Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

60 folgte beschämt die Cravatte und cou- sternirt stand der Candidat vor der Menge, die — Freund und Feind—in ein wieherndes Gelächter ausbrach. Der Hemdenknopf war abgerissen und im entscheidendsten Moment sah sich der Abgeordnete in spe dem Spott seiner politischen Gegner, dem Gelächter seiner Freunde bloßhalsig preisgegeben. Und Nun schwang sich paus Pos- pischil auf die Tribüne. Er perorirte zwar nicht in classischem Deutsch, denn des mährischen Idioms war er selbst nicht ganz sicher, aber .mit der Größe der czechischen Nation, welche die erste der Welt sei und die sogar den Wiener Stefansthurm erbaut "hätte, mit dem böhmischen Staatsrecht, mit der czechischen Cultur und dem Reichthum des Landes, von dem seither nur immer die Deutschen allein profitirt, wußte er seine Landsleute in angenehme Stimmung zu versetzen. Des Gegners gedachte er zum Schluß nur so nebenbei und schloß mit der giftigen Bemerkung, seine schönen Versprechungen und Phrasen dürften ungefähr so viel Werth wie der Knopf sein, den er gerade verloren. Was könne überhaupt vou einem Menschen gehalten werden, an dem nicht einmal ein Knopf, H u m o r i ft i f ch e s. Schädliche Lectüre. Herr Bezirkshauptmann, i' bitt' uni mein Paß, ich möcht auswandern. Aber Schönhosbauer, was fällt Euch ein? I' hab' so a klan's Büchl zu Haus und je öfter i' in das Büchl schau, desto fester setz' i' mir das Auswaudern in den Kopf. Also weht der Wind vou daher? Was ist denn das für ein verdächtiges Büchl? Mein--------- Steuerbüchl. festhielte?. Damit hatte er die empfindlichste Seite des Gegenkandidaten getrosten. Er hatte ihn bei Freund und Feind der Lächerlichkeit preisgegeben. Außer sich, stürzte der arme Professor nach Hause. „Unglückliche!" rief er der ahnungslosen Gattin zu. „Siehe, was Du mit Deinem schlecht angenähten Knopf angerichtet!" Und damit stürzte er auf den Nähtisch der sonst so ordnungsliebenden Hausfrau zu. Der Zwirnspulen wollte er sich versichern, constatiren das schlechte Material und in der That fand er eine unb"kaunte Marke. Gebrochen an Leib und Seele sank er auf einen Stuhl: „Nun ist Alles klar, murmelte er resignirt, das unglückselige Weib hat keinen Harlander-Spüleuzwirn verwendet!" Kleine Ursachen — große Wirkungen! pane Pospischil hatte jetzt die Bahn frei, sein Gegner hatte sich lächerlich und dadurch unmöglich gemacht. Den Jnug- czechen fiel eine Stimme mehr zn und das war die Schuld der Frau Pros. Mannhardt, weil sie die Knöpfe ihres Gatten nicht mit Harlander-Zwirn angenäht hatte. Hausfrauen, nehmt Euch ein Exempel daran. „Eine Liebesgabe." Währe Erzählung aus der Gegenwart von I. war 25 Jahre alt und sie 22. Ein schmuckes Pärchen, flüsterten die Leute, wenn sie auf der Straße gingen oder mitsammen lachend und scherzend über die glatte Eisbahn stogen. Sie schienen überhaupt nur für sich zu lebe» und sehr glücklich zu sein. Vor zwei Jahren hatten sie geheiratet und doch sah man sich veranlaßt zu glauben, man habe ein Brautpaar während der Flitterwochen vor sich. Er war ein jünger Bahnbeamter mit einer Monatsgage von 80 st. Sonst hatte er nichts, als ein angenehmes Aeußeres, einen fröhlichen Sinn und sprudelnde Laune------------- und — bald hätte ich vergessen — einen imposanten Titel, der ihm zwar nichts einbrachte, wegen dessen ihn aber Viele seiner Collegen beneideten. Es muß, so glaubten diese nämlich, ganz besonders schön sein, Baron Victor von R-------- zu heißen. Sie war die Tochter eines Sub- alterubeamten und hatte weder Vermögen in die Ehe mitgebracht, noch stand irgend eine Erbschaft zn erwarten, was sie und ihren Gatten aber nicht im Mindesten zu irritiren schien. „Liebste Marie!" meinte er eines Abends zu ihr. „Hast Du mich noch so innig lieb wie einstens, als wir uns kennen lernten?. Ich kann Dir doch so gar wenig bieten, noch immer nicht mehr als danials, wie Du meine Frau wurdest, wo mir baldiges Avancement in Aussicht gestellt wurde!" „Wie kannst Du nur so fragen, Victor!" entgegncte seine Gattin, indem sie ihre Stickerei auf den Tisch legte, sich im Stuhle zurücklehnte und treuherzig zu ihm aufblickte. „Habe ich Dir je Anlaß zum Klagen gegeben? Ist Kranz Schmid jun. unser Verhältniß durch die Zeit nicht noch inniger geworden?" „Verzeihe, Marie, wenn ich Dich betrübte; ich wollte es wahrhaftig nicht. Es war nur so ein momentaner Gedanke- den ich ganz unwillkürlich äußerte. Du hast recht. Ich liebe Dich mehr noch wie früher, jetzt, nachdem ich alle Deine Tugenden kenne!" „Schmeichler!" scherzte Marie aufspringend, schloß ihren Victor in die die Arme und einige Küsse von ihren blühenden Lippen verhinderten jede Antwort seinerseits. So verfloß ein Tag nach dem anderen. Victor war in der Kauzlei sehr fleißig und erwarb sich das Wohlwollen seiner Vorgesetzten durch Freundlichkeit und Zuvorkommenheit. Marie besorgte die Geschäfte der Häuslichkeit mit be- sonderem Eifer und war nur darauf bedacht, ihrem Gatten das Heim so angenehm wie möglich zu machen. Die Wohnung, die sie gemiethet hatten, bestand allerdings bloß aus zwei Zimmern und einer Küche, doch waren diese Räumlichkeiten nicht nur nett und ordentlich eingerichtet, sondern auch mit einigem Comfort versehen, der sie zwar nicht luxuriös, aber geschmackvoll und heimisch machte Ihre freie Zeit vertrieben sich Victor und Marie mit Spaziergäugen, Lectüre oder Musik. Hie und da besuchten sie ein Theater oder einen anderen, ihren finanziellen Verhältnissen angemessenen Belustigungsort. An, wohlsten füllten sie sich aber zu Hause, wenn sie des Abends nach vollbrachter Arbeit bei einer Tasse Thee plauschten und scherzten. Eines Sonntags saß das junge Ehepaar wieder fröhlich scherzend beisammen. Da klopfte es an der Thüre. Auf das übliche „Herein!" erschien ein schwarz gekleideter Herr im Zimmer.

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