Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

20 21 kostbare Spitzen sah man an ihm, wohin das Auge siel. Kreideweiß war auch sein Antlitz, das über Nacht um zehn Jahre älter geworden zu sein schien. An seiner Seite war das Bärbl in ihrem gewöhnlichen Sonntagsstaat. Ihr Aüssehen war keineswegs das einer glücklichen Braut. Sie schaute weder rechts noch links, hielt den Mund fest geschlossen und den Kopf stolz erhoben — so schritt sie dahin neben ihrem reich gekleideten Bräutigam. Und rückwärts gingen noch Wawra und sein Weib, ferner zwei Herren aus dem Schlosse Lemonnier und der Rudi. Dieser ging jedoch nicht mit bis zum Hochaltar, sondern blieb-an einer Säule in der Mitte der Kirche stehen und blickte traurig vor sich hin. Die Priester in goldstrotzenden Ornaten traten aus der Sacristei vor den Hochaltar, Weihrauchwolken wirbelten durch den Kirchenraum, die Menschenmenge hielt den Athem an — die Ceremonie hatte ihren Anfang genommen. Minute um Minute verstrich/ Die Prä- ludien zu der eigentlichen Handlung wollten aber schier kein Ende nehmen. Endlich war der copnlirende Priester an der entscheidenden Stelle angelangt. „Barbara Wawra," wendete" er sich au die Braut, „bist Du Willens, Seiner Hochgeboren dem Herrn Grafen Erwin Lemonnier für Zeit Deines Lebens ein treues, liebevolles Weib zu sein?" „Nein! Niemals!" rief das Bärbl . mit lauter Stimme aus. Das drang durch die tiefe Stille in dem Kirchenranm wie ein schriller Pfiff. Die Leute standen da wie versteinert. Kein Laut, nicht die leiseste Regung! Eine Stille trat ein, l die geradezu beängstigend war | Der Priester, im Glauben, nicht recht j verstanden zu haben, * wiederholte seine ' Frage. , Und wieder rief das Bärbl aus: , „Nein! Niemals! Er hat sich bei i mir unter falschen! Rainen eingeschlichen, - mich demnach belogen und betrogen. Lug i und Trug wäre sein ganzes Leben. Ob 3 i nun Bauer oder Graf — ich verachte i ihn!" ' Und nach diesen mit lauter Stimme gesprochenen Worten schritt das Bärbl > hocherhobenen Hauptes und unbekümmert ' um das Jammern der Eltern, „was jetzt aus ihnen werden soll, wenn sie der Graf sortjage", durch die Menschenmenge zur Kirche hinaus. Die in der Kirche Anwesenden wurden nun plötzlich von einer unbeschreiblichen Panik ergriffen. Ueber Hals und Kops stürzten Alle nach der Thüre, sich immerfort ängstlich umsehend, als ob man fürchte, daß jeden Augenblick eine gräfliche Knute auf die durch harte Arbeit gekrümmten Rücken niedersausen könnte. Doch war diese Angst wahrlich heute ganz unbegründet. Der alte Graf Lc- mounier hätte sich selbst wohl gerne peitschen lassen, wenn er nur schon seinen kaiserlichen Herrn recht weit über die Marken Mährens gewußt hätte. Und was den Sohn betrifft, das junge Gräflcin — nebenbei bemerkt ein recht derber, starknerviger und muskulöser Bursche — der lag in Ohnmacht. Der Schlag, den ihm das Bärbl durch ih> „Nein! Niemals!" beigebracht, war denn doch für ihn zu stark. Im bewußtlosen Zustand wurde er indieSacristei getragen, wo er sich aber — Dank dem vortrefflichen Weine, den man ihm rasch zu trinken gab — schnell genug erholte „So was hab' ich erwartet!" sagte Kaiser Josef zu den. Geheimrath v. Borke. „Das Bärbl ist doch ein kluges Mädchen. Sie hat das frevelhafte Spiel durchschaut, das dieses Gräflein mit ihr trieb Und sie that das Klügste, was sie thun konnte. Freilich hätte sie seinen Antrag schon gestern von sich weisen sollen. Doch schadet es nicht, daß sie ihm diesen Denkzettel vor allen Leuten gab. Die, welche sich auf die Großen, auf die Allmächtigen hier herausspielen, werden durch derlei etwas eingeschnchtert und für das arme Volk ist es eine Mahnung, mehr auf Menschenwürde zu halten und sich nicht zum Thiere erniedrigen zu lassen.— Graf," fugte Kaiser Josef, sich vom Stuhle erhebend, zu dem alten Lemonnier, „Er kmrgt mir dafür, daß Sein Sohn sich an einem der nächsten Tage bei der Reichsassentirungscommission meldet. Leb' ^r wohl! Ich hoffe, daß wir uns bald wieder sehen." Die letzteren Worte begleitete Kaiser -^osef mit einem so strengen und drohenden Blick, daß Graf Lemonnier unwillkürlich zusammenzuckte. Mit schlot- wrnden Beinen gab er seinem kaiserlichen Herrn zum Wagen das Geleite, dann kehrte er in das Schloß zurück, um hier ungestört über das Unheil nachznbrüten, das über seinem Haupte schwebte.-------- Vier Mouate später. In einem Saale vor dem Arbeits- ^abinet Kaiser Josefs II. stand der alte ^Lawra in Gesellschaft eines kaiserlichen Ziunnerhüters. Dem guten Alten, der Uon seinem Gasthause „an der Straße" sucht weiter kam als bis Ung.-Hradisch, schwindelte der Kopf, als er, geleitet von Wut Burgtrabanten, durch die Corridore der Hofburg schritt. Und beim Betreten des Saales, wo man ihn warten hieß, wurde es ihm mit einem Male ganz uugstlich zu Muthe. Er begann zu beben Und getraute sich nicht einen Schritt weiter machen auf dem spiegelglatten Parquet. . „Nur keine Furcht!" ermuthigte ihu Zimmerhüter. „Ihr seid wohl zuni ersten Male in Wien?" . „Ja, Herr. Vor Monaten schon hätte w nach Wien kommen und dem Kaiser "was übergeben sollen. Ich war aber ^'Uals kränklich und mußte meiue Reise "uch Wien immer wieder aufschieben." . „So wollt Ihr das Betreffende jetzt Kaiser einhändigen?" . „Ach nein. Das muß schon längst Z , den Händen des Kaisers sein. So Ritte Juli dieses Jahres waren in meiWirthshause ,an der Straße' zwei sreiude Herren, zwei Tuchmacher aus Sl'l,l,b die mir dringend riethen, einen ^hatz, den ich in Aufbewahrung hatte, u die Häude des Kaisers zu legen. Das uvllte ich auch thun, mußte aber, wie ich schou erwähnt habe, die Abreise wegen Kränklichkeit immer wieder aufschieben. Da, etwa vier Wochen seitdem die beiden Tuchmacher bei mir waren, erschien in meinem Hause ein Herr in Uniform und sagte, daß er vom Kaiser beauftragt sei, den Schatz von mir zu übernehmen. Der Kaiser soll von dem Schatze Kenntniß erhalten haben durch den Geheimrath von Borke und dieser wieder von zwei Tuchmachern aus Brünn. So sagte der Herr. Und da ich so lange nicht erscheine, so schicke der Kaiser um den Schatz. Ich trug zwar Bedeukeu, doch imponirte mir der Herr derart, daß ich ihm schließlich den Schatz ausfolgte. Ob ihn der Kaiser erhalten hat, das weiß ich bis zur Stunde nicht." „Und da wollt Ihr Euch diesbezüglich jetzt erkundigen?" „Warum ich hier bin, weiß ich selbst nicht," versetzteWawra in kläglichem Tone. Vor einigen Tagen kam ein Herr vor mein Gasthaus vorgefahren und sagte, es sei Befehl des Kaisers, daß ich mit ihm, nämlich dem Herrn, der mir den kaiserlichen Befehl überbrachte, nach Wien fahren soll. Was ließ sich da thun als gehorchen? Am nächsten Tage trat ich also an der Seite des Herrn die Reise nach Wien an, wo wir gestern spät Abends eintrafen. Ich übernachtete in einem Gasthaus, von wo ich heute früh abgeholt und hierher geleitet wurde." „Ihr wißt doch, wo Ihr Euch jetzt befindet?" „Ich denke, in der kaiserlichen Hof- bnrg zu Wien." „Und in jenem Cabinet," sagte der Zimnierhüter leise, indem er auf eine Thüre wies, „befindet sich Seine Majestät der Kaiser." Wawra zuckte äugstlich zusammen. „Habt Ihr schon den Kaiser gesehen?" fragte der Zimmerhüter. „Nein, niemals!" „Auch nicht einmal im Bilde?" „Nein." „Nun, Ihr werbet ihn bald zu sehen bekommen. Still! Man kommt!"

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