Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

74 Um in der äußern Politik gleichzeitig auch eine Klärung anzubahnen, ging Erzherzog Ferdinand d'Este am 7. Februar nach Petersburg, wo er aufs Herzlichste bewillkommnet wurde. Dieser aus eigenem Antrieb unternommene Besuch sollte die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Dynastien noch mehr befestigen nnb ein, Unterpfand des allgemein gewünschten Friedens bilden. Am 10. kehrte der Erzherzog über Moskau nach der Heimat zurück, nachdem er die besten Eindrücke hinterlassen. Nur wenige Tage nach dem Dahinscheiden des großen Gvthikers Schmidt, am 15 Februar, folgte Baumeister' Hansen, der Erbauer des Parlamentsgebüudes. Er cultivirte vorzugsweise den classischen Styl des Helenenthums und hat durch seine genialen Schöpfungen Wien um viele herrliche Bauwerke- bereichert. Hansen war von Geburt ein Däne, 1813 geboren, kam cr schon 1846 nach Wien, wo er sich bald durch Genialität eine Stellung zu erringen wußte. Am 21. Februar schied der ehemalige Reichs- Kriegsminister Graf Bylandt aus dem Leben. 182 t geboren, machte er rasch die militärische Laufbahn durch und schwang sich in den Feldzügen 1848—1866 bis zum Feldmarschall-Lieute- nant empor, 1876 wurde er Kriegsminister, 1882 Feldzengmeister. Unter keinem seiner Vorgänger hatte die Armee so umfassende Veränderungen durchgemacht, wozu hauptsächlich das neue Wehrgesetz beitrug. Die Einheit der Armee und die. deutsche Armeesprache hat er mit unerschütterlicher Festigkeit durchgeführt. Am 17. März folgte Graf Eduard Clam-Gallas, einer der berühmtesten Reitergenerale, seinem Kriegskameraden im Grabe nach. Er war 1803 geboren, machte die italienischen Feldzüge mit größter Bravourmit und war bereits 1849 Feldmarschall-Lieutenant. Auch in dein ungarischen Krieg zeichnete er sich aus. Im böhmischen Feldzug 1866 hatte sein Armeecorps die verhäng- nißvollen Kämpfe bei Podol, Münchengrätz und Gitschin zu bestehen und nach der Schlacht bei Königgrätz wurde er in eine militärische Voruntersuchung verwickelt, jedoch freigesprochen. Seit dieser Zeit trat er in Pension. Im ungarischen Abgeordnetenhause steht eine der wichtigsten Reformen in der Staatsverwaltung auf der Tagesordnung. Mit der verrotteten Comitats-Wirthschaft soll gebrochen und diese Verwaltung durch von der Regierung ernannte staatliche Organe weitergeführt werden. Die Opposition, welche den Fortschritt auf ihre Fahne geschrieben hat, wird also diesmal im reactionären Sinne wirken, obwohl sich selbst der Kaiser-König für diese Reorganisation auf das Entschiedenste ausgesprochen hat. Tiefstes Mitgefühl und innige Theilnahme rief in der ganzen Monarchie der am 12. März erfolgte Tod des Grafen Meran hervor. Er war der einzige Sohn des unvergeßlichen Erzherzogs Johann, des einstmaligen, deutschen Reichsverwesers. Am 30. März wurde das kaiserliche Patent publicirt, welches den Reichsrath auf den 9. April einberief. An diesem Tage wurde die erste Sitzung und Wahl des Alters-Präsidenten Smolka abgehalten; die feierliche Eröffnung durch Se Majestät wurde auf den 12. April bestimmt und erfolgte auch mit großem Promp präcis 11 Uhr. Die Thronrede kündigte eine ganze Reihe von Reform- vorlagen auf wirtschaftlichem Gebiet, in der Justiz- und Unterrichtsgesetzgebung an, auch die Hebung Wiens wurde betont und es sollte die möglichste. Ausgleichung socialer Gegensätze, das Gleichgewicht im Staatshaushalt unter Verzichtleistung aller politischen Parteibestrebungen durch friedliches Nebeneinanderleben erreicht werden Noch niemals hatte eine Thronrede einen so gewaltigen, tiefen Eindruck hervorgerufen, wie diese. Der Monarch hatte die Erhaltung des Friedens im Innern wie Aeußern als die Hauptaufgabe der neuen Legislatur erkannt, allein die Wuth der den Deutsch-Liberalen feindlichen Parteien gewährt dem allerhöchsten Wunsch noch wenig Aussicht auf Erfolg. Wenn das Ministerium sich durch die Neu- wahlen eine entschiedenere Majorität zu schaffen hoffte, so hatte es sich in dieser Voraussetzung gründlich getäuscht. Die Partei der Altczechen, die immer treu zur Regierung gehalten, war vernichtet, an ihre Stelle sind die Heißsporne der Jungczechen getreten,, deren Anforderungen eine constitutionelle Regierung unter keinen Umständen nachgeben könnte. Die Clericalen streben die Herrschaft über die Schule nach wie vor an,, was wieder mit dem von der liberalen Partei geschaffenen Schulgesetz in Widerspruch steht. Die Polen huldigen' nach wie vor dein Particularismus und gefeit nur dann mit der Regierung, wenn sie ihre Stimmen durch fortwährende neue Concessjonen auf volkswirtschaftlichem Gebiet erkauft. Mithin bleibt nur die seit zwölf Jahren kalt gestellte deutsch-liberale Partei, von der weiland Dunajewski sagte, man könne auch ohne dieselbe und nöthigenfalls gegen dieselbe regieren. Er wurde aber gegangen und die viel geschmähte und an die Wand gedrückte deutsch-liberale Partei ist geblieben und gegenwärtig bildet sie sozusagen den Hort der Regierung, denn der conservative Hohenwart-Club ist weder conservativ noch ein Club, sondern besteht eigentlich aus drei Fractionen, von welchen jede wieder ihre besonderen Interessen verfolgt. Diese parlamentarische Zerfahrenheit hatte auch zur nächsten Folge, daß das unerhörte Ereigniß des Nichterlassens einer Adresse an das Staatsoberhaupt als Antwort auf die ThronMozart-Aestsprelyaus in Satzöurg. !^de eintrat. Es war zwar von ministerieller ^eite aus versichert worden, die Parteien würden bei der Adresse aller Wünsche nach Ausge- chltung ihrer Autonomie enthalten, allein wahrend das Herrenhaus vollständig einig ^ber sein Programm war, ergaben sich im Adreß- ^usschuß so viele Parteibestrebungen, Wider- wrüche und excentrische Anschauungen, daß am . Mai ein Dringlichkeitsantrag Smolka's: statt Aer Beantwortung der a. h. Thronrede Sr. Majestät den tiefsten Dank für die in derselben ^^gesprochenen erhabenen landesväterlichen Ab- ochten auszusprechen, einstimmig angenommen wurde. Dem Appell an die patriotische Bereit- wllligkeit und des hingebungsvollen Vertrauens die edlen Intentionen Sr. Majestät konnte 75 sich keine Partei oder Fraction verschließen. Jede war aufrichtigst bemüht, ihre ehrfurchtvolle Ergebenheit und Anhänglichkeit an das erhabene Herrscherhaus zu constatiren und so waren die Wogen. des Parteienhaders wenigstens wieder für einige Tage eingedämmt worden. Der 1. Mai als der von den Arbeitern geschaffene Demonstrations-Feiertag verlief in Wien auch diesmal ganz ruhig und nur die Buchdrucker machten sich durch Jnscenirung eines verunglückten Streiks andern Tugs bemerkbar. An diesem Tage wurde auch der neue Vertrag mit der Schifffahrtsgesellschaft des österreichischen Lloyd publicirt, welcher derselben, von der cisleithanischenReichshälfte mit ca. drei Millionen Gulden subventionirt, eine größere Uebung des Verkehrs mit dem Orient, Indien und China ermöglicht. Äon großer Bedeutung für die Entwicklung der Reichshauptstadt war auch der am 6. Mai publicirte Erlaß des Finanzministers über die Verlegung der Kasernen. ,^ ^r Geburtsstadt des unvergleichlichen Fürsten rm Reiche der Tonkunst, Wolfgang Amadeus Mozart, ein Festspielhaus zu Ehren des großen Meisters zu errichten war ein Ge- ^ schon 1887 bei der Feier seines hundertjährigen Geburtstages zunr Ausdrucke gelangte. Jetzt hat derselbe festere Form angenommen. Ein Comitö hat sich , der Beschaffung der erforderlichen Geldinittel von 600.000 fl.

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