Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

40 41 wieder Andere ein Stückchen Pomade, Wachs oder wohlriechende Seife." „Keiner dieser Gegenstände sollte bei den Sträflingen geduldet werden; man drückt jedoch ein Ange zu, oder richtiger gesagt, man muß es klugerweise zu- drückcn. Wenn ich jetzt den Befehl ertheilen würde, allenfalls zur Wegnahme der Spiegel, so riskire ich dadurch, daß in demselben Angenblick unter den Weibern eine Meuterei ausbricht, so fürchterlich, so entsetzlich in ihren Folgen, wie etwas ähnliches von den männlichen Sträflingen niemals zu befürchten wäre. Der Besitz einer Spielerei, wie es ein Stückchen Spiegel ist, läßt oft das schlimmste Weib wochenlang geduldig wie ein Lamm bleiben, aber die Wegnahme kann es sofort zu einer Furie machen." „Die Aufseher' in der Mäuner- abtheilung haben kaum halb soviel Arbeit mit ihren Sträflingen, wie wir mit unseren „Damen". Während der Arbeitsstunden kommen wir nicht einen Augenblick zur Ruhe. Allerdings soll während der Arbeit nicht gesprochen werden, allein wo gibt es eine- Macht in der Welt, die eine Schaar bcisammensitzeuder Weiber auch nur für wenige Minuten zum Schweigen verhalten könnte! Nicht nur, daß die Zungen scharf wie Schwerter umherfliegen, platzen mitunter auch noch Bosheit, Neid, leidenschaftlicher Haß so urplötzlich und so gewaltsam aneinander, daß Militär herbeigerufen werden muß, um deu förmlich ineinander verbissenen Menschenknäuel anfzulöseu." „Unter den vielen Hunderten weiblicher Sträflinge, die jahraus, jahrein diese Räume füllen; gibt es durchschnittlich wenig mehr als dreißig, deren Schicksal wirklich Mitleid verdienen würde. Von diesen sind die meisten wegen Mordes verurtheilten. Viele dieser Unglücklichen behaupten das ihnen zur Last gelegte Verbrechen in unzurechnungsfähigem Zustande verübt zu haben, wenigstens können sie sich an keine Detail ihrer That entsinnen." I »Nun, das ist eine Sache, über welche Psychiatriker streiten mögen. Von unserem Standpunkte aber können wir mit vollster Sicherheit behaupten, daß jede dieser Mörderinnen jetzt wie einst ein nützliches Glied in der menschlichen Gesellschaft abgeben würde. Mörder werden selten rückfällig. Oder hat man schon gehört, daß ein Mörder nach Verbüßung seiner Strafe einen zweiten Mord begangen habe? Und doch ver- ' läßt mancher noch ziemlich jung seine Zelle und lebt dann in der Freiheit noch dreißig und vierzig Jahre." „Nach jenen Unglücklichen sind es die sogenannten „Unbewußten", die unser Mitleid erwecken. Wir haben hier fast immerfort einige Frauen, die aus guten Familien stammend und auch vermögend, die unglückselige Leidenschaft besitzen, überall, wo sie erscheinen, etwas zn stehlen. Die Vertheidiger und auch manche Aerzte sagen, daß das eine Krankheit sei, die Richter jedoch wollen eine solche Krankheit nicht anerkennen und so wandern die Unglücklichen immer wieder in das Zuchthaus. Aber jedenfalls ist die Zeit nicht mehr ferne, wo unsere Richter sich dennoch mit dieser Art „Krankheit" wie auch mit dem geistigen Zustande der Mörder bei Verübung ihrer That werden eingehender beschäftigen müssen." „Wir haben hier auch eine vermögende Frau, die, kaum in Freiheit gesetzt, als eine Nonne verkleidet in einer oder der anderen Kirche während des Gottesdienstes erscheint und mit einer Lanimelbüchse in der Hand um Almosen bettelt. Eine Andere hat es „draußen" auf junge, hochblonde schöne Damen abgesehen. Wie sie eine solche erblickt, begießt sie deren Kleider mit einer ätzenden Flüssigkeit. Es ist offenbar, daß jene beiden Frauen in geisteszerrüttetem Zustande handeln, allein wo finden sich ihre Retter? Gewöhnlich werden sie auf frischer That ertappt und die erbitterten Beschädigten bringen es immer richtig so weit, daß die Frevlerinnen abermals nach Millbank müssen. Wir reihen sie unter die „Unbewußten." „Außer den Angeführten sind nur noch wenige, die wirklich Mitleid verdienen. Das Gros der weiblichen Sträflinge desteht aus durchwegs verdorbenen Naturen, die einmal, sei es durch was immer, auf die schiefe Bahn gebracht, nie wieder den rechten Weg finden, auch dann nicht, wenn man ihnen die Mittel zu einem rechtschaffenen Leben bietet. Erwiesen ist es, daß in keiner Stadt der Welt so viele weibliche Sträflinge rückfällig werden, wie in London, und Die gute alte Zeit. Eine culturhistorische Studie von 2». Menk-Iitlmarsch- iNachdruck untersagt.) ist eine Gepflogenheit, die K stch von Geschlecht zu Geschlecht forterbt, immer das Vergangene zu preisen und das Gegen- AAge in den Staub zu ziehen. Der Rückblick nach den Altvorderen ist eine Schwachheit, welche in unserer Zeit schon zu einer Art von Cultus erhoben wird, und gegen welche wir schon iin Interesse ^ Fortschrittes Protest einlegen möchten! ^leuchten wir nun ein wenig den Sehn- luchtsruf nach der guten alten Zeit. .. Wenn wir zu den Culturvölkern der A^en Zeiten: den Egyptern, Griechen, Zörnern und Juden, hinaufsteigen, wie Undeu wir die damaligen socialen Zu- Ajde bestellt? Unter der zügellosesten Priester- und Aristokratenherrschaft schmachtete die Masse des Volkes in . Ummheit und moralischer Verkommen- ^lt. E;n Emporkömmling verdrängte den Wern nnd um dein Ehrgeiz des Ein- n Au zu fröhnen, wurden Tausende hin- michlachtet. Gesetz war Wahn, nur der- r Uche, der im Augenblick die Macht r^\ herrschte nach Willkür. Die chwärmerei für diese classische Zeit ebenso bekannt ist es, daß in keinem Lande Europas die Sträflinge so zur Arbeit augehalten und so strenge bewacht werden, wie gerade in London; und daß dessenungeachtet und trotz der vielen Hilfsquellen, die in London für entlasfene Sträflinge sind, die hier einmal Gefallenen sich niemals oder nur äußerst selten auf die Bahn des Rechtes und Gesetzes wieder emporschwingen können, das ist auch eines jener vielen psychologischen Räthsel der weiblichen Ver- brecherseele, die noch ihrer Auflösung harren." sollte vom humanitären Standpunkte schon durch deu einen Umstand ihre Abkühlung finden, daß während der ganzen Jahrtausende dieser gepriesenen Periode die Sclavcrei in ihrer ganzen Scheußlichkeit herrschte. Es wurden Kriege nnd Raubzüge veranstaltet, nur, um Sclaven zu macheu, und der heute aus einem Throne saß, konnte morgen mit dem Stier den Pflug ziehen, wenn sich das Kriegsglück gegen ihn entschied. Der Sclave war der Laune seines jeweiligen Herrn preisgegeben. Dieser entschied über Leben und Tod nach Willkür; Gesetz und Recht gab es für solche Ünglückliche nicht. Allerdings ist auch in unserer Zeit das Sclaventhum noch immer nicht ganz ausgerottet. Es besteht noch in tropischen Ländern, beschränkt sich aber auf die schwarze Race, und auch für diese wurde der große Krieg von den Vereinigten Staaten Nordamerikas gegen die südstaatlichen Sclavenhalter geführt. Den gegenwärtigen Expeditionen nach dem Innern von Afrika, den Colonisationen der Deutschen in den Cougostaaten liegt die Idee zu Grunde, den arabischen

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