38 gemeldet. Endlich gegen zwei Uhr nahm die Sitzung ein Ende, und ich mit den Anderen wurden von einem Gerichtsdicncr durch die langen Corridore der Festung geführt. Von einem der breiten Fenster, deren halbblinde in Blei gefaßte Scheiben vielfach zerschlagen, den Spatzen als willkommene Thore dienten, konnten wir hinunter auf einen der Festungshöfe blicken, in welchem just die schweren Verbrecher, die Kette an Hand und Fnß schleppend, ihren Spaziergang machten. Welch' trauriger Anblick! Draußen goldiger Sonnenschein, frischer Waldesduft, blühende Rosen und tausend jubi- lirende Vogelstimmen — der Athem der Freiheit — und hier in grauen Zwilch gekleidete, abgezehrte Gestalten, mit rasselnden Ketten, und auf den Gesichtern graue Masken! Mir war der Anblick, maskirte Verbrecher spazieren gehen zu sehen, so neu, daß ich uicht umhin konnte, unseren Führer nach der Ursache dieser seltsamen Maßregel zu fragen. * „Das sind zu lebenslänglichem Kerker- begnadigte Mörder" — lautete die Aut- wort — da es nun häufig vorgekommen, daß sich die Gefangenen durch Zeichen verständigt oder ihre Schließer bestochen, so hat Graf Räday die Verfügung seit wahren getroffen, daß jeder Zcllcngefan- gene eine Maske vor dem Gesichte tragen und hinter ihm stets ein Soldat mit geladener Waffe gehen muß." „Doch ich ersuche die Herren nicht stehen zu bleiben! Aus diesem Fenster in den Hof herabzublicken ist bei Strafe verboten!" Selbstverständlich gingen wir. z;n einem der Gänge begegneten wir einem interessant bleichen, jungen Gefangenen, der sich mühsam vorwärts schleppte und oft seltsam sehnsüchtige Blicke nach rückwärts warf. Hinter ihm ging nämlich einPandur mit einer Schüssel heißem, wohl- dustendem Gulyas. Uns Alle setzte der Anblick in natürliches Erstaunen. Als ich Abends meinen Freund Lajos Bücsi besuchte, fragte ich nach der Ursache, die ein gut paprizirtes Gulyas in den Gerichtssaal führte. Der Alte lachte trotz seiner Schmerzen- „Hei! Hot er sait zwai Tage nix bekommen! Wonn gesteht er — kriegt er Gulyas faines!" Also der Jnhaftirte wurde, da die Prügelstrafe später officiell abkam, mit Hunger behandelt. Und dennoch trugen Viele diese Tautalusqualen, ehe sie für ein „faines Gulyas" gestanden. Buhende Sünderinnen. Psychologische Streiflichter von ßduard I'arik. Sei Gelegenheit eines Besuches der großen Strafanstalt Mill- bank in London führte mich Miß Freveltown, die Obergefangenwärterin in dieser Anstalt, in ihr „Observatorium", von wo ich die in einem kreisrunden Corridor promenirenden Sträflinge sehen konnte, ohne von diesen bemerkt zu werden. Während mein Blick die keineswegs niedergeschlagen dahinschreitenden Büßerinnen verfolgte, gab Miß Freveltown etwas aus ihrem reichen Schatze an Erfahrungen aus ihrem Berufsleben zum Besten, was über die psychologischen Eigenthümlichkeiten der weiblichen Sträflinge und ihre Besserungsfähigkeit interessante Streiflichter warf. So versicherte sie, daß man sehr im Irrthum sei, wenn man glaube, daß 39 Frauen, die nicht gezittert haben, als sie ihr Kind erwürgten oder ihren Gatten vergifteten, ringen die Hände voll Verzweiflung über die Zumuthung, ihre natürliche Zierde herzugeben. Sie weinen, bitten, flehen, flehen mit erhobenen Händen, widerstreben bis zumAeußersten, so daß Ulan mitunter Gewalt anwenden mnß. Das Haarabschneiden ist eine der peinlichsten Aufgaben in dem Gefängniß, es ist aber aus Reinlichkeitsrücksichten nothwendig und dient außerdem als Prüfstein des Charakters. Je nachdem sich eine Neueintretende beim Haarav- schneiden benommen, kann man sie unter die Reuigen oder unter die hoffnungslosen classificiteu und dieser erste Eindruck wird selten täuschen. Diejenige, die ihr Haupt trotzig oder frech oder auch nur gleichgiltig zum Abschneiden ihrer Haare hinhält, kann man sofort getrost unter die ewig Verlorenen rechnen." „Mehr als die Hälfte von den Unglücklichen in diesem Hause hat ursprünglich maßlose Eitelkeit auf die Bahn des Verbrechens geführt. Sie betrogen, stahlen, veruntreuten, legten falsche Eide ab, nur um ihrer Eitelkeit fröhnen und sich hübsch putzen zu können, und wegen eines solchen Delictcs im Strafhause, kommt man gewiß noch mehreremale hinein, wenn auch dann die Gründe des Verbrechens andere sind." „Kaum glaublich erscheint es, und dennoch ist es Thatsache, daß viele der jüngeren unserer Büßerinnen sich hier im Strafhause schminken, schminken mit einem Farbstoff, den sie durch Auslaugen einiger rothen Fäden, die sich in ihrer baumwollenen Kleidung befinden, gewinnen." „Einige wieder tragen ein wahres Unicum von aus Decken herausgezogcneu Fäden und aus Draht- oder Holzstückchen selbstverfertigten Korsets, um schlank zu erscheinen; Andere halten ein Stückchen i Spiegel oder ein nur augeräuchertes , Stückchen Glas, das sie als Spiegel ae- . brauchen, wohlverwahrt bei sich und unter den sogenannten „schwersten Ver- : brecherinnen" auch die verkommensten i Naturen seien. ~ ’ „Wir haben", erklärte die Frau, , „in unserer Anstalt Kindesmörderinnen, Gatten- und Muttermörderinnen, sogar auch Raubmörderinnen, aber fast alle . diese sind geradezu ein Muster an Arbeitsamkeit, Reinlichkeit, Demuth und Folgsamkeit. Mit ganz geringer Ausnahme können wir gerade diese „schwersten Verbrecherinnen" als die „sittlich Beste,:" unter allen Gefangenen bezeichnen. Ja, nian könnte sogar sein Leben dafür verwetten, daß die meisten von wegen Mordes Verurtheilten, in Freiheit geletzt, die sanftesten, rechtschaffensten und urbeitsamsteu Menschen wären." „Anders steht es mit denjenigen, die hier wegen leichterer Verbrechen sind, wie Betrug, Diebstahl, Hehlerei, Mein- sid, Veruntreuung. Die -Mehrzahl von diesen kommt moralisch verkommen in die Anstalt, und es ist erstaunlich, mit welch' satanischer Energie diese Sorte von Verbrecherinnen in ihrem lasterhaften ^eben beharrt. Einmal in der Straf- unstalt, sind sie dieser auch schon für unmer verfallen." „Während meiner vierzigjährigen Thätigkeit in diesem Hause," fuhr Frau Frcveltown fort, „kam ich zur vollsten Ueberzeugung, daß die weiblichen Sträf- unge viel verworfener sind, als- die "sinnlichen. Abgesehen davon, daß von Männern, die zum ersten Male in dieses Haus kommen, kaum vierzig Percent wieder rückfällig werden, von Weibern 3f"öegen über neunzig Percent, ist das benehmen der weiblichen Sträflinge — wu Ausnahme eben jener schwersten ^erbrecherinnen — in der Anstalt ein "^artiges, daß man wirklich daran Rauben muß, daß das Weib nur Engel vder Teufel sein kann. Hier selbstver- wandlich ist es das Letztere." ,. »Auf eine Probe wird jede gleich ^Zw Eintritt in die Strafanstalt gestellt. Urschrift ist das Abschneideu der Haare.
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