Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

36 37 wirklich kam. er nach mehrtägiger, mühsamer Wanderung seinem Ziele so nahe, daß er bis zu der eiusameu Wohnung des Eremiten, welche um Set. Albrecht, unten am Wolfsberge lag, wo der Schwarzgang hinabstreicht, nur noch eine Viertelstunde Weges zurückzulegen hatte. Da klang aus der Ferne das Ave-Maria- Glöcklein. Georg zog sein Hütlein, knieie Mieder und betete. Doch horch! leises Wimmern, klägliches Stöhnen dringt an sein Ohr! Der Andächtige erhob sich und eilte nach der stelle hin, woher die Stimnie ertönte. Er fand im Gebüsche einen Jsraeliten lregen, der aus vielen Wunden blutete. Ihn hatten Räuber, als er voll seinem Hausirhandel nach Lichtenstadt zurückkehren wollte, überfallen, nnßhandelt und seiner Habseligkeiteu beraubt. Von tiefem Mitleid ergriffen, holte Georg in seinem Hute aus der nahen Quelle Wasser, um den Todesblassen mit einem frischen Trunke zu stärken und dessen klaffende Wunden auszuwaschen^ allein sein Liebesdienst war erfolglos, denn in wenigen Minuten hauchte der Jsraelit seine Seele aus. Während bei der Leiche der Fremdling, ein wahrer Sameritan kniete und mutterseelenallein das Sterbegebet verrichtete, näherten sich dem traurigen Thatorte eilige Schritte. Georg glaubte, hilfreiche Unterstützung zu erlangen, um den Leichnam nach einem andern Ort schaffen zu können, und war deshalb sehr überrascht, als er von Schergen, die ihn des verübten Mordes beschuldigten, ergriffen, gebunden und geknebelt wurde. Dann führten sie den Unschuldigen nach der nahen Bergstadt Joachimsthal, wo sie ihn ins Gefängniß warfen. Georg betheuerte beim Verhör seine Unschuld, allein seine Aussagen wurden als freche Lügen hingestellt. Eher hätte er von den Säulen, auf denen die Saaldecke ruhte, Gnade erstehen können, als von den hartherzigen Richtern, welche ihn der vollbrachten Mordthat schuldig erklärten und zum Tode durch Henkershand verurtheiltem Des andern Tages ertönte das Süu- derglöcklein. Eine unzählige Volksmenge hatte sich auf dem Marktplatze versammelt, denn Alles wollte den Mörder, der zum Galgen, geführt wurde, sehen. Als die Versammelten aber einen jungen Mann mit mildem Angesichte erblickten, der einmal gen Himmel, das andcremal auf seinen Lindenstab seine Blicke richtete, bliek kein Auge thränenleer. Auf dem im Osten der Stadt gelegenen Galgenberge, dem damaligen Richtplatze, angekvmmen, sprach Georg mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme: „Daß ich schuldlos sterbe, möge Gott der Barmherzige an meinem dürren Lin- deustabe bezeugen!" Nach diesen Worten hob er tfp in die Höhe und stieß ihn "ut aller Kraft in die Erde. Und siehe! Kaum hatte der Henker sein Werk vollbracht, so sah mau au dem Liudcnstab die ersten grünen Keime. Dieser wurde vun ausgehvbeu und zum gottesfürchtigeu Einsiedler Schneevogel übertragen, der 'hu neben seiner Kapelle in die lockere Erde einsetzte und mit Sorgfalt hegte Mid pflegte. Aus dem dürren Stäbe aber wuchs un Laufe der Zeit ein mächtiger Liudeu- daum, die Urmutler der stattlichen Linden, heran, die noch heutzutage bei dem Ka- puzinerkloster zu Mariasorg stehen. 'T^hr Linden, lieben Linden, grünet fort, ^er Unschuld Bild zu Sorg, dem Wallfahrtsort!" Nl. Die Wunderblume auf dem Spitzberge bei Hottesgab. Südöstlich von der k. Bergstadt Gottes gab steigt der mächtige, schön bewaldete Keilberg, der höchste Berg Und das „Juwel" des Erzgebirges, in "olzer Majestät empor, der — gekrönt ""t dem stattlichen Kaiser Franz ^osef-Aussichtsthurm — seinem Be- Wjer ein wahrhaft reizendes und ab- ^chArrngsvolles Panorama über einen ^oil des reichgesegneten Böhmerlaudes, namentlich aber über das liebliche Egerund das herrliche böhmische Mittel- llebirge erschließt, während sich in süd- ^stlicher Richtung von Gottesgab der ^gelformige, gleichfalls mit Wald be- kckte Spitzberg erhebt. Auf demselben stand in alten Zeiten w großes festes Schloß Dort hauste gleichgesinuten Spießgesellen ein utter, der als rltäuber und Mörder sich " der ganzen Gegend furchtbar machte, 'bst geschah es, daß eiu greiser Mönch aus dem nahen Kloster zii Mariasorg bei dichtem Nebel sich auf dem ödeii Heideplateau verirrte und in die ruch- l'oien Hände dieser 'Räuber fiel. Sie schleppten den Priester auf ihr schwer- zugängliches Naubuest und warfen ihn unbarmherzig ins Burgverließ, wo er eines qualvollen Hungertodes sterben sollte. Als die gottlosen Missethäter im anstoßenden Saale sich bei lärmendem Becherklang ihrer ausgeführten Verbrechen in frechen Lüsterredeu rühmten, sank der dem Tode überlieferte Mönch auf die Knie und flehte im iubrünstigeu Gebete zu Gott, dem starken Helfer in der Noth, daß er die berüchtigte Mörderburg sammt ihren Schätzen und ihren sündhaften Bewohnern vernichte. Plötzlich erbebte unter einem furchtbaren Donuerschlag der Berg,-er theilte sich, und hinein sank das stolze Schloß mix bni angchäuftcu Schätzen und den 'Räubern. Nur dem Mönche wichen die Pcauern, und er gelangte unbeschädigt in das Freie. Oben aber schloß sich der Berg wieder und bildete einen großen Grabeshügel. Als einziger lleberrest dieser versunkenen Burg ist noch heutigen Tages ein gemauerter Brunnen zu sehen, der wahrscheinlich abseits stand. Nach langen Jahren träumte einmal, einem armen, frommen Hirtenjungen drei. Nächte hintereinander, daß er dazu erkoren sei, den im Innern des Spitzberges verborgenen Schatz zu heben. Zwei Tage halte er schon seine Kühe auf dieskiil Berge geweidet, und noch war kein Anzeichen ihm geschehen. Als er nun am dritten Tage — es Wstt der Charfreitag — wieder seine geerbt am Spitzberge hütete, sah er auf einmal aus einem nahen Felsblocke eine wunderschöne gelbe Blume stehen. Ei, dachie er, eine so schöne Blume hab' ich u> "Poren Bergen uuo Thälern noch gar uichi gesehen! Ich werde sie pflücken und auf meinen Hut stecken, gewiß werden daheim alle die bezaubernde Schönheit der Blume bewundern. Gedacht, gethan.

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