34 bemühte, dem ziemlich rasch Dahinschrei- tenden nachzukommen, „da haben Sie gleich ein flagrantes Exempel. Ich, der ich gewiß zwanzig Jahre jünger wie Sie bin, kann in der That nicht Schritt mit Ihnen halten." „Da sehen Sie nun" — meinte Herr Frischauf — „die erste Moral von der Fabel ist Ihr Ränzlein, das Sie sich angemästet. Das ist die Hauptquelle alles Uebels, ich habe mich wohl davor gehütet und bin auch, Dank meiner Lebensweise, davor bewahrt geblieben." „Das ist leider sehr wahr," entgegnete Bräunlich, „aber ich habe nun einmal mein Ränzlein. Sie haben aber keines und ich niöchte eben wissen, wie Sie das Alles anstellen, daß Sie kein Bäuchlein und überhaupt keine Beschwerden des Alters kennen. Ich glaube selbst, daß Sie mit Ihrer Behauptung Recht haben und die Quelle alles Uebels im Ränzlein suchen, denn ich spüre seine Tyrannei täglich mehr und mehr. Wenn ich aufrichtig sein soll, so weiß ich selbst nicht, wie ich dazu gekommen bin. Die Aerzte sagen, ich habe dazu die Anlage auf die Welt mitgebracht, und iu der That haben sich auch meine seligen Eltern eines stattlichen Embonpoiuts erfreut —" „Da hätten Sie eben in der Wahl Ihrer Eltern vorsichtiger sein sollen," unterbrach ihn Herr Frischauf ironisch, „indes wenn Sie glauben, daß Sie Ihren Bauch schon auf die Welt mit- gebracht haben, so irren Sie. Ein solch lästiges Anhängsel wird immer aner- zvgen, und wenn Sie mir in der That eine seltene Lebenskraft imputiren wollen, so schreibe ich sie hauptsächlich dem Umstande meines normalen Leibesum- fanges zu." „Ja, wenn es das allein wäre," meinte seufzend Herr Bräunlich, „aber bei mir und all Ihren Bekannten steht es fest, daß Sie in die Geheimnisse der Natur eingedrungeu seien, daß Sie den Hippokrates, den Theophrastus Paracelsus, den Dr. Faust, wie die neuere Medicin gründlich studirt haben und wenn • nicht den Stein der Weisen, so doch das Lebenselixir des Grafen von St. Germain wieder entdeckt haben müssen." Herr Frischauf schüttelte sich ob dieser Rede förmlich vor Lachen, dann sagte er mit dem Ausdruck herzgewinnender Gemüthlichkeit: „Es ist hier weder Zeit noch Ort, Sie in die Mysterien meines Lebensganges und meiner Experimente einzu- ^ weihen, nur eine kleine Vorlesung will ich Ihnen noch über Ihr Ränzlein und wie Sie dazu gekommen sind, halten. Mit Allem, was man thun, lassen und meiden soll, muß man sehr früh bei sich aufangen. Der alte griechische Weisheits- spruchbvLkl- re aowv — erkenne dich selbst — ist die Basis dazu, aber wie wenige Menschen gibt es, die sich selbst beobachten oder erkennen wollen, und dennoch weiß doch Jeder am besten selbst, was ihm frommt, nur fehlt deu Meisten das Verständniß und die Energie dazu. Uud das ist die Wurzel alles menschlichen Uebels! Sie sind beispielsweise das Kind wohlhabender und wohlbeleibter Eltern, und Ihre Körperfülle ist Ihnen anerzogen worden. Ich dagegen entstamme einem wandernden Koniödiantenpaare, und zwar zu einer Zeit, wo beim Einzüge unserer Truppe der Ruf erschallte: Rieke, nimm die Wäsche von der Leine, die Komödianten kommen! Bei meinen Eltern tvar Schmalhans Küchenmeister, und da konnte von der Anerziehung eines Ränzleins keine Rede sein. Und das war gut. In Speis' und Trank war man aus Nothwendigkeit sehr mäßig und war froh, wenn man sich halb satt essen konnte, und das war noch besser. So bin ich in meiner Jugend durchaus nicht verwöhnt und wählerisch geworden, und dafür bin ich meinen braven Eltern noch heute dankbar. Eine systematische Erziehung habe ich eigentlich gar nicht genossen, und so mußte ich wohl oder übel mich selbst erziehen. Dabei habe ich frühzeitig auch mich selbst erkennen und beobachten gelernt. Sie werden zwar sagen: unter solchen Antecedentien hätte auch ein rechter Galgenstrick aus mir werden können. Möglich, aber nicht wahrscheinlich, denn wie Sie sehen, ist das Experiment ganz gut ausgefallen, und heute bin ich der auf die Achtzig zumarschireude Herr Frischauf, derselbe, der Sie und Andere ob seiner Geistes- und Körperfrische in Erstaunen setzt und der noch das Zeng iu sich verspürt, ein oder vielleicht, so Gott will, zwei Decennien des Lebens Unverstand in vollen Zügen zn genießen. Da haben Sie nun die erste Vorlesung aus meinem Codex vivendi, und wenn Sie die anderen Capitel über die Kunst zu leben und das Leben zu verlängern auch hören, wenn Sie in alle meine Mysterien und geheimen Künste eingeweiht werden wollen, so besuchen Sie mich in meinem kleinen Häuschen draußen am Rain auf ein Gläschen selbstqezoqenen Weines. Gott befohlen!" Damit eilte Herr Frischauf geflügelten Schrittes von dannen und Herr Bräunlich machte nicht einmal deu Versuch, ihm weiter zu folgen; denn der kurze Spaziergang mit dem alten Henn hatte ihn schon ganz außer Athem gebracht. Herr» Bräunlich gingen die geheimnißvollen Schlußworte seines alten Freundes nicht aus dem Sinn. Er hatte etwas von geheimen Künsten gehört und.gleich dem Famulus Wagner gedachte er, davon für sich zn Profitiren; denn gerade er hatte es in puncto sanitatis sehr nothwendig. Herr Bräunlich marschirte wohl schon auf das kanonische Älterzu, worüber er sich selbst am meisten wunderte, denn so lange er sich erinnern konnte, war er eigentlich nienials wirklich gesund gewesen. Seine Eltern, deren einziger Sohn er war, hatten ihm ein schönes Vermögen hinterlassen, über er, raunt m^orenn geworden frei verfügen konnte. Er studirte wohl ein Bischen rn verychiedenen Fächern herum, schließlich aber entschloß er sich zu dem angenehmen Berufe eines freien, von 35 aller Welt nnabhäugigen Maunes, dem nur quartalsweise die aufregende Beschäftigung des — Abschneidens von Coupons anheimfiel. Er kannte also des Lebens Sorge imb Ungemach nur vom Hörensagen, aß und trank gut, sogar mehr, als ihm gut war, und dennoch kamen die Doctoren nicht ans seinem Hause, denn stets fehlte cs ihm da oder dort, und sein Bäuchlein rundete sich von Jahr zu Jahr mehr. Herr Frischauf dagegen, mit dem er seit dreißig Jahren immer wieder in Berührung kam, hatte unausgesetzt mit des Geschickes Ungunst zu kämpfen. Von Haus aus arm wie eine Kirchenmaus, mußte er sich schon mit fünfzehn Jahren sein tägliches Brot selbst verdienen. Zu einem Handwerk war er zu schwach befunden worden, nicht einmal ein Schneider wollte ihn in die Lehre nehmen, weil er durch das viele dumme Studireu und Bücherlesen kurzsichtig geworden war. Sich einem Fachstudium zu widmen, dazu waren keine Mittel vorhanden, seine Leidenschaft für Bücher war aber unbezwinglich, und so trat er bei einem kleinen Buchhändler in die Lehre ein, denn ein großer nahm das verkümmerte Komödiantenkind nicht an, und auch das war eine schlimme Zeit für deu ideal veranlagten Lehrbuben; denn sein Herr und Meister war ein gar roher Cumpau, der das Bücherverlegen und -Drucken rein als Handwelk zum Erwerb des täg- licheu Brotes betrieb. Frischauf hätte sich damals lieber Wehauf nennen wollen, da er aber schon nach den ersten Lehrjahren erkannte, mit wie wenig Weisheit die Bnchwelt zu regieren ist, so fing er selbst an Bücher zu schreiben, und es machte ihm eineu Hauptspaß, daß sein geiziger Principal die ihm ans weiter Ferne unter fremdem Namen eingehenden Romane und Novellen seines eigenen siebenzehnjährigen Lehrbuben in Druck uud Verlag nahm und sogar per Druckbogen mit drei Reichsthalern honorirte. Diese Geschichte seiner Lehrjahre hatte Herr Frischauf seinem Freunde Bräunlich 9*
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