Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

58 angestammter Anhänglichkeit an daS a. h. Herrscherhaus willig dem Militärzwang. Körperkraft und Gewandtheit zählen bei ihm wie bei allen Naturvölkern zu den Eigenschaften, welche den Mann im besonderen Grade zieren und auszeichnen. Springen, Ringen, Klettern, Lastenheben — das sind Uebungen, die in den verschiedensten Formen Anlaß zur gegenseitigen Erprobung der Kräfte geben, und oft genug spielen diese Uebungen bei lo- calenFrsten eine hervorragende Rolle; die Gewohnheit, sich in Fragen der persönlichen Körperstärke gegenseitig zu messen, ist jedoch so verbreitet, daß auch bei den kleinsten Zusammenkünften in irgend einer Weise eineKraftprobe zumAustrag kommt. Da sitzen zum Beispiel in einen, einsamen Tiroler Wirthshanse etliche Gäste beim Schoppen Wein. Sie discuriren von Allerlei: vom Schießen, vom Tanzen und vom Raufen, und der Jockl „mit sei'm g'spitzig'n Huat", der heute vom Berghof heruntergekommen ist, weil er beim Gemeindeamt etwas zu thun gehabt hat, spricht am allermeisten. Es fallen Aeußerungen des Zweifels und an den Mienen der Umsitzenden kann der Jockl ablesen, daß sie nicht Alles glauben, was er von seinen Leistungen spricht. Da wird der Jockl wild. „Jscht öpper aner do, der wo mich hinziacht?" schreit er. Der stämmige Wirthssohn, der Sepp, läßt sich das nicht zweimal sagen. „Geh her!" sagt er und bietet dem Jockl den gekrümmten Mittelfinger der rechten Hand. Der Jockl „häkelt" jemenFinger ein und nun steheii dieBeiden auf und fangen an, mit aller Kraft zu ziehen. Wer den Gegner über den Tisch herüber zu sich herzieht, hat gewonnen. Das heißt man „Hak'ln". „Hali!" rufen die Zuhörer, „es muaß öppes gölt'n — a Mvß Wein!" — „'s gült!" — Und nun beginnt der Kampf; die Kämpfer setzen alle Kraft daran, den Sieg zu erringen, die Adern an den nackten Armen und an der Stirne laufen auf wie Stricke; die Muskeln heben sich zuckend; es krachen die Gelenke. — Keiner ist noch im Vortheil. Mit ruhigem Sinnen sieht der Ahnl im Herrgottswinkel zu; auch er hat's einmal gekonnt, aber es ist schon lang her; mit großem Interesse folgen der Nachbar Schmied und der Holzleitenbauer den Anstrengungen der Hakler, während der zufällig anwesende Kaiserjäger-Urlauber die Sache mit einer gewissen Gleich- giltigkeit mit ansieht — er ist über solche Scherze vermöge seiner soldatischen Ausbildung hinaus. Mit kindlicher Nengier betrachtet die kleine Marei die ihr unbegreifliche Scene; ihr Bruder aber, der zwölfjährige Michl, ist ganz Feuer und Flamme, er muß die Geschichte genau sehen, weil er auch schon weiß, wie es beim Häkeln zugeht, und es ist ihm nur dang, sein großer Bruder könnte am Ende unterliegen. Die frische, schwarzäugige Kathl, welche eben den Wein nebst Jmbiß^ auftragen will, hat schon oft olche Scenen gesehen, aber vielleicht itt- teressirt sie sich gerade jetzt für den Ans- zang der Sache; es wär' ihr am Ende ieb, wenn der Sepp gewinnen wollte. Die alte Mutter aber sitzt unbekümmert um den Vorgang am Ofen und spinnt ruhig weiter. Was kümmert sie sich um die Dummheiten der jungen Leute und lbermüthigen Mannsbilder? Das wird hnen schon noch vergehen. „Der Sepp wt's — der Sepp," heißt's endlich und der Jockl muß wohl oder übel seine Niederlage zugeben und die Maß zahlen. Er fügt sich in sein Schicksal, und nun ;eht's erst lustig her — vielleicht pro- nren sie's nochmals, wenn die verwettete Maß geleert ist! ie kleine deutsch-mährische Stadt R..... befand sich im Februar dieses Jahres in noch nie dagewesener Aufregung Die Neuwahlen in den Reichsrath waren ausgeschrieben und die deutsche und czechische Partei stand sich im erbitterten Kampfe gegenüber, die erstere hatte den jungen Professor Mannhardt, die andere Herrn Wenzel Pospffchrl, ehrsamen Bäckermeister und großen Volksredner, als Candidaten ausgestellt. Die Jungczechen ließen alle Atmen springen, um die Stadt und den Bezirk für ihre Partei zu gewinnen. Vorbesprechungen, Wahlversammlungen, öffentliche und geheime Conventikel wurden abgehalten, Stimmen erhandelt und es war ein öffentliches Geheimniß, daß den Frauen R------ s der Gratisbezug von Kaisersemmeln, Gichradi und diverser Laibe Brot aus der Ääckerei Ehren-Pospischil s in sichere Aussicht für eine bestimmte Zeit gestellt war, wenn sie ihre Herren der Schöpfung zu seinen Gunsten bearbeiten wollten. In der That begann das Zünglein bedenklich zu schwanken. Die Czechen hatten sich vordem eigentlich in der Stadt wenig bemerkbar gemacht, sie lebten friedlich mit ihren deutschen Brüdern nebeneinander und Viele von Ihnen bedienten sich nicht einmal mehr des czechisch-mährischen Idioms, da sie ihre Kinder mit Vorliebe in die deutsche Schule schickten, wo sie mehr und Besseres lernten. Dieses wurde nun mit einem Schlag anders, die nationalen Leidenschaften wurden durchPospischil und seine Freunde im Geheimen und öffentlich entfesselt. Der Appell an die großen Errungenschaften des böhmischen Volkes und an die Gratis-Gschradi Pospischil's begeisterte die mährischen Wählerzungen. Viele mußten ihre Sprachkenntnissc erst wieder ausfrischen, aber eine Majorität hätten sie doch nicht zu Stande Knopfwrh. Eine Humoreske aus der Gegenwart. iringen können, wenn die Deutschen eine ähnliche Agitation in Scene gesetzt hätten. Vergebens bemühte sich Professor Mann- jardt, mehr Feuer und Leben in seine Partei zu bringen. So nahte endlich der entscheidende Wahltag und Abends vorher sollten im Saal „zum rothen Ochsen" die beiden Candidaten ihre entscheidenden Reden Hallen und ihr Programm entwickeln. Die Jungczechen hatten den letzten Alaun aufgeboten, aber auch die Deutschen hatten sich ermannt und füllten den Saal mit ihrer Majorität. Mannhardt's junge Frau hatte ihren Gatten aufs Stattlichste herausgeputzt: weiße Weste, moderner Frack, weiße Cravatte, steifen Halskragen, kurz, nichts fehlte, um den Professor würdig erscheinen zu lassen. Der Professor glaubte zwar ein bedenkliches Schwanken des obern Hemdenknopfes, an dem Kragen und Cravatte befestigt waren, bemerkt zu haben, allein die Gattin beruhigte ihn mit der Versicherung, daß sie den Knopf erst bei der letzten Wäsche fest angenäht habe. So zog der zukünftige Herr Reichsrath geleitet von seinen Freunden in den Saal des „rothen Ochsen", wo die Gegner seiner harrten. Der Professor bestieg die Tribüne und die Redeschlacht begann. Wir wollen derselben nicht in all ihren politischen und socialen Wendungen und Kraftausdrücken folgen. Oftmals unterbrochen von dem Beifall seiner Freunde und den Oho-Rufen der Gegner, verstieg sich allmälig sein Enthusiasmus für die Sache, die er vertrat, zu den kühnsten Methaphern. Da, im entscheidendsten Moment, wo er begeistert ausrief: „für die Wohlfahrt des Volkes, für Freiheit, Recht und für das neue Schulgebände werde ich den letzten Blutstropfen einsetzen -------" da, ein leiser Krach, ein Griff nach dem Halse, ein Haschen mit den Händen in der Luft und der blendend weiße Halskragen flog in den Saal, ihm

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