Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

33 schon vor Jahren in drastisch-humoristischer Weise geschildert und nicht verschwiegen, daß auch diese ganze traurige Zeit bis zu seinem zwanzigsten Jahre eine Kette von geistiger Arbeit und Entbehrungen war. Den Lehr- folgten dann die Wanderjahre an die Ufer des Rheins, der Mosel, des Mains und des Neckars, die er in historisch-topographischen Werken beschrieb. Mit zweiundzwanzig Jahren schon verheiratete er sich, und zu deu Sorgen für den eigenen Lebensunterhalt gesellten sich nun auch noch die für Weib und Kind. Dann errichtete er ohne alle Mittel ein eigenes Vcrlagsgeschäft, kam aber mit seinen Unternehmungen immer um zehn Jahre zu früh auf die Welt. Andere nahmen seine Ideen später zu geeigneteren Zeitpunkten auf. und wurden reich dabei. Er blieb trotz seines Wissens, seiner Welterfahrung, seines eisernen Fleißes immer im Kampf um das tägliche Brot und die einzige Errungenschaft war das kleine Häuschen am Rain, wo er sich gleich Cincinnatus seinen Kohl pflanzte und einen ziemlich saueren Wein zog. Alles das recapitulirte sich Herr- Bräunlich an einem schönen Sommerabende auf dein Wege zrr seinem alten Freunde Frischauf. Er fragte sich, wie es möglich sei, daß dieser rastlose Geist unter all diesen Mühsalen und Bedrängnissen des irdischen Daseins sich geistig und körperlich so frisch erhalten konnte, während er, an deu nie eine bange Sorge um des Lebens Unterhalt herangetreteu war, Physisch und moralisch bereits ab- gewirthschaftet hatte, trotzdem er um zwauzig Jahre weniger zählte, als der „junge alte Herr", wie er in der ganzen Stadt benamset wurde. Er kam endlich zu dem Schluß, daß dies unmöglich mit richtigen Dingen zugehen könne, und darüber wollte er sich einmal Gewißheit verschaffen. Frischauf hatte seiuen Gast den Hügel keuchend und pustend hinaufsteigen gesehen und empfing ihn an der Schwelle seines Hauses mit einem herzlichen Willkommen. „Ihr kommt selten, aber Ihr kommt doch," meinte Herr Frischauf, „und mit dieser kleinen Strapaze der Hügelerklimmung habt Ihr bereits den ersten Schritt zur Lösung des Mysteriums meiner Lebeuskunst geleistet. Ja, schaut Euch nur mein bescheidenes Heim gut an; denn wie und wo der Mensch wohnt, das ist die erste Bedingung, sein Leben zu erhalten und zn verlängern Ihr entsinnt Euch wohl, daß ich vor wenigen Jahren durch Berufspflichten genöthigt war, unten in der Stadt ganz in der Nähe des stagnirenden Floßbaches zn wohnen. Drei Jahre hielt ich die Miasmen aus, die allmälig mein Blut vergifteten, dann empfand ich aber, daß cs die höchste Zeit sei, eine gesündere Ubication aufzusuchen. Wie die Menschheit es in dieser verpesteten Gegend auszuhalten vermag, ist mir ein Räthsel, das ich wenigstens an mir nicht lösen wollte. Seht Euch nun in meinem Häuschen um, das allen Vorbedingungen eines gesunden Aufenthaltes entspricht. Die Lage ist über den dunstgeschwängerten Luftschichten der Stadt erhaben. Vor den rauhen Nordwinden schützt mich dieBerghalde, meiueBäumeundSträucher verbessern die Atmosphäre, und die Uebelstände des stagnirenden Grundwassers, das Pcttcukoser als Ursache epidemischer Krankheiten mit Recht bezeichnet, habe ich durch die Bauanlage meines Tusculums beseitigt. Ueber dem Keller mit hydraulischer Asphaltiruug befindet sich das Souterrain mit der Küche und Vorraths- kammer, dann kommt das Hochparterre, das vollkommen trocken liegt. Meine Paar- Zimmer haben die Morgensonne und die Schlafräume lassen den ganzen Tag der frischen Lust den Zutritt. Der Lateiner sagt: Mens sana-in corpore sano, das gilt auch für das Haus. In einem ungesunden Raum kann kein Mensch gesund bleiben. Doch jetzt setzt Euch iu meine Veranda. Meine Alte wird Euch Eigenbauwein credenzen; er ist zwar ein wenig herb, aber nicht gepanscht und mit Sodawasscr ein köstlich erfrischendes Getränk." Nun kam die Frau Frischauf, auch schon eine angehende Siebzigerin, mit dem Imbiß hereingetrippelt. Auch sic bot gleich ihrem Gatten ein Bild blühender Gesundheit, und auch in ihren gerundeten Formen, ihren frischen Wangen nnd dem dunkeln, nur vou wenigen Silber- fäden durchzogenen Haar konnte man sie wohl nm zwanzig Jahre jünger halten. Herr Bräunlich gab auch seinem Erstaunen Ausdruck, und Frischauf meinte: „Ja, diese Frau ist auch meine Schöpfung. Als ich sie vor vierzig Jahren ehelichte, war sie ein schwächliches Ding mit allen möglichen Leiden und Uebeln behaftet. Die habe ich ihr nach und nach wegprakticirt. Etwas Gicht ist ihr zwar im Blut geblieben, aber es ist wenigstens zu ertragen. Indes, ich habe Euch ja in die Mysterien meiner Lebenskunst einweihen wollen, und da wollen wir gleich ad rem gehen. Vorerst muß ich Euch wiederholen, daß der Mensch, der achtzig Jahre alt werden und ge- sund bleiben will, damit sehr zeitig anfangen muß. Ich war, glaube ich, noch nicht zwölf Jahre alt, da las ich einmal eine Lebensbeschreibung des großen holländischen Arztes Boerhave, der anfangs des vorigen Jahrhunderts die Welt mit seinem Ruhme erfüllte. Als er starb, fand man in seinem Nachlasse einen mächtigen, wohlversiegelten Folioband mit der Aufschrift: Compendium meines medicinischen Wissens. Die Erben hofften, einen enormen Preis dafür zu erzielen, und sie täuschten sich auch nicht, denn ein reicher Engländer zahlte eine horrende Summe dafür. Als die Siegel gelöst wurden, fand man lauter unbeschriebene Blätter und auf dem letzten stand: Halte den Kopf kühl, die Füße warm und den Leib offen, so kannst du aller Aerzte spotten. Das habe ich mir als dummer Junge sehr wohl gemerkt nnd ich kam auch sehr bald zu der Ueberzeugung, daß der, Mensch vor allen Dingen gesund bleiben muß, wenn er nicht krank werden will. Das klingt Euch vielleicht sehr albern, es steckt aber in 39 diesem Satz mehr Weisheit, als die leichtsinnige Menschheit nur ahnen kann. So lange der Mensch nämlich gesund ist, lebt er meistens wie das dumme Vieh in deu Tag hinein und wüthet und sündigt auf seine Gesundheit, daß es eine Schande und Spott ist. Die unausbleibliche Folge ist dann natürlich das Krankwerden, und damit nimmt man es im Anfang auch meistens sehr leicht und aus dem kleinen Uebel wird dann ein großes, das den Keim zn einem frühzeitigen Tode legt. Ich habe es mir aber von frühester Jugend an zum Lebensgrundsatz gemacht, meine Gesundheit sorgfältig zu pflegen, zn überwachen und jeder Veranlassung zum Krankwerden aus dem Wege zu gehen. Zeigte sich dann einmal ein kleines Uebel, so bekämpfte ich den Feind sofort, bevor er sich im Terrain festsetzen konnte. Die Grundlagewar ohnedies bereits geschaffen, und zwar durch zwei bewährte Mittel: Mäßigkeit und Abhärtung. Doch müssen wir zunächst den Menschen als Ganzes auffassen, bevor wir zu den Einzelheiten übergehen. „Es gibt eine Menge ganz einfacher und natürlicherSchutzmittel zurErhaltung der Gesundheit und die Menschheit kennt sie ganz gut, aber sie ist zu gedankenfaul und zu leichtsinnig, um sie zu beachten. Da ist vorerst die Mäßigkeit nicht bloß im Essen und Trinken, sondern in allen anderen menschlichen Gepflogenheiten. Die übermäßige Anfüllung des Magens ist nur eine schlechte Angewohnheit und ruft alle jene Uebel hervor, welche die Aerzte mit dem schönen Namen Magenkatarrh, Magenkrampf,Magenerweiterung,Magenerweichung, Magenentzündung u. s. f. bezeichnen. Ich habe immer aufgehört zu essen, wenn es mir am besten geschmeckt hat, und deshalb kenne ich auch alle diese Magenleiden nur dem Namen nach. Ueber das, was man essen soll, will ich Euch keine lange Vorlesung halten. Jeder vernünftige Mensch ißt das, was ihm am besten schmeckt, und wenn er es nicht haben kann, so muß er sich eben mit Anderem begnügen, nur in Allem ist

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