Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

2 immerhin für einen gutsituirten Fleischer nehmen können. „Ja, mein lieber Borke/' fuhr der Kaiser in seinem Gespräche fort, indem er seinen Blick sinnend über die unabsehbare kornbesäete Ebene schweifen ließ, „dieses Mähren wäre in der That ein gottgesegnetes Stück Erde. Im weiten Umkreise nichts wie fruchtstrotzende Felder. Der Landmann hier findet seinen Fleiß herrlich belohnt. Aber, wer steckt den Gewinn, den Lohn all dieser Mühen und Plagen ein? Zum Theile die Klöster, zum Theile die Gutsherrschaft, habgierige Pächter bereichern sich ebenfalls an dem Schweiße der Armuth und der arme Landmann, der in Sonnenglut wie bei Eiseskälte dem Boden zu entringen strebt, was nur dieser zu geben vermag, muß darben, preisgegeben der Willkür herzloser, träger und genußsüchtiger Menschen. Das sind beklagens- werthe Zustände. . . Hört Er, Borke? Es ist, wie wenn der Himmel selbst ob dieser Verhöhnung aller Menschenrechte grollen würde." Ein Donnergeroll, langsam in der Weite verhallend, zog durch die Lüfte, worauf plötzlich eine geradezu beängstigende Finsterniß eintrat. DieHerrenblicktenrasch nach aufwärts. Vor wenigen Minuten noch war heller Sonnenglanz und im tiefblauen Aether kräuselten sich nur einige leichte Wölkchen, und jetzt schob sich oben ein schwarzes schweres Ungethüm von einer Wolke, die mit jedem Augenblick an Größe zunahm. „Ein Gewitter im Anzüge! Und kein Obdach zu sehen, so weit das Auge reicht!" sagte der Geheimrath Borke, wobei sein Auge ängstlich suchend in der Runde schweifte. „Und unser Wagen steht im Posthause, das von hier mehr denn zwei Stunden Weges entfernt ist. Ja, Borke," meinte lächelnd der Kaiser, „da wird nichts anderes übrig bleiben, als daß wir armen Sünder die Sündsluth von oben geduldig über uns ergehen lassen." „Ein Wagen!" rief triumphirend der Geheimrath, indem er auf eine Staubwolke auf der Straße wies. „Soll ich dem Rosselenker den Befehl ertheilen, daß er Eure Majestät in das Posthaus zurttckführt?" „Vergesse Er nur nicht, daß wir hier zwei schlichte Bürgersleute sind, die in Geschäftsangelegenheiten in dieser Gegend weilen. Wenn das Gespann für Geld und gute Worte zu haben ist, dann meinetwegen." Ein kleiner Leiterwagen, überdacht mit einer Theerplache und bespannt mit zwei feisten Rossen, näherte sich in raschem Tempo den beiden auf der Straße stehen gebliebenen Herren. Auf dem Brette am Rande der aufgespannten Plache saßen zwei junge Männer in der kleidsamen Tracht der Bauern aus der Hanna. Beide plauderten lachend und schienen die zwei Männer auf der Straße gar nicht zu beachten. „Heda!" rief Kaiser Josef den Burschen zu, als das Gefährte in die Nähe kam, „wollet Ihr uns nicht für gute Bezahlung in das Posthaus zwei Stationen von hier entfernt zurückfahren?" Der Rosselenker riß die Zügel an. Die Pferde blieben stehen und nun schauten die beiden Bursche keck musternd die zwei Fremden an, dann blickten sie sich unter eigenthümlichem Lächeln einander in die Augen. „Nun, wenn Ihr gut bezahlt," versetzte endlich der Bursche, der die Zügel in der Hand hielt, lachend, „warum denn nicht? Wie viel bekommen wir für die Fahrt? Einen Groschen? Zwei Groschen?" „Wir zahlen Euch einen Theresien- thaler" „Potz! Da sind wir dabei! Einen ganzen Theresienthaler!" riefen die Burschen lachend. „Aber," fügte der Rosselenker hinzu, „Ihr müßt erst mü uns fahren in das Gasthaus der Johann Wawra „Zum goldenen Löwen". ES steht an der Straße, kaum eine halbe Stunde von hier entfernt. Ich habe dort zu thun und dann — ja dann, wenn ich meine Geschäfte im .Löwenwirthshaus' erledigt hab', dann fahre ich zurück und bringe Euch mit meinem Wagen bis an Euer Posthaus, an dem ich ohnehin vorüber muß." Der junge Bursche, der dieses sprach, wendete sich dann lachend seinem Gefährten zu und sagte zu diesem in französischer Sprache: „Na, die können lange warten, bis ich das Löwenwirthshaus verlasse!" Dem Kaiser war schon früher die bleiche Gesichtsfarbe und die schmalen weißen Hände der zwei Burschen ausgefallen; nun aber, wo er die Beiden in französischerSprachemiteinander plaudern hörte, war die Neugierde, diese zwei seltsamen Bauernjungen näher kennen zu lernen, bei ihm derart rege geworden, baß er, ohne eine weitere Einladung ab- zuwarten, den Wagen bestieg. Geheimrath v. Borke erkletterte keuchend und pustend gleichfalls das Gefährte und dieses setzte sich wieder in Bewegung, eben als die ersten Regen- kropfen, groß und schwer wie Flinten- kugeln, aus dem schwarzen Wolken- vngethüm zur Erde niederprasselten. „Wer ist man denn? Woher kommt wan denn?" fragte der junge Bursche, ber die Zügel hielt, indem er sein spöttisch lächelndes Gesicht nach dem Innern des Wagens wandle. „Wir Beide sind Tuchmacher aus ^rünn und jetzt in Geschäftsangelegen- heiten^ unterwegs nach Wien," versetzte Kaiser Josef. „Unser Wagen hat bei einem Anprall an einen Meilenstein Schaden genommen, im Posthause wird er nun M gemacht. Mittlerweile unternahmen lvir einen Ausflug, ja, und da hat uns bas Gewitter überrascht." „ ,.Jm Löwenwirthshaus könnt Ihr schöneres Wetter abwarten," sagte der Bursche. Und zu seinem Nachbar gewendet, bemerkte er lachend in franzö- Mer Sprache: „Wird doch der alte ^vwra seine Freude haben, daß ich ihm zwei Spießbürger als Gäste mitbringe. 3 Und mir kann die Sache nicht gelegener kommen. Indeß der Löwenwirth sich mit den Fremden in der Gaststube unterhält, sitze ich mit dem Wirthstöchterchen, mit dem hübschen Bärbl im Gartenhause und wir liebkosen uns nach Herzenslust. Ja, heute oder niemals! Heute endlich muß mir das spröde Bärbl zu Willen sein!" „Und was dann?" fragte der andere Bursche ebenfalls in französischer Sprache. „Was dann?" rief der Befragte voll Hohn. „Ich komme dann einfach nicht mehr zu ihr und die Geschichte hat ein Ende." „Hat sie denn wirklich keine Ahnung, daß Du der Sohn des Grafen Lemonnier bist?" „Das dumme Bauernvolk! Vater, Mutter und Tochter halten mich bis zm Stunde für den Franz Hochstetter, den einzigen Sohn des reichen freien Landmannes Hochstetter, der gar nicht einmal auf Erden' existirt. Und wie steht eS mit Deiner Liebeständelei? Weiß das Förster- röschen noch immer nicht, daß eS einen Marquis de Vaux zum Anbeter hat?" „Schweige, ich bitte Dich! Wenn der alte Förster wüßte, wer ich bin, ich glaube, er würde mich erschlagen. Er hält mich für einen Sohn reicher Landwirthe." „Kannst ja Dein Röschen heiraten!" „So wie Du Dein Bärble heiraten wirst, was?" Nun brachen beide Burschen in ein cynisches Gelächter aus. „Das sind ja recht nette Geschichtchen, die mir da ein glückliches Ohngefähr zu Ohren trägt!" sagte sich Kaiser Josef, der das Gespräch der beiden jungen Leute aufmerksam belauscht hatte. „Der Eine ein Graf Lemonnier und der Andere ein Marquis de Vaux! Und Beide streben darnach, tugendsame Mädchen zum Falle zu bringen. Und deshalb die Verkleidung. Freilich, ein Bauernbursche erreicht bei einer Äauerndirne früher sein Ziel als ein Graf. Einem solchen traut man gleich von Anfang an nicht, da man überzeugt ist, daß der vornehme Herr an eine 1*

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