70 Kaiser Ausdruck. Der Empfang, der demselben von der gesummten Wiener Bevölkerung bereitet wurde, war ein enthusiastischer und demonstrativer und konnte dem Kaiser wohl die Ueberzeugung beibringen, daß er sich in einer deutschen Stadt befand. Leider dauerte der Aufenthalt nur einen Tag und begaben sich die hohen Herrschaften dann zu den Jagden nach Steier- mark, 511 denen sich auch der König von Sachsen eingefunden hatte. Auch Ungarn konnte an diesem Tage ein Freudenfest begehen; denn der Finanzminister Weckerle constatirte unter Vorlage des Budgets - im Abgeordnetenhause zum erstenmal das Verschwinden des Staatsdeficits. Auch die Macht der Regierung ist bedeutend gewachsen. Nach dem Rücktritt Tißa's, der während 13 Jahren Ungarn zu einem Culturstaat erhoben, hat das Ministerium Szapary die radicalen oppositionellen Elemente zu versöhnen gewußt, indem sie in der Wegtaufenfrage die Verordnung des Cultus- ministers aufrecht hält und gegen die streitbare Kirche den Kampf aufzunehmen gewillt ist. Am 2. October begannen die Wahlen der Städtebezirke in den niederösterreichischen Landtag. In Wien gestaltete sich der Kampf der verschiedenen politischen Fractionen sehr erbittert. Die Liberalen behielten aber schließlich doch die Majorität, wenn sie auch das Eindringen oppositioneller Elemente in den Landtag nicht ganz verhindern konnten. Die Sessionen wurden am 14. October eröffnet und fand im niederösterreichischen Landtag zunächst die Berathung des neuen Statuts der mit den Vororten zu vereinigenden Vororte mit der Reichshauptstadt statt. Die größten Verdienste um die Durchführung und programmmäßige Annahme desselben hat sich der Statthalter Graf Kielmansegg erworben. Die Opposition führte eine Sprache in den Sitzungen, welche den drastischesten Beweis lieferte, wie wenig die Begriffe von parlamentarischem Anstand noch bei uns bekannt und verbreitet sind. Es mangelt uns an Raum, über die Vorgänge in den Landtagen der übrigen Kronländer zu berichten, im böhmischen wurde der Ausgleich mit den Deutschen durch die maßlosen Ausschreitungen der Jungczechen ganz unmöglich gemacht. Der am 21. October beendete Streik der Tramwaybediensteten hatte die ganze Wiener Bevölkerung in Aufregung gesetzt und einer der ärgsten Schreier im Landtag hatte sogar von einem Blutbad gesprochen. Es blieb aber alles ruhig und durch rechtzeitige Intervention des Statthalters wurde den berechtigten Anforderungen der Bediensteten um Revision der Dienstordnung Rechnung getragen Das österreichische Armee-Verordnungsblatt von: 27. October brächte die Ernennung des Grafen Hartenau (Prinz Alexander von Batten- berg) zum Obersten im 27. Infanterieregiment. Der Sieger von Slivnitza bereitet sich zum österreichischen General vor. Es wird den Russen mißfallen, den Bulgareufürsten an der Spitze österreichischer Truppen zu sehen, aber sie haben es nicht anders haben wollen. Aus den russischen Armeelisten wurde er gestrichen und es scheint Alexander III. wie Friedrich dem Großen gegangen^ zu sein, dem auch die Nase Laudon's nicht gefiel. Oesterreich fand aber in ihm seinen genialsten Feldherrn. Eine solche Zukunft steht auch dem Vattenberger bevor. Der Czar sandte seinen Sohn, den Thronfolger, am 6. November auf seiner Weltreise nach Wien. Dieser Besuch währte nur einen Tag und ging an der Bevölkerung wie in der hohen Politik spurlos vorüber. Ebenso spurlos verhallte die Kunde von dem am 7. November erfolgten Ableben des Grafen Moritz Eszterhazy, der 1863 die österreichische Politik so unselig lenkte, uns in den Krieg mit Italien Und Deutschland stürzte und die Monarchie an den Rand des Unterganges geführt hatte. Der Deutsche Verein in Mähren hielt am 10.November in Brünn eine Vollversammlung ab, in welcher Dr. Fux das Programm der deutsch- liberalen Partei entwickelte und constatirte, daß es den Deutsch-Mährern gelang, die Mehrheit im Landtag zu erhalten. Die Conflicte, die im Vereine aufgetaucht, dürften durch die eiumüthigen Erklärungen der Vertreter aus allen Theilen Mährens: fest zum Bunde und zur liberalen Partei zu halten, nun wohl beseitigt sein. Nach der furchtbaren Wafferkatastrophe in Prag konnte man hoffen, daß Böhmen nicht abermals von einer zweiten Calanritüt heimgesucht werden würde. Leider bewies dies der Schreckenstag vom 24. November, daß dem weltberühmten Curort Carlsbad ein noch schrecklicheres Geschick, wie es Prag und andere böhmische Orte betroffen, nicht erspart bleiben sollte. Schon am 23. November zeigte das sonst so friedfertige Flüßchen von Tepl bedrohliche Anschwellungen, die am 24. von Minute zu Minute zum Hochwasser ausarteten. Um %10 Uhr Vormittags war dasselbe bis zu einer wohl noch nie dagewesenen Höhe angeschwollen und das rasende Element drohte die halbe Stadt zu vernichten- Der Bürgermeister, Eduard Knoll, dem Carlsbad so viel verdankt, war aller Orten rathend und helfend. Drei Bürger waren in Lebensgefahr und zwei davon konnten nur durch zugeworfene Seile gerettet werden; auch dem dritten, einem Herrn Eberhard, wurde diese Hilfeleistung zu Theil, als das Seil plötzlich riß und den Unglücklichen in die Fluthen schleuderte. Der Bürgermeister war auf dem Balcon des Hauses „Zwei Störche" Zeuge dieses erschütternden Vorfalles, und mit den Worten: „auch das noch", stürzte er vom Herzschlag getroffen todt zusammen. Das war wohl der schwerste Verlust, von dem die so schwer heimgesuchte Stadt betroffen wurde. Eberhard rettete sich übrigens durch Festhalten an einer Gaslaterne. Im Laufe des Nachmittags verlief sich die Fluth und man konnte nun die Spuren der grauenhaften Verwüstungen verfolgen; der angerichtete Schaden war ungeheuer und bezifferte sich an Privat- eigenthuni auf nahezu eine Million, an städtischem Eigenthum auf 230.000 fl? Das größte Glück war, daß die Heilquellen ganz unberührt von der Ueberschwemmung blieben und somit kann nian schon jetzt constatiren, daß das schöne Carlsbad verjüngt und verschönt aus dieser grauenhaften Katastrophe hervorgegangen ist.*) Am 4. December begann der Reichs- rath nach siebenmonatlicher Pause wieder seine Sitzungen, die der jugendliche 80jäh- rige Greis Smolka eröffnete. Das Budget weist einen Ueberschuß von 2,283.624 fl. auf; ein Ereigniß, das indes nicht gerade große Sensation erregte. Hofrath Exner stellte den Antrag, die Regierung möge den Perlmutterdrechsler-Arbeitern mit einer ausgiebigen Staatshilfe beistehen. Am 16. December schied Freiherr von Pretis, der einstmalige Finanzminister des Auersperg'schen Cabinets, aus dem Leben. Zuletzt war er Statthalter in Trieft. Der 19. December wird in der Geschichte Wiens für alle Zeiten denkwürdig bleiben. An diesem Tag erhielt das Gesetz, welches Wien mit seinen Vororten vereinigt, die kaiserliche Sanction. Der Kaiser-König begab sich am 30 December nach Preßburg zur Einweihung der neuen eisernen Donaubrücke, welche seinen Namen trägt. Der Winter des Jahres 1890/91 war in Oesterreich-Ungarn und anderen Ländern einer der strengsten seit langen Jahren. Die üblichen politischen und diplomatischen Neujahrsäußerungen der verschiedenen Staatsmänner Europas con- statirten aller Orten die Bestrebungen, den Frieden aufrecht zu erhalten, auch zwischen dem Deutschen Reich 1111b Frankreich beginnt allmälig eine versöhnlichere Stimmung Platz zu greifen. Das neue Jahr wurde durch Feste in allen Vereinen und Corporationen Wiens zum Gedächtniß der kaiserlichen Sanction des Statuts von Groß-Wien inaugurirt. Besonders denkwürdig war die Rede, welche der greise Schmerling am 6. Jänner im großen Musikvereinssaal hielt. Wir erinnern nur an seine Worte: „Die dunkeln Nebel, welche sich noch um Wien lagern, müssen durch Helle Sonnenstrahlen der Duldsamkeit zerstreut werden, auf daß der Wunsch des Kaisers in Erfüllung gehe und Eintracht und Frieden in Wien herrschen möge." Am 13. Jänner wurde die hundertjährige *) Wir führen unseren Lesern zwei Bilder vor, welche wir der Liberalität des Herrn W. Jeric, Photograph in Carlsbad, verdauten. 71 Geburtstagsfeier des größten österreichischen Dichters, Franz Grillparzer's, in äußerst würdiger Weise sowohl seitens der Universität, wie einer Menge anderer Vereine und Corporationen gefeiert. Die Conimune hatte eine eigene Grill- parzer-Ausstellung veranstaltet, in welcher alle Aie Zleöerschwemmung in ßartsöad. Reliquien des großen Dichters zum ewigen Gedächtniß aufbewahrt werden. Der am gleichen Tag erfolgte Selbstmord des türkischen Gesandten, Sadullah Pascha, erregte ungeheures Aufsehen. Ein ähnlicher Fall hatte sich vordem noch niemals ereignet. §ie Zleöerschwemmung in ßartsöado Der 23. Jänner war ein verhängnißvoller Tag m der österreichisch-ungarischen Todten- Früh 3 Uhr schied der geniale Erbauer des Wiener Rathhauses, Dombaumeister Frei- herr v. Schmidt, und wenige Stunden nachher der Fürst-Primas von Ungarn, Cardinal Simor, aus dem Leben. Ersterer, aus Schwaben stam-
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