Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

24 Behandlung, die Er, ihr zn Theil werden ließ." „Majestät gestatten allergnädigst die Bemerkung: meine erste Gemahlin war in der letzteren Zeit sinnesverwirrt." „O nein, Graf. Seine Frau war durchaus nicht verrückt. Das sagt mir ihr Brief und davon ließ ich mich auch anderweitig überzeugen. In dem Briefe der Gräfin heißt es weiter, daß sie Ihm eine Million Gulden an Mitgift ins Hans gebracht. Die Hälfte davon hat Er, Graf, sofort für sich gebraucht zur Tilgung Seiner Schulden. Dann bedrängte Er die arme Frau noch immerfort mit Geld- forderungen und sie gab und gab, bis sie selbst nichts mehr hatte als noch 100.000 Gulden. Diese wollte sie für ihr Söhnchen retten. Sie machte ein Testament, worin es unter Anderem wörtlich hieß: .Für den Fall meines Ablebens fällt mein Vermögen im Betrage von 100.000 Gulden meinem Sohne Maximilian zu. So lange dieser nicht das achtzehnte Lebensjahr erreicht hat, sind Verwalter dieses Vermögens mein Gemahl und der Notar August Strom in Ung.-Hradisch. Hat mein Sohn das 18. Lebensjahr erreicht, kann er mit diesem Vermögen nach Belieben verfahren. Stirbt er jedoch vor seinem achtzehnten Lebensjahre, so fällt dieses Vermögen nach dem Tode meines Sohnes meinem Gemahl zn/ Nun, Graf, ist es so richtig?" „Ganz richtig, Majestät. So stand es wörtlich im Testamente meiner Frau. Leider aber verschied mein Sohn wenige Monate nach seiner Geburt." „Wirklich? Seine Frau ist aber ganz anderer Meinung. Er hat Seine Frau hinter Schloß und Riegel gehalten und der Dienerschaft gesagt, die Gräfin sei verrückt. Er wollte die Arme durch schlechte Behandlung zn Grunde richten, mit andern Worten gesagt,sie ins Grab bringen." „Majestät —" „Laß Er mich aussprechen! Er hat die Mutter von ihrenl Kinde getrennt, jene fand aber dennoch Gelegenheit, ihr Kind wenigstens einmal im Tage zu sehen. Das Knübleiu war vollkommen gesund — da fand die Mutter eines Tages in der Wiege anstatt ihres blühenden Kindes einen Leichnam." „Mein Söhnchen starb plötzlich —" „Es war aber nicht der Leichnam des kleinen Maximilian, der in der Wiege lag. Ein ganz fremdes, todtes Kind lag darin. — Graf, das Auge der Mutter läßt sich nicht täuschen." „Majestät, es war mein Söhnchen." „Nein, es war nicht Sein Sohn!" „Majestät, mein Sohn ist todt.—" „Nein, Sein Sohn Maximilian lebt!" rief Kaiser Josef dem znsammenfahrcn- deu alten Grafen zn. „Ja, ja, Graf, Sein Sohn lebt! Freut Er sich nicht darüber? Nun möcht' Er wohl auch erfahren, wie ich zur Kenntniß dieser Thatsache kam? Die Sache geschah ganz einfach. Der in der Cassette liegende Brief Seiner ersten Frau an ihren Oheim veranlaßte mich, Nachforschungen bezüglich SeinesSohnes anstcllen zu lassen. Und das Resultat war wirklich überraschend. So erfuhr ich, daß zu jener Zeit armen Bauerslenten im Orte Hron ein Söhnchen starb, das im ungefähren Alter mit Seinem Sohne Maximilian stand. Der Leichnam des Bauernkindes wurde zur Nachtzeit gestohlen. Soll ich Ihm sagen, wer der Dieb war? Sein Kammerdiener war's, dieser saubere Monsieur Champeler! Dieser alte Schurke stahl den Leichnam, brächte ihn in das Schloß, legte ihn in die Wiege und am nächsten Morgen hieß es im Schlosse, der junge Graf sei zur Nachtzeit plötzlich gestorben. Die Wahrheit war aber, daß dieser Schurke, Monsieur Champeler den kleinen gesunden gräflichen Knaben Waldhütersleuten, die in einer ganz vereinsamten Hütte im Walde lebten, zur Pflege übergab. Der Bauernknabe wurde mit Pomp als gräfliches Kind beerdigt, und Er, Graf, hat wenige Tage nach dem Begräbniß nichts Eiligeres zu thun gehabt, als die 100.000 Gulden, die Seine Frau für ihren Sohn bei dem Notar Strom deponirte, an sich zu nehmen. Protestiren Maria HHeresta's Meihnachtsfest.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2