Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

76 77 unterzogen. Der Bauplatz.auf dem Mönchsberg ist gekauft und die als Theatererbaner rühmlichst bekannten Architecten Fellner und Hellmer haben die Pläne fertiggestellt. In wenigen Jahren wird der schöne Van nach vorliegender Abbildung Zeugniß von der Verehrung der heutigen Generation für das Genie des großen Tonkünstlers ablegen. Um diese Zeit wurde der seitherige erste Sectivnschef im Wiener auswärtigen Amt, La- dislaus v. Szögenyi-Marich, zum ungarischen Minister am Allerhöchsten Hoslager ernannt. Im schönsten Mannesalter von 42 Jahren, als Sohn des jetzigen luäex ouriae von Ungarn, besitzt der neue Minister alle Eigenschaften für diesen heiklen Posten. Aus der Schule Deak's stammend, nahm er schon seit 1861 thätigen Antheil an dem öffentlichen Leben in Ungarn, war nach Absolvirung der Studien Stuhlrichter und wurde bereits 1869 ungarischer Reichstagsabgeordneter. Ladiskaus v. Szögenyi-Marich. Am 16. Mai fand die von den Czechen verunstaltete Industrieausstellung, von welcher sich die Deutschen fern gehalten, in Prag statt. Der Kaiser hatte zwar das Protectorat übernommen, kam aber nicht selbst, sondern sandte den Erzherzog Carl Ludwig zu den Festlichkeiten. Die Eröffnung des Deutschen Hauses in Brünn fand daselbst in den Pfingstfeiertagen in feierlicher Weise statt. Die Deutschen Mährens haben durch die Errichtung dieses Prachtbaues, welcher hauptsächlich der Initiative des Fabrikanten Waniek zu danken ist, einen großartigen Beweis ihrer geeinigten Kraft geliefert. Das Fest gestaltete sich zu einer begeisterten Kundgebung des deutschen Volkes, seines nationalen Wesens und seiner fortschrittlichen Gesinnung. In Prag fand am 18. Mai die feierliche Installation der czechischen Franz Josef-Akademie der Wissenschaften durch Erzherzog Carl Ludwig statt. Vom Culturstandpunkte kann es nur aufs Freudigste begrüßt werden, wenn durch die Opulenz unseres Monarchen den Czechen Gelegenheit gegeben wird, in ernster Weise Wissenschaft und Literatur in czechischer Sprache zu pflegen und die Hebung der heimischen Knnst zu fördern. Einen schrillen Gegensatz zn diesen Tendenzen lieferte die wenige Tage nach diesem Culturfest begangene Rohheit einiger czechischen Studenten, die Fremde, deutsche Besucher ihrer czechischen Ausstellung, beschünpften und mißhandeltet!. Es wird dadurch nur dargethan, 'wie wohl die deutschen Industriellen gehandelt, indem ste dieser Ausstellung fern blieben. Nach obigem Vorgang kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der innere Friede durch diese Abstinenz nur gewonnen hat, da eine gemeinsame Betheiligung nur zu noch größeren Reibungen und Ausschreitungen von czechischer Seite geführt haben würde. Einige hundert Pariser Studenten wurden dagegen am 22. Mai mit frenetischem Jubel ausgenommen und ein förmliches 'Verbrüdernngsfest gefeiert! Ungeheure Sensation in ganz Europa erregte der Ueberfall eines am 1. Juni von Cou- stantinopel abgegangenen Eisenbahnznges, der auf der Station Tscherkeßkiöi von griechische" Räubern angehalten und ausgeplündert wurde. Fünf der Reisenden wurden von denselben fortgeführt und nur gegen ein Lösegeld von 200.000" Francs acht Tage später wieder frm- gelassen. Der Großherr zahlte allerdings diesem Lösegeld, allein dieser Vorgang bestätigte doch nur, wie weit die Türkei noch in der Cultur zurück ist. Der Tod Leopold v. Hasner's, der am 6. Juni Plötzlich in Jschl vom Herzschlag getroffen wurde, hat wohl alle Freunde des For^ schrittes tief ergriffen. Er war einer der gewaltigsten Kämpfer gegen das Concordat. hat die Befreiung der Bauern, die staatliche Ordnung der Ehe und Schule und noch vwle andere Reformen des neugeschaffenen Constitu- tionalismus durchgeführt. Hafner war 1818 geboren, redigirte 1848 die Präger Zeitung uno erhielt dann eine Professur an der Präger un dann an der Wiener Universität. Im Jahre Idvo war er Unterrichtsminister und schuf das neu Volksschulgesetz. 1870 trat er zurück und wackre seither im Herrenhaus. f Mitte Juni begann im Abgeordnetenhaus die Budgetdebatte, welche den Rednern de einzelnen Parteien und Fractionen die Verarg lassung gab, ihre politischen Programme uno autonomistischen Ansprüche zu entwickeln. Neigen eröffneten die Polen durch ihren SpreM Jaworski, der aber merkwürdige UeberraschurE in einer Hinneigung zur Linken und einer Wendung von der clericalen und Czechenparre brächte. Dann folgte der Heißsporn Gregr, ve aber nur neuerdings seine immer schwankem den politischen Ueberzeugungen constatirte. böhmische Staatsrecht, das ihm vordem keru Prise Tabak werth war, erhob er jetzt zu» Palladium der Czechen; die Schulgesetze, für die er noch im vorigen Jahre begeistert eingetreten, gab er wieder den Clericalen Preis, den Deutschen bestritt er das Gefühl für Freiheit und doch sind die Errungenschaften des constitu- tionellen Rechtes nur den Deutschen zu danken! Menger wies ihm dies als Wortführer der deutschen Linken in seiner großen Rede nach. Er wies ihm nach, daß dies ständische böhmische Staatsrecht die ganze Gregr-Partei zu Gunsten einiger Prälaten und Großgrundbesitzer politisch rechtlos machen würde. Er wies ihm nach, was die deutsch-liberale Partei für die freiheitliche Gesetzgebung und Autonomie geleistet, aber er rechtfertigte auch den gegenwärtigen Standpunkt der Linken, die ihre oppositionelle Haltung gegen das Cabinet Taaffe aufgegeben, weil, dasselbe ein' anderes geworden und seine politische Richtung sich geändert habe. Diese Rede war Überhaupt von der höchsten Bedeutung, weil, sie die Schwenkung in andere Bahnen bestätigte und dadurch die seitherige vorwiegend negativ- kritische Thätigkeit der Partei außer Action setzte. Es kann nicht in unserer Aufgabe liegen, den endlosen Verhandlungen über das Budget zu folgen, da es den verschiedenen Fractionen nur Gelegenheit geben sollte, ihren Wünschen und Forderungen Ausdruck zu verleihen. So diel läßt sich heute schon Vorhersagen, die Regierung hat nach zwölfjähriger Geduldsprobe eingesehen, daß auf dem 'seitherigen Wege ein Ausgleich zwischen Deutschen und Slaven nicht Zu erzielen ist. Nicht einmal der wiederholt ausgesprochene Wunsch des Monarchen konnte diese harten böhmischen Schädel zu einer Nachgiebigkeit bewegen. Ihren hochgefeierten Ladis- kaus, der 30 Jahre für die nationale Sache ge- kampft, haben sie von feinem Sockel herabgestürzt und was sie für ihn eingetauscht, hat bereits die Haltung Gregr's angedeutet. Einen sehr sympathischen Eindruck sowohl un Abgeordnetenhaus, wie in der Bevölkerung, wachten die Darlegungen des neuen Finanz- Ulinisters Dr. Steinbach. Er folgte nicht den Spuren "seines Vorgängers, der in seinen Vudget- ^den durch emphatische Phrasen die Finanz- kage immer so glänzend wie möglich darzustellen suchte. Dr. Steinbach malte lieber etwas Grau in Grau, suchte nichts zn vertuschen, sondern verwies offen und ehrlich auf das fortwährende Steigen der Ausgaben und die Verminderung der Ein- Uahmen. Er erklärte aber auch durch Umgestaltung der direkten Steuern eine Reformthätigkeit äu entwickeln, die das Gleichgewicht im Staatshaushalte wieder herstellen würde. Ein weiterer Fortschritt auf dem Gebiete des socialen Lebens vollzog sich durch die Aufhebung des Genossenschaftstages. Dieser Verein hatte lange zum Deckmantel gewerblicher Interessen gedient, dieselben aber in keiner. Weise des ordert, sondern nur Haß gegen einzelne Schichten der Bevölkerung hervorgerufen. Die Generaldebatte über das Budget wurde am 22. Juni geschlossen und das Cabinet Taaffe konnte , wohl die Ueberzeugung gewonnen haben, daß seine seitherigen Kampfgenossen, mit welchen es. zwölf Jahre gegen die Opposition der Deutsch- Liberalen gestritten, es im Stich gelassen haben. Es wird jetzt wissen,daß eine regierungsfähigeMa- jorität nur bei den Deutschen und Polen zu finden ist und. daß nur mit dieser Majorität der Wunsch von Kaiser und Volk nach inner# Frieden erfüllt werden kann. Diese Wendung wird auch Veränderungen im Personalstatus des Cabinets zur Folge haben. Einen wohlthuenden und feierlichen Abschluß findet unsere Jahreschronik für 1890/91 in den Toasten, welcher unser Kaiser-König bei seinem Besuch des englischen Geschwaders während der Festtage in Fiume auf die Königin von England und die englische Flotte ausbrachte; der innige Ton dieser Trinkgespräche besiegelte das vortreffliche Einvernehmen mit Großbritannien und bietet eine neue Gewähr für die Erhaltung des europäischen Friedens. Deutsches Weich. Der größte Mann unseres Jahrhunderts, der Schöpfer des deutschen Reiches — Fürst Bismarck — sitzt grollend in Friedrichsruh und beobachtet mit kritischem Auge die Vorgänge in dem von ihm geschaffenen Reiche. Nur schwer kann man sich ohne ihn eine Regierung denken und das deutsche Volk gab ihm auch bei jeder Gelegenheit die vollgiltigsten Beweise seiner un- geschwächten Sympathie und Verehrung, während Kaiser Wilhelm 11. zum erstenmal die übliche Gratulation zum 77. Geburtstag des großen Mannes unterließ. In dieser Demonstration lag der Beweis, daß zwischen Kaiser und Kanzler die weite Kluft einer Meinungsverschiedenheit klaffte, welche durch den Rücktritt des Letzteren keine Ueberbrückung erfuhr. Der Kaiser setzt das Experiment einer Selbstregierung fort und das deutsche Volk hegt nur den Wunsch eines glücklichen Ausganges sowohl auf diplomatischem wie nationalökonomischen Gebiet. Das Bewußtsein deutscher Zusammengehörigkeit erfuhr am 28. Juni bei der großartigen Feier der Vollendung des Ulmer Domes eine neuerliche Stärkung. 613 Jahre hatte dieses unvergleichliche Bauwerk deutscher Kunst zur Vollendung gebraucht und ohne die vollzogene Einigkeit des deutschen Volkes würde es wahrscheinlich niemals zu Ende geführt worden sein. Zur Feier des als Finanzminister nach Berlin berufenen Bürgermeisters Miguel wurde demselben von der Stadt Frankfurt ein großartiges. Abschiedsfest am 30. Juni bereitet. Die deutsche Colonialpolitik ist noch immer der Gegenstand heftiger Debatten und Kanzler Caprrvi äußerte sich kürzlich über diese Frage dahin, daß er niemals Colonialfreund gewesen ser, daß die Regierung aber nicht mehr von dem

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