Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

6 Nahmen Platz an einem Tische, der an einem der zwei Fenster stand, die in den hinter dem Hause liegenden Küchengarten führten. Von diesem Tische aus ließ sich auch das in dem Garten stehende einfache Gartenhaus, dessen vorderer Theil ganz offen war, genau überblicken, und wohl aus diesem Grunde hatte Kaiser Josef sich gerade an diesem Tische niedergelassen. Die Wirthin, eine nett und reinlich gekleidete rundliche und freundlich d'rein- blickende Frau, erschien und fragte die Herren, ob sie mit einem Imbiß auf- warten dürfe. „Leider aber," fügte sie hinzu — „kann ich nur mit Rauchfleisch, Eier, Butter und Käse dienen. Es ist eben ein Wirthshaus ,an der Straße' und wird zumeist nur von Fuhrleuten besucht." „O, wir sind nicht verwöhnt. Bringe Sie nur, Frau Wirthin, was Sie hat," sagte Kaiser Josef. Und seinen Blick auf ein Mädchen richtend, das mit zwei Weinkrügen in der Hand eben die Gaststube betrat, rief er voll aufrichtiger Bewunderung: „Ei, ist das ein schmuckes Kind! Wer ist es denn?" „Das Bärbl, meine Tochter!" versetzte die Wirthin nicht ohne Stolz. Ja, das Bärbl konnte sich sehen lassen Rein Milch und Blut! Die Augen blau wie der Himmel und so treuherzig, daß man in ihnen bis auf den Grund der Seele lesen konnte. Und wie herrlich ihr das blausammtene Mieder und der bunte Rock und die Halbschuhe mit Kreuzbändern standen. Es ließ sich nicht leugnen, Graf Lemonnier, der kaum zweiundzwanzigjährige Mann, hatte in Beurtheilung weiblicher Schönheit Kenntniß und Geschmack. Das Bärbl stellte die Weinkrüge auf den Tisch vor die beiden Gäste und sagte mit ungemein wohlklingender Stimme: „Wohl bekomm's den Herren!" Dann wandle sie sich dem Grafen zu. „Aber, Franzl, bei einem solchen Wetter!" sagte sie, was aber keineswegs wie ein Vorwurf klang. „Es hat mich ja unterwegs überrascht," bemerkte er lächelnd. „Aber willst Du mir nicht auch einen Krug Wein bringen? Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet." Das Bärbl eilte hinaus. „Den Wein will ich aber im Gartenhanse trinken," rief er ihr nach. „Es gießt ja wie aus Scheffeln. —" „Was schadet das? Oder hast Angst vor den paar Wasserköpfen, die auf Dich nicderfallen dürften?" „Ach nein. Aber-------- " Sie sprach nicht aus, sondern eilte hinab in den Keller. Alsbald sah man sie mit einem Kruge Wein nach dem Gartenhäuschen eilen, in dem sie der „Franzl"' bereits erwartete und der sie nun nicht mehr von sich fortließ. In der Gaststube befanden sich jetzt nur noch der Wirth, Kaiser Josef und der Geheimrath von Borke. Andere Gäste waren zur Zeit nicht anwesend. Ueber Einladung der beiden Herren , nahm der Wirth an ihrem Tische Platz und stand willig Rede und Gegenrede. „Ja." versetzte er auf eiue diesbezügliche Frage, „dieses Haus, der Garten und ein paar Joch Ackergrund, den ich bebaue, ist Eigenthum des alten Grafen Lemonnier. Ich bin hier bloß Pächter und das schon an die fünfundzwanzig Jahre." „Aber Robottarbeit müßt Ihr für den Grafen nicht verrichten?" „Eigentlich brauchte ich eine solche Arbeit nicht zu leisten. Vor zwanzig Jahren schon kaufte ich mich beim Grafen vom Robottdienste frei für 150 Dukaten- Und für dieselbe Summe auch beim Kloster im Dorfe Grub, das von hier etwa eine halbe Stunde Weges entfernt liegt. Ihr könnt von hieraus den Thurm der Klosterkirche sehen. Ich kam damals auf unverhoffte Weise zu einem Vermögen von 500 Dukaten," sagte der Wirth etwas verlegen, als er die auf ihn gerichteten forschenden Blicke seiner Gäste wahrnahm. „Den größten Theil dieses Vermögens gab ich also her, um von der Robott frei zu sein, und was hat es genützt? Meine Leute müssen doch auf den Feldern des Grafen arbeiten und so auch auf den Feldern des Klosters." „Und was erhalten die Leute per Tag?" fragte Kaiser Josef. Der Wirth blickte fast mitleidig auf die „unwissenden" Gäste. „Was sollen die Leute erhalten?" versetzte er endlich. „Schläge, wenn sie nicht tüchtig zur Arbeit schauen." „Und kein Geld?" „Nicht einen rothen Heller. Und den Zehent muß ich auch noch jetzt wie früher an das Kloster abliefern, wenn auch jetzt in anderer Form." Bei den letzten Worten des Wirthes betrat die Gaststube ein auffallend hübsch gebauter Bursche von etwa vierundzwanzig Jahren. Was den Gästen zunächst an diesem Burschen auffiel, war dessen classisch geformter Kopf. Eiue so zierlich gebogene Nase, tiefschwarze Augen, Uefschwarzes Kraushaar und ein so feines, schmales, blasses Gesicht, wie dieser junge Mann besaß, war wahrlich eine Seltenheit an einem Bauer aus der Hanna. „WohlEuerSohn?"fragteKaiserJosef. „Nein, Herr," versetzte der Wirth, „mein Sohn ist es nicht, obschon er meinem Herzen nahe steht wie ein eigenes Kind. . . . Du kommst gewiß um die großen Zinnkrüge, Rudi, nicht wahr?" wandle er sich an den jungen Mann. „Na, nimm sie nur und scheu're sie hübsch blank. Kannst es in der Küche machen. Ja," fuhr der Wirth gegen die Gäste fort, als der junge Mann draußen war, „ich hab' an dem Rudi eine rechte Freude. Er ist anstellig, arbeitsam, gutherzig und bescheiden." „Und ein strammer, hübscher Junge." „Ja, das ist er auch. Ein Knabe von vielleicht fünf Jahren war er, als man ihn in mein Haus gebracht hat. Seme Eltern, Waldhütersleute auf dem Gute des Herrn Grafen Lemonnier, waren blutarme aber rechtschaffene Menschen, die nur dieses einzige Kind hatten. Ich hab' die Leute recht gut gelaunt. Beide starken im Laufe einer Woche und mir hat mau ihr Bübchen gebracht. Damals war mein Bärbl noch nicht am Leben, sonst war auch kein Kindersegen da, so nahm ich den hübschen Knaben in mein Haus, und wahrlich, ich habe es bis zur Stunde nicht zu bereuen gehabt." „Aber daß er so blaß, so traurig aussieht. —"

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