte ihm Frischauf, es sei nichts weiter, als zerlassener — Hirschtalg. „Dieses unschuldige Mittel gebrauche ich schon seit meiner Jugend, und ihm habe ich meinen reinen und noch heute frischen Teint zu verdanken. Unschätzbare Dienste leistet es mir aber auch bei herannahendem Schnupfen. Da wird die Nase, nachdem sie vorerst in lauwarmem Wasser gebadet und srottirt wurde, gehörig eingefettet, und dadurch wird die Entzündung der Schleimhäute aufgehalten und alle die unangenehmen Folgen eines Schnupfens, der die schwersten Krankheiten zur Folge haben kann, werden mir erspart. Bei Magen- oder Brustschmerzen wird der Talg zerlassen, eingerieben und eine Prießnitzbinde daraufgegeben. Nach einigen Tagen ist das drohende Uebel behoben. Damit Ihr aber auch seht, daß ich noch andere Mittel in meiner lateinischen Küche führe, zeige ich Euch in dieser blauen Phiole —Kirschlorbeer- tropfen, die ich selten, meine Ehehälfte aber häufiger als Beruhigungsmittel anwende. Hier in diesem Fläschchen befindet sich ein vortreffliches Mittel gegen rheuinatischen Gliederschmerz, Ischias, wie die Gelehrten sagen — Bilsenkrautöl mit Chloroform. Es kostet nicht viel und ist probat. Da in diesem Porzellanbüchschen ist feingestoßenes Kochsalz, und Ihr werdet gewiß nicht ahnen, zu was ich es verwende. Es ist mein Zahnpulver, das ich mit der in Alkohol getauchten Zahnbürste jeden Morgen anwende. Auch die Zunge wird mit Salz gereinigt. Es schmeckt zwar nicht gut, aber man gewöhnt sich daran, und kein Mittel ist geeigneter, die Mikrobennester zn zerstören, wie Alkohol und Salz. Um aber nichts zu verheimlichen, will ich Euch hier noch ein graues Pulver zeigen. Das sind gestoßene Sennesblätter mit Candiszucker und geeignet, um des großen Boerhave drittem Spruch: Halte den Leib offen, zur Wahrheit zu verhelfen. Damit ist nun aber auch meine ganze Hexenküche erschöpft und ich sehe es Euch am Gesichte an, daß Ihr eine große Enttäuschung erlebt habt, Freund Bräunlich. Wenn Ihr nnr wenigstens die Ueberzeugung mit Euch nehmt, daß der Mensch wirklich nur sehr einfacher Hilfsmittel zur Erhaltung seiner Gesundheit bedarf, so habt Ihr schon viel gewonnen. Wenn Ihr nun Muth und Kraft in Euch verspürt, Eure üblen Angewohnheiten abzulegen und Euch zu einer einfacheren Lebensweise zu bekehren, so stelle ich Euch meine ganze Gelehrsamkeit und sämmtliche Mittel meiner lateinischen Küche zur Verfügung. Eines ist freilich vor Allem nothwendig. Ihr müßt das faule Leben aufgeben und arbeiten lernen. Die Arbeit ist der Gegensatz zum Müßiggang, der bekanntlich aller Laster Anfang ist. Die Arbeit ist die Spannkraft für die sonst schlaff werdenden Nerven, und wenn Jk>r nicht arbeiten und Euch sorgen lernt, so ist aller Liebe Mühe an Euch verloren." Dazu machte Herr Bräunlich ein süß-saures Gesicht; denn er hatte sich etwas ganz Anderes erwartet; um aber seinen Freund nicht zn kränken, versprach er seinem Rath zu folgen: den alten Menschen abzulegen und einen neuen anzuziehen. Er schaffte sich über Hals und Kopf Prießnitzbinden, Frottirtücher, Hirschtalg in ganzen Klumpen, Sennesblatter, Bilsenkrautöl mit Chloroform, Salz und Alkohol an. Aber das Wasser war ihm bald zu kalt, das Frottiren der Haut wurde ihm lästig, das salzige Zahnpulver schmeckte abscheulich, die Sennesblätter machten ihm Bauchweh und das Entbehren des Gabelfrühstückes konnte er nur acht Tage aushalten, und noch vor Lustige Schwänke und Ränke vom rothen Heiner. Erzählt von K. Menk-AUtmarsch. Der rothe Heiner ist kein Spitzbube, wie er in Hebbel's „Schatzkästlein" verewigt steht. Er ist ein ganz anständiger Kerl, der auf seinem eigenen Grund und Boden am Niederrhein sitzt, aber ein araer Schalksknecht, dem lauter Schnurpfeifereien und Allotria im Kopf stecken, die er wohl oder übel ausführen muß. Namentlich hat er es auf die Bauern abgesehen, wenn Leichtgläubigkeit und Gutmüthigkeit ihn zu allerlei losen Streichen und Hänseleien verleitete. Am liebsten streicht er vor den Thoren der Kreisstadt in aller Früh herum, um die Bauern abzusangen, bevor sie die Ver- zehrungssteiter für ihre Butter, Eier, Hühner und sonstige Producte entrichtet haben. Da man ihn aber mit seinen rothen Haaren schon kennt, so wählte er bald eine schwarze, bald eine graue Perrücke. Einmal erscheint er selbst als biederer Landmann, ein andermal nut einer Hornbrille, auf der Nase als Landbader, daun wieder mit dem Zwerchsack am Buckel als Schacherjude, wie es ihm eben zur Ausführung seiner losen Streiche paßt. Eines frühen Morgens strich er auch wieder einmal vor dem Thor unter den Bauern herum, es wollte ihm aber kein Schelmenstücklein einfallen. Da stieß er 43 Jahresfrist erhielt Meister Frischauf fvl- genden Partezettel: „Die tieftrauernden Verwandten widmen allen Freunden die Trauernachricht von dem plötzlichen Hinscheiden des Herrn Sebastian Bräunlich, der am so nnd so vielten in ein besseres Jenseits hinübergegangen ist." Herr Frischauf erbte alle Prießuitz- biuden, Frottirtücher und die Vorräthe an Hirschtalg, gestoßenen Sennesblättern, Bilsenkrautöl und Salz. auf ein altes Bäuerlein, das seinen Korb mit lebenden Hühnern, die lustig gackerten, vor sich stehen hatte. Unser Schalk ging um den Korb herum, stierte mit seinem Stock bald da, bald dorthin, daß die Hühner auf- und niederflatterten und in der Augst etwas hinter sich fallen ließen, das der Störenfried eifrig auflas und in ein Stück Papier einwickelte. Der alte. Bauer hatte verwundert dem seltsamen Treiben zugeschaut, endlich
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