Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

12 13 Stube, wo sie wie entseelt auf einem Stuhl zusammenbrach. Ich führte die Lampe vor ihr Antlitz. Allmächtiger! Ich glaubte, mich treffe der Schlag.'Es war in der That die Gräfin Lemonnier, die erste Gemahlin meines Gutsherrn, des Herrn Grafen Lemonnier. Jammervoll war der Zustand, in dem sie sich befand. Mein Weib machte rasch ein Bett zurecht, wir brachten sie hinein und als ich bemerkte, daß sie nach dem mitgebrachten Gegenstände tastete, legte ich ihn an ihre Seite Was nun beginnen? Es war nahezu Mitternacht und draußen ein abscheuliches Wetter. Mein Weib rieth, den Morgen abzuwarten, vielleicht daß wir durch die Gräfin selbst erfahren, was wir machen sollen, und diesem Rathe fügte ich mich auch." „Die Gräfin verfiel in einen unruhigen Schlummer, aus dem sie gegen die dritte Morgenstunde aufwachte. Ihr gläserner Blick irrte in der Stube umher. ,Wo bin ich?' fragte sie mit matter Stimme. .Im Hause des Pächters Wawra, gnädigste Frau Gräfin,' sagte ich." „,Ach ja, jetzt entsinne ich mich,' sprach sie. ,Jch konnte nicht mehr weiter, meine Füße wurden mir schwer wie Blei. Der Graf ist in Wien, ich benützte diese Gelegenheit, um aus dem Schlosse zu entstiehen, wo ich eine Gefangene war. Mein Gemahl wollte, daß ich für irrsinnig gelte und Alles hielt mich dafür und behandelte mich wie eine Tolle. O was habe ich gelitten!' Sie schloß die Augen und verharrte einige Minuten regungslos. .Plötzlich rief sie mich zu sich. ,Wawra,' hub sie an, sich weiß, Ihr seid ein rechtschaffener Mensch, meine Kräfte schwinden, ich fühle es, daß mein Leben nur noch nach Stunden zählt — wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen?' Ich versprach es und sie fuhr fort: .In dieser eisernen Cassette,' sagte sie, indem sie auf den umwickelten Gegenstand an ihrer Seite wies, .ist ein Schatz von ziemlich hohem Werthe. Mein Gemahl weiß nichts von ihm, da ich diesen Schatz vor seinen Augen immer verborgen hielt. Der Inhalt der Caffette ist auch nicht Eigenthum meines Gemahls, sondern mein Eigenthum, über das ich ganz nach meinem Gutdünken verfügen kann. Nun horcht gut auf das, was ich Euch sagen werde: Ob man mich lebend aus diesem Hause fort« schafft oder als Leiche, Ihr behaltet die Caffette und sagt Niemandem, am wenigsten aber dem Grafen, meinem Gemahl, was Ihr von mir erhalten habr. Und sobald es Euch nur möglich ist, macht Ihr Euch auf den Weg nach Brünn, dort sucht Ihr meinen Onkel, den pensionirten Rittmeister und Gutsbesitzer Franz v. Horovitz auf, und nur m dessen Hände allein dürft Ihr die Cassette legen. Ihr werdet dafür gut belohnt werden. Wollt Ihr so thun, wie ich Euch heiße, so müßt Ihr mir darauf einen Schwur leisten.' Ich leistete den Schwur, nahm, die Cassette in Empfang und verbarg sie vorläufig in einer anstoßenden Kammer. In die Stube wieder zurückgekehrt, winkte mich die Gräfin zu sich heran und sprach mit leiser, kaum mehr vernehmbarer Stimme: ,Jch glaubte, bis zur nächsten großen Poststation zu kommen, um von dort nach Brünn weiter- znfahren. Es war nicht möglich, mit mir geht es zu Ende. Wawra,' flüsterte sie, .mein Söhnchen ist nicht todt, es lebt. Man hat ein todtes Kind untergeschoben und meinen lebenden, gesunden Sohn aus dem Schlosse gebracht. Dies Satanswerk bereichert den Grafen um eine Million. Wawra, forscht nach meinem Söhnchen, Gott wird es Euch lohnen. Und hier nehmt, nehmt für Eure Mühe, ich schenke es Euch.' Und mit diesen Worten überreichte sie mir ein Beutelchen, in dem ich etwas über. 500 Dukaten vorfanden. Nun sprach sie kein Wort mehr und am nächsten Tage Früh war sie eine Leiche. Der Graf kehrte aus Wien zurück, eben als die sterblichen Ueberreste seiner Gemahlin in der Familiengruft beigesetzt wurden." Kaiser Josef backe mit Aufmerksam- keck der schlichten Erzählung des Wirthes zugehört. Ab und zu zogen sich seine Brauen zusammen und seine Lippen juckten, sonst verrieth nichts seine innere Erregung. »Wißt Ihr vielleicht etwas Näheres über die erste Gemahlin des Grafen?" fragte er endlich. „Herr, nicht viel. Das weiß ich, daß fie eine Waise war, aus bürgerlichem Hause stammte und daß sie, wie es allgemein hieß, ein enormes Vermögen besaß. Hübsch wie ein Engel war sie und mildherzig wie eine gütige Fee. So aft sie an meinem Hause vorüberfuhr, nickte sie lächelnd gegen die Fenster und stand ich draußen, richtete sie einige freundliche Worte an mich und an mein Weib. Die kurze Ehe soll, wie man wrach, keine glückliche gewesen sein. Die Gräfin gab einem Söhnchen das Leben und einige Monate darauf starb sie, wie Euch bereits bekannt, in meinem Hause." „Und bald darauf heiratete der Graf abermals — ?" „Vier Monate nach dem Tode seiner ersten Frau,. Und auch diese Ehe soll uicht glücklich gewesen sein. Die Arme genas, eines Knäbleins — es ist der Thunichtgut, der jetzt noch am Leben ist 77 und einige Monate darauf ver- schled sie." . „Was kann es für ein Bewandtniß üut dem untergeschobenen Kinde haben, besten die erste Gemahlin des Grafen kurz vor ihrem Tode erwähnte?" - „Herr, das ist mir selber ein Räthsel. glaube, die arme Frau war schon Ulcht mehr im Vollbesitze ihrer Sinne, sie jenes sprach. Um aber auf den Schatz zu kommen —" „Redet! Wie kommt es, daß er sich uoch in Euren Händen befindet?" - „Nun seht, wenige Tage nach dem ^-ode der Gräfin machte ich mich mit er Cassette auf den Weg nach Brünn, ex0 idj auch bald die Wohnung des kels der Gräfin, des Herrn Franz • Horovitz, gefunden habe. Doch dieser just verreist und ich durfte, meinem schwüre getreu, nur dem Herrn Franz ' • Horovitz die Cassette einhändigen. Die Dienerschaft sagte, sie werde unverzüglich dem Herrn Mittheilung machen von dem, was ich ihm zu übergeben habe, und zweifellos, daß er nach seiner Rückkehr mich aufsuchen kommen wird. Ich wartete ein Jahr, es kam Niemand. Ich fuhr wieder nach Brünn. Der Erfolg war der nämliche. Der Herr war verreist. Bei meiner dritten Anwesenheit hieß es, Herr v. Horovitz habe eine große Reise unternommen, sei erkrankt und liege in einem Hospital einer Stadt in Frankreich. Ich möge nur nach Hause zurückkehren, Herr v. Horovitz werde sich schon selbst die Cassette bei mir abholen. Ich wartete Jahr um Jahr, es kam Niemand. Und als ich wieder einmal nach Brünn fuhr, erhielt ich die Nachricht, daß Herr v. Horovitz in Frankreich gestorben sei. Nun stand ich da mit dem Schatze. Wem diesen übergeben? Dem Grafen Lemonnier? Ich mußte doch schwören, daß ich gerade dem Grafen kein Sterbenswörtchen von der Cassette verrathe. Ich entschloß mich endlich, den alten Notar in der Stadt, den gewesenen Rechtsfreund der ersten Gemahlin- des Grafen Lemonnier, in dieser Angelegenheit um Rath zu fragen. Der Notar, ein Ehrenmann durch und durch, sagte mir, daß ich mich nach Wien begeben und den Schatz in die Hände des Kaisers legen möge. Dem Grasen, sagte er, dürfe ich die Cassette nicht einhändigen und sonst sind nach der Gräfin keine Erben hier. Es bleibt demnach nichts Anderes übrig, als den Schatz entweder der competenten Behörde zu übergeben oder aber dem Kaiser. Und letzteres sei rathsamer. Denn wer weiß, welch ein Geheimniß die Cassette berge." Kaiser Josef nickte mit dem Haupte. „Der Notar hat gut gerathen," sagte er. „Zu was habt Ihr Euch entschlossen?" „Den Schatz in die Hände des Kaisers zu legen. Ich war auch schon zweimal auf dem Wege nach Wien und jedesmal begegnete mir auf der Straße der Graf Lemonnier und forschte mich aus über

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