Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

26 konnte Niemand dagegen, zumal Er Seine Frau als irrsinnig erklärt hat und eingesperrt hielt. Zweifelt Er jetzt noch daran, daß Sein Sohn lebt!" Der alte Graf schien mehr todt als lebend. „Majestät —" stammelte er, „ich — ich weiß nichts. —" „Er weiß um Alles. Er hat jaSeinem Kammerdiener den Auftrag zur Ausführung dieses Verbrechens gegeben. Wer sonst als nur Er hätte an deni Tode Seines Sohnes ein Interesse gehabt? Ihm war einzig um die 100.000 Gulden zu thun, die Seinem ' Sohne gehörten. Fünf Jahre war dieser alt, als seine Pflegeleute, der Waldhüter und sein Weib rasch nacheinander starben. Sein Sohn, der junge Graf, kam dann in andere Hände und, wie ich gleich beifügen will, in. sehr gute Hände. Das Schicksal hätte es nicht besser fügen können. Soll ich Ihm nun auch sagen, wo sich jetzt Sein Sohn befindet?"' „Majestät — ich — ich weiß nicht. —" „Soll ich Ihm erst sagen," rief der Kaiser, von gerechtem Zorn erfaßt, dem Grafen zu, „soll ich Ihm erst sagen, daß Sein Sohn Maximilian und der brave Rudi, der sich seit zwanzig Jahren im Hause des wackeren Wawra befindet, eine und dieselbe Person ist! Und soll ich Ihm auch sagen, daß er vor einigen Monaten auf deu Rudi, also auf Seinen eigenen Sohn im Walde geschossen hat? Warum hat Er das gethan? Einfach aus Furcht, daß Sein Verbrechen doch einmal ans Tageslicht kommen und Sein Sohn sein Recht bei Ihm geltend machen könnte. Er wollte ihn also aus dem Weg schaffen. Ist es so, wie ich sage?" Nun endlich war der Graf mürbe geworden. Wie vernichtet sank er vor dem Kaiser auf die Kuie und flehte um Gnade. „Zunächst," sagte der Kaiser zn dem Grafen, „wird Er mir die 100.000 Gulden bringen, die Seinem Sohne gehören. Sein Sohn lebt, das Geld stammt vvn Seiner Mutter, Er hat also kein Recht, ihm das Geld vorzn- enthalten. Acht Tage gebe ich Ihm Zeit. Von heute über acht Tagen muß Er hier erscheinen und mir das Geld bei Heller und Pfennig aufzählen. Dann will ich mich weiter über Ihn entscheiden. So, und jetzt kann Er gehen. Nur vergesse Er ja nicht, das Geld zu bringen." Graf Lemonnicr näherte sich fast kriechend der Thüre, hinter der er dann rasch verschwand. „Sind die Polizeiagenten bereit?" fragte Kaiser Josef den Geheimrath. „Jawohl, Majestät, Graf Lemonnier wird gut überwacht werden, ohne daß er davon das Geringste merkt." „Nun, Alter," rief der Kaiser dem in der Ecke sitzenden Wnwra zu, „hat Er gehört? Sein Rudi ist ein geborener Graf Lemonnier." Wawra, der Alles vernommen, was Kaiser Josef zu dem Grafen gesprochen hatte, war darob voll Entsetzen. Sich selbst und den Ort vergessend, wo er sich befand, schlug er die Hände über seinemKopfezusammennnd riefjammernd: „Majestät, dieses Unglück, o dieses Unglück!" „Was für ein Unglück?" „Der Rudi, ein geborener Graf! Und ich hielt ihn bis zur Stunde für einen Sohn der armen Waldhüterslente. Der Rudi, ein Graf! Ja, da nimmt er nicht mein Bärbl, das arme Ding zum Weibe." „Mach' Er sich darüber keine Sorgen. Vorläufig bleibt Er, Wawra, in Wien, schau' Er sich die Stadt und alles Sehenswerthe hier an. Ich werd' Ihm schon Jemanden beistellen, der Ihn in der Stadt herumführen soll. Und in acht Tagen kommt Er wieder zu mir. Ich muß Ihm ja doch den Schatz sehen lassen, den er so viele Jahre in Ver- lvahrung gehabt und so redlich gehütet hat!" Acht Tage später stand Wawra wieder vor Kaiser Josef. „So ist Alles richtig, was Er mir berichtet?" fragte der Kaiser den Geheimrath von Borke. „Majestät, es verhält sich Alles genau w, wie ich sagte. Die Polizeibeamten haben den Grafen Lemonnier nicht aus den Augen gelassen. Er hat all das Wenige, was er noch besaß, zu Geld gemacht und ist mit seinem Sohne nach Frankreich. Die Polizeibeamten legten, der erhaltenen Instruktion gemäß, den beiden Flüchtigen kein Hinderniß in den Weg." „Hört Er es, Wawra? Der Graf Lemonnier und auch sein Sohn sind nach Frankreich abgereist. Es ist ihre Heimat. Sie werden von dort nie wieder nach Oesterreich zurückkehren, das weiß ich bestimmt. Wären sie lieber niemals in >nein Land gekommen. Diesem einge27 wanderten französischen Adel bin ich überhaupt nicht sehr gewogen. Borke, sagte ich denn nicht gleich, daß mir dieser Lemonnier die 100.000 Gulden nicht bringen wird? Sieht Er, Wawra, jetzt ist Sein Rudi um 100.000 Gulden ärmer." „Er wird das Geld nicht vermissen, weil er nie eines besaß. Ich danke nur dem Allmächtigen, daß der Graf auf Nimmerwiederkehr fort ist. So brauche ich dem Rudi nicht zu sagen, wer er eigentlich ist." „Da hat Er Recht, Wawra. Der Rudi ist ein tüchtiger Landwirth, er soll es bleiben unter seinem schlichten Namen, den er bis jetzt getragen. Und nun zu unserem Schatz!" Der Kaiser gab einen Wink dem Geheimrath, der aus einem Nebengemach die Cassette, die Wawra so lange in Verwahrung hielt, herbeibrachte und auf einen Tisch stellte. „Da schau' Er her, Wawra!" sagte Kaiser Josef, indem er den Deckel der Cassette in die Höhe hob. „Hilf Himmel!" rief Wavra unter maßlosem Staunen aus. „Gold, nichts wie glitzerndes Gold! Die Cassette bis zum Rande angefüllt mit blinkenden Ducaten!" „Es sind ihrer 4000 Stück und diese sind Eigenthum des Rudi. Nun ja," sagte Kaiser Josef, „das Geld gehörte der Gräfin Lemonnier. In ihrem Briefe hieß es: ,Die 4000 Ducaten sollen meinem Sohne gehören, wenn dieser auf- gefnnden wird/ Rudi ist der Sohn der Gräfin, folglich muß ihm das Geld ausgefolgt werden. Nehm' Er also wieder die Cassette und iibergeb' Er deu Inhalt derselben Seinem braven Rudi." „O dieser Segen! Dieser Segen! Ob der reiche Rudi aber jetzt nur auch mein armes Mädl wird haben wollen?" rief Wawra. „Was quält Er sich mit solchen Gedanken? Er wird es ja sehen. Sag' Er dem Rudi, das Geld stamme von einer ! verstorbenen Verwandten seiner Mutter.

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