Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

64 Kümo ri sti sch es. Aer indiscrete Hfek. Mit der.Anfertigung von Tournürcn kann unsere Damenwelt nicht vorsichtig genug sein, wie nachstehende heitere Geschichte lehrt. Eine kleine, jungeDame vom Lande, mit vollen, schönen Formen und einer ebensolchen Riesentonr- nüre segelt stolz die Straße einher. Sie trifft eine Bekannte, zum Unglück aber gerade an einer Stelle des Bürgersteiges, wo eine Milchfrau mit ihrem Esel Halt gemacht hat. Während nun der Chimbo- rasso der Schönen den Esel, der dicht am Trottoir Posto gefaßt, fortgesetzt bedroht, öffnet Freund • Langohr plötzlich die Nüstern, schnuppert begehrlich dem Chimborasso entgegen, verzieht die breiten Lippen zu einem vergnüglichen Lachen, spitzt die Ohren und schlägt, ehe unsere Schöne es sich versieht, seine gefräßigen Zähne in den Modehöcker, von welchem ihn weder die aufkreischende Dame, noch die hinzueilenden Spaziergänger abzu- bringen vermögen. Unsere Freundin nimmt in ihrer Seelenangst all ihre Kraft zusammen — ein Ruck und sie ist frei. Hinter ihr her aber schaut der triuin- phirende Esel, welcher die Tournüre in der Gestalt eines frisch duftenden Heubündels vergnügt im Maule hält. Und der Esel wird von jetzt an jedenfalls Esel genug sein, die' Tournüre schön zn finden. Neuer Ausdruck. Erster Officier: Ist nicht Anna eine wunderschöne, herrliche Erscheinung, ein prächtiges Mädel? Zweiter Officier: Freund, laßDich warnen! Die lächelt einmal Dem, einmal Jenem zu, schließlich schenkt sie einew Dritten ihre Huld. Ich sag' Dir, die reinste — Wetterhenne. IccHves-WücKscHcru. Dom Juli ^890 bis Juli ^89 V Die Illustrationen sind mit Bewilligung der deutschen Bcrlagsanstalt in Stuttgart Zum Theil den großen Bildern der illustrirten Zeitschrift „Ueber Land und Meer" nachgebildet. Kupfer-Niederschläge von den Illustrationen in „Ueber Land und Meer" werden von der deutschen Verlagsanstalt fortwährend zum billigen Preise von 10 Pfg. pro Quadratcentimeter abgegeben. ' . Was wir in der Einleitrmg unserer vorjährigen Rückschau gesagt, hat auch für die diesjährige noch Giltigkeit. Es hat sich die allgemeine Situation leider nicht zum Besseret: gewendet. Die Welt starrt nach wie vor in Waffen und die Erhaltung des Friedens legt Freund und Feind die unerschwinglichsten Opfer auf. Es scheint ein förmliches Ringen darüber zu bestehen: Wer sich wohl am ersten daran verbluten wird. Eine wohlthätige Maxime hat sich aber aus diesen Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens um jeden Preis herausgebildet und das ist die Anstrebung des ewigen Friedens unter den Völkern. Der Krieg, diese Geißel der Menschheit, wird als eine Institution barbarischer Zeiten und Sitten, tlicht mehr als das einzige und letzte Mittel zur zwangsweisen Anerkennung des gegenseitigen Rcchtszustandes betrachtet. Mit der zunehmenden Civilisation unb Humanität werden die Wohlfahrtsinteressen der Völker immer gemeinsamer, man erkennt mehr und mehr, daß die furchtbaren Menschen- und Geldopfcr, die ein Krieg verschlingt, immer noch in keinem Verhältnisse zu denen für Erhaltung des Friedens stehen. Es werden also ungeheuere Heere auf den Beinen erhalten, um dem vermeintlichen Feind zu imponiren und ihn vor einem Angriff abzuschrecken. Diese Demonstrationen werden endlich die Entwöhnung vom Krieg zur Folge haben, man wird humanere Mittel als das Abschlachten von Tausenden finden, um eine Differenz zu begleichen. Dynastische und Religionskriege sind ohnedies schon längst außer Gebrauch gekommen, es handelt sich also nur noch um die Abschaffung der Eroberungskriege und dieses herrliche Ziel strebt augenscheinlich der gerade jetzt wieder auf weitere sechs Jahre abgeschlossene Dreibund an. Es. kann keinem Zweifel unterliegen, daß der geniale Kaiser Wilhelm II. aus seinen steten Reisen die Verwirklichung dieser großartigen Idee unausgesetzt anstrebt und dafür Freunde und Bundesgenossen nicht bloß in Oesterreich-Ungarn und Italien, sondern auch in England, Schweden, Dänemark, Belgien, Holland, Griechenland und der Türkei bereits geworben hat und noch werben wird. Ist dieser europäische Friedensbund einmal geschlossen, dann wird an das ländergierige Rußland und das grollende Frankreich mit der ernsten Frage herangetreten werden, ob sie ihre den Frieden und die Wohlfahrt Europas bedrohende Haltung endlich aufgeben und abrüsten wöllen. Wir können zwar nicht Vorhersagen, ob sich diese zwei Mächte Angesichts des dräuenden gesammten Europas dazu bequemen werden, denn Rußland wird auf seine vier Millionen Soldaten, die bei ihm unausgesetzt auf dem Papiere stehen, pochen und Frankreich will nun einmal das dem deutschen Reiche auf die perfideste und gewaltsamste Weise durch den Tyrannen Ludwig XIV. gestohlene Elsaß-Lothringen nicht verschmerzen. Jedenfalls wäre die Erzielung des ewigen Friedens das Ideal des menschlichen Geschlechts, wohin es aber ohne die gleichzeitige Lösung der socialen Frage wohl sobald noch nicht kommen wird. Was nun diese selbst betrifft, so tritt sie von Jahr zu Jahr mehr in den Vordergrund, allein die Mittel zu ihrer Lösung sind noch immer nicht gefunden. Die deutsche Reichsregierung hat durch die Aufhebung des Socialistengesetzes und die österreichisch-ungarische Regierung durch die Cassirung des Ausnahmszu- standes für den Wiener Bezirk ihr Entgegenkommen bewiesen, aber irgend eine Wirkung konnte damit nicht erzielt werden. Die Socialdemokraten haben .auf ihrem Congreß in Halle nachgewiesen, daß sie in: Allgemeinen ungefährliche Staatsbürger seien, die sogar das Streiken unb Boycottisiren als ungeeignete Gewaltmittel verwerfen. Was sie aber eigentlich wollen, konnte man aus den 20 Artikeln ihres Codex nicht entnehmen. Bei uns in Wien treten sie schon weit anspruchsvoller auf, das hat der am 2. Mai inscenirte Buchdruckerstreik bewiesen. Sie huldigen hier nicht im Entferntesten den Principien ihrer deutschen Collegen, sondern streiken aus purer Lust an: Streiken, nur um ihren Arbeitgebern und am meisten sich selbst Schaden zuzufügen. In fünf Wochen wurden gegen 100.000 Gulden auf eine Arbeitseinstellung aufgewendet, die voraussichtlich ohne jeden Erfolg bleiben mußte und auch geblieben ist. Ohne Rücksicht auf einen geschlossenen Lohnvertrag wurde mit brutalster Rechtsverletzung vorgegangen; den Principalen sollte nur wieder einmal die Faust gezeigt werden. Die Social- demokratie kann aber aus solchem Vorgehen nur die Lehre schöpfen, daß mit Gewaltmaßregeln diese Frage nicht zu lösen ist, sondern schließlich noch einen Streik seitens der Arbeitgeber zur Folge haben könnte, wie dies auch Fürst Bis- marck seinerzeit prophezeit hat. 5

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