Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1892

34 Im Schlosse angekommen, begab der Bauer sich sofort zu der Markgräfiu Johanna und sprach: „Es ist Pflichtiger Gebrauch, beim Erscheinen auf dem Schlosse eine Gabe mitzubringen. Ich habe heute, als ich eben zur Frohne hierher ging, dies Kindlein gefunden und biete es Euch als Gabe dar. Möchtet Ihr doch, gnädige Herrin, an dem armen, hilfsbedürftigen Waislein Barmherzigkeit üben und sein besser Pflegen als die eigene Mutter!" Die Worte des biederen Mannes erweichten der Markgräfin Herz. Sie nahm sich des Knäbleins an, das auf ihr Verlangen in der Taufe den Namen Hans, nach seinem Finder aber den Zunamen Heiling erhielt. - Hans Heiling wuchs unter dem liebreichen Schutze der Markgräfin zum blühenden Jüngling an, der an den Wissenschaften, in die ihn der Burg- kaplan einweihte, mehr Gefallen fand, als an den Ritterspielen. Er liebte die Einsamkeit, durchstreifte Wald und Flur und beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken, den Urgrund aller Wahrheit zu erforschen. Als er einnial am Ufer der rauschenden Eger saß und gedankenvoll nach dem Wasserspiegel schaute, tauchte aus demselben eine holde Nixe empor, die mit lieblicher, wunderbarer Stimme dem Ueberraschten zurief: „Ich kenne, wißbegieriger Jüngling, Deines Herzens tiefen Kummer, die schwarze Kunst ist Dein Begehr. Diese will ich Dir lehren, doch nur unter der Bedingung, daß Du Dich nie vermählst." Hans Heiling, bezaubert durch die vielversprechenden Worte, strahlte vor Freude, daß er nach langem, erfolglosem Forschen endlich sein so heiß ersehntes Ziel erreichen könne,. und schloß mit der Wasserfee unbesonnen den Bund. Die Nixe hielt Wort, und Hans Heiling wähnte sich der Glücklichste unter der Sonne, als er des Wissens Drang erfüllt sah. Seit der Begegnung mit der Fee war schon manches Jahr verstrichen. Da faßte Hans Heiling, mit Hintansetzung seines gegebenen Versprechens, den Entschluß, sich zu vermählen; denn er hoffte, selbst auf seine Kunst vertrauend, die Macht des geheimnißvollen Wasser- weibes zu hemmen Unbesorgt verunstaltete er also die Hochzeit. Der Tag der Trauung war erschienen, und die Hochzeitsgäste hatten sich in den Räumen des Schlosses versammelt Schon stand der Brautzug vor dem Traualtäre, eben wollte das glückliche Paar das Jawort aussprechen — da stieg plötzlich mit furchtbaren Blicken die erzürnte Nixe aus den tobenden Wellen der Eger, ließ unter Blitz und Donner das Schloß verschwinden und verwandelte durch ihren Fluch die ganze Hochzeitsgesellschaft in Stein: das Brautpaar, den Mönch, die Gäste und die Musikanten. „Mag der brausende Fluß die Felsenritzen um schäumen: L Ruhig stehet der Fels, seht, und es bricht sta) die Flut." II. Per dürre Liudeustab. Einstmals zog aus einem Städtchen, im Innern Böhmens gelegen, ein armer, braver Jüngling mit Namen Georg, da der Kaiser die Kriegstrommel rühren ließ, ins Feld, um als treuer Soldat für das bedrohte Vaterland zu kämpfen. Er nahm von seinem Mütterlein und von Marie, seiner Verlobten, herzlichen Abschied und gab letzterer das Versprechen, nach seiner Rückkehr sie als Gattin heimzuführen. Aber Jahr um Jahr verging, ohne daß seine Angehörigen eine Nachricht von ihm erhielten. Endlich ward der langwierige Krieg beendigt und die siegesfrcudigen Truppen kehrten in die Heimat zurück, wo ihnen allenthalben jung und alt einen festlichen Empfang bereitete. Auch Marie, die unter Hoffen und Harren sechs kummervolle Jahre verlebt hatte, eilte auf die Landstraße hinaus. Uni ihren Bräutigam zu empfangen, allein ^r kam nicht Dies gab ihrer Mutter, welche die Hand ihrer Tochter schon längst dem reichen Nachbar Paul zugesagt hatte, ^ine willkommene Veranlassung, in sie Zu dringen, Georg, der entweder im Kampfe gefallen sei oder sich unter liederlichem Gesindel herumtreibe, zu vergessen und in die glänzende Partie ^inzuwilligen. Jedoch Marie blieb standhaft und hielt fest an Georg. Als aber Mutter und Verwandten sie mit wiederholten Bitten und mit ungestümen Drohungen bestürmten, gab sie dem Verlangen nach und erbat sich ^üi Jahr Aufschub; denn sie hoffte mit uller Zuversicht, daß innerhalb dieser Frist ihr Verlobter heimkehren werde. Doch auch das siebente Jahr verstrich Ahne Georg's Rückkehr, und Marie wurde Paul's Gattin. An einem trüben Septembertage schritt nn junger, kräftiger Wandersmann aus her Landstraße daher. „Wie schnell anch seine Füße schritten, Sein Aug' war ihnen weit voraus; Statt zn ermatten, ward er frischer, Man sah's ihm an, er ging nach Haus." Es war Georg, der voll Sehnsucht seiner Heimat zueilte. Derselbe war nach Abgeschlossenem Frieden in der Fremde geblieben, um durch rastlose Arbeit und Sparsamkeit sich einiges Vermögen zn erwerben. Nachdem ihm sein Plan geglückt war, wollte er nun seiner alten Mutter, die ihni unter Mühen und Sorgen so viel Gutes erwiesen, das Alter versüßen und mit Marie einen eigenen Hausstand gründen. Mit wonnigen Ge- siihlen erreichte er beim Dunkelwerden kein heiß ersehntes Ziel, die ärmliche Hütte seiner Mutter, und schaute durch hie Fensterscheiben ins traute, stille Stübcheu, wo sein greises, gebücktes Mütterchen beim Spinnrocken saß und kpann. Er klopfte leise an die Hausthüre und beim Oeffnen derselben fiel ihm seine Mutter mit thränenden Blicken um den 38 Hals und drückte ihn an ihr liebewarmes HerzNach der Freude der ersten Umarmung erkundigte sich Georg nach seiner Braut. Da erzählte ihm die Mutter, wie Marie sieben Jahre vergebens auf ihn gewartet habe, und wie sie, ihn für todt haltend, Paul's Gattin geworden sei. Wie vom Schlage getroffen, stand Georg da, doch faßte er Muth und sprach mit festem männlichen Tone: „Also für lodt hielt mich Marie; wohlan denn, ich will es sein für sie und die Welt! Mor- gen in der Frühe verlasse ich diesen Ort für immer, um mich in die Einsamkeit, zurückzuziehen." Hierauf ging er zu dem Lindenbaume, welcher vor dem Hause des Nachbars Paul stand, und schnitt sich einen Stab ab als treuen Gefährten auf seine Pilgerreise, die er trotz der Mutter inständigem Flehen bei Anbruch des nächsten Tages antrat, um den Einsiedler I o h a nn e s N i a v is (Tchneevogel), welcher im Erzgebirge ein frommes Leben führte, aufzusuchen und mit ihm sich zu, vereinigen. Georg beeilte sich, in großen Tage?-- Märschen seine Reise zu vollsühreu Und 3*

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