Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

14 Ziel und Zweck meiner Fahrt. Ich konnte bloß sagen, daß ich nach Wien will. Er muß jedoch Verdacht geschöpft haben. ,Wenn Du nach Wien oder sonstwo reisen willst/ sagte er brüsk, ,mußt Du dazu von mir, Deiner Gutsherrschaft, erst die Bewilligung erhalten. Und die ertheile ich Dir nicht/ Etwas gereizt bemerkte ich: /Aber ich habe etwas dem Kaiser zu übergeben/ Er blickte mich groß an, forschte mich aus, und als er merkte, daß aus mir nichts heraus- zubringen sei, sagte er zornig: ,Jetzt erst recht darfst Du nicht fort. Und glaubst denn Du, daß auch Bauern bei dem Kaiser Zutritt haben? Um eine Audienz zu erlangen, muß man gar mächtige und einflußreiche Freunde bei' Hofe besitzen. Pack Dich, alter Narr und lass' es Dir ja nicht mehr einfallen, ohne meine Erlaubniß eine Reise unternehmen zu wollen? So bin ich denn noch immer im Besitze des Schatzes, mir zur Qual und zur Sorge." „Und was enthält die Cassette?" „Wenn ich das wüßte! Ein gar künstliches Schloß ist an der Cassette angebracht, diese ist versperrt und einen Schlüssel hat mir die Gräfin nicht übergeben. Entweder hat sie den Schlüssel auf ihrer Flucht verloren oder er befand sich in ihren Kleidern, die ich nicht untersuchte, und sie hat vergessen, mir ihn einzuhändigen." Bei den letzten Worten des Wirthes ließ sich auf der Straße das Geräusch näherkommender Wägen vernehmen. Der Wirth trat an ein Fenster und kaum, daß er einen Blick die Straße entlang geworfen hatte, fuhr er, bleich im Antlitz und zitternd am ganzen Körper, vom Fenster zurück. „Um Gotteswillen!" rief er vom Schrecken erfaßt aus. „Der Herr Graf Lemonnier! Was mag er bei mir wollen? Mir wird es grün und gelb vor den Augen — es war noch immer ein Unglückstag, wenn sich der Graf in meinem Hause sehen ließ." „Rasch! Nehmt dieses Blatt Papier," sagte Kaiser Josef zu dem plötzlich ganz verwirrten Wirthe. „Begebt Euch an einem der nächsten Tage nach Wien und fragt in der Hofburg nach dem Burghauptmann. Diesem händigt Ihr das Blatt Papier ein und man wird Euch sofort zu dem Kaiser führen." Mechanisch schob der Wirth das Blatt Papier in die Innentasche seines Wamses und eilte mit gezogenem Käppchen und schlotternden Beinen in den Flur hinaus. Alsbald betraten die Gaststube Graf Lemonnier, Geheimrath v. Borke und der tiefgebückte zitternde Wawra. „Geht," sagte Graf Lemonnier gleich an der Thüre zu dem Wirthe, „geht, laßt uns allein und sorgt dafür, daß wir nicht gestört und auch nicht belauscht werden. Ich habe mit diesen Herren zü sprechen." Nicht schnell genug konnte sich der Wirth zurückziehen. In der Gaststube trat eine unheimliche Stille ein. Geheimrath v. Borke stand regungslos im Hintergründe, Graf Lemonnier, der kaum zu athmen wagte, erwartete mit Angst und Bangen die Ansprache des Kaisers, der finsteren Blicks zur Seite schaute. Plötzlich erhob Kaiser Josef seine Augen zu dem aschfahlen Gesichte des Grafen. „Weiß Er denn, Graf, was Sein Sohn hier für Allotria treibt —?" „Majestät," versetzte der Graf Le- monuier mit zitternder Stimme, „ich hatte keine Ahnung von dem tollen Streiche meines Sohnes. Erst durch Seine Excellenz den Herrn Geheimrath —" „Erfuhr Er nun die saubere Geschichte. Das ist ein Beweis, wie väterlich besorgt Er die Schritte seines Sohnes überwacht. Geht so ein Gräflein darauf aus, armen tugendhaften Mädchen ihr einziges Gut, das sie besitzen, ihre Ehre und ihren unbefleckten Ruf, zu stehlen! Und um sicherer ans Ziel zu gelangen, wählt man Verkleidungen, iräsentirt einen fremden Mann als Vater und verspricht hoch und theuer die Heirat, an die man nicht im Entferntesten denkt. Na, diesmal soll es dem Verführer nicht zum Besten bekommen .... Sag' Er dem Wirthe, dieser möge uns den .Franzl' herschicken, aber ihm nicht sagen, daß sich hier Graf Lemonnier befindet. Sonst lauft uns der junge Held vielleicht noch davon." Graf Lemonnier ging wankenden Schrittes zu dem Wirthe hinaus, kehrte nach wenigen Augenblicken zurück und ein Weilchen später erschien in der Thüre der Gaststube der junge Graf Lemonnier, vulgo Franz! Hochstetter. Als dieser seinen Vater erblickte,wurde er wohl leichenbleich im Antlitz und zuckte zusammen. Doch währte dieser Schrecken uur wenige Augenblicke. Trotzig erhobenen Hauptes trat er vor und mit spöttisch gekräuselten Lippen wollte er zu sprechen anheben. Da rief ihm sein Vater zu: „Unglückseliger! Was machst Du für lolle Streiche? Auf die Knie! Auf die Knie nieder! Du stehst vor Seiner Majestät, unserem allergnädigsten Kaiser Und Herrn!" Es war augenscheinlich, daß der junge Mann nicht wußte, was er von den Worten des Grafen Lemonnier halten wll. Bald fiel sein Blick auf den in der Mitte der Stube mit verschränkten Armen flehenden .Tuchmacher', der jetzt gar ernst Und strenge d'reinschaute, bald wieder schaute er seinen Vater an, in dessen erschreckend bleichem Antlitz sich eine unsägliche Angst spiegelte, und so flogen seine Augen eine Minute lang von Einem zum Anderen. „Unglücklicher!" rief der alte Gra ^uit bebender Stimme seinem Sohne aber Ufals zu. „Fall' auf die Knie nieder und ditte Seine kaiserliche Majestät um Gnade!" Nun blieb der Blick des jungen Mannes auf dem Antlitz des Kaisers ^ie festgebannt haften. Und jetzt erst Außte er in diesem den Kaiser, den er /isher allerdings nur im Bildnisse gesehen, erkannt haben. 15 Wie von einer unsichtbaren, unwider- tehlichen Macht zu Boden gedrückt, sank er im Bewußtsein seiner Schuld auf beide Knie nieder. Ihm fiel plötzlich ein, was er im Wagen gesprochen und er konnte nicht daran zweifeln, daß er von dem Kaiser und dessen Begleiter gehört und verstanden wurde. „Er hat dem Bärbl das Heiraten versprochen," sprach endlich der Kaiser zu dem auf dem Boden Knienden. „Nun, das an und für sich wäre ja kein Vergehen. Sage Er jetzt dem Bärbl in Anwesenheit der Eltern wer Er ist, wiederhole Er seinen Heiratsantrag, und nimmt Ihn das Bärbl zum Mann, dann ist's ja recht. Die Vermählung kann gleich morgen stattfinden, dort in der Klosterkirche zu Hron. Wir werden der Ceremonie beiwohnen. Und der Graf, Sein Vater, wird schon dafür Sorge tragen, daß das junge Ehepaar sein standesgemäßes Auskommen hat. Weigert sich aber das Bärbl, einem Grafen als eheliches Gemahl an- zugehören, dann," sagte der Kaiser mit erhobener Stimme gegen den jungen Lemonnier, „dann wird Er sich übermorgen nach Wien begeben und dort bei der Reichsassenürungscommission melden. Es wird Ihm gar nicht schaden, wenn Er im kaiserlichen Heere vom Gemeinen auf dient. Nun kennt Er meinen Willen. Dasselbe Schicksal hat auch Sein Spezi, dieser glatte Marquis de Vaux zu erwarten. Und lass' Er es sich in Zukunft ja nicht beifallen, Verlangen nach fremdem Eigenthum zu tragen. Er erinnert sich, was Er im Wagen in Bezug eines gewissen Schatzes gesprochen hat?" Beide Lemonnier waren wie vernichtet. Denn Eines war für Beide ebenso furchtbar hart wie das Andere. Entschied sich das Bärbl für den jungen Grafen, so war diese Mesalliance aus so manchen Gründen das Unglück, ja vielleicht der Untergang der gräflichen Familie. Und mußte der junge Graf als Gemeiner beim Militär dienen — was war da für den schlechterzogenen, leichtlebigen, ungehorsamen Mann zu erwarten? Harte Arbeit.

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