Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

116 wurde huldvollst empfangen und versprach Se. Majestät, die Petition seiner Negierung zum eingehenden Studium zu übergeben. Auch beim Minister-Präsidenten Grafen Ta affe und beim Unterrichtsminister Dr. v. Gaut sch sprach die Deputation vor und wurde überall mit der Versicherung wohlwollender Behandlung der Petition, aber ohne bestimmte Zusicherung, entlassen. Im verflossenen Frühjahre machte sich in ganz Europa eine socialistische Beweauna. bemerkbar, die, von den säjlechtbezahlten Äohlen- arbeUern in Deutschland ausgehend, sich über- alle Industriellen auch Oesterreichs ausdehute, und wo immer größere Arbeitermassen in Jndustriecentren beisammen waren, injSiitfe^ sowohl Aufbesserung der Arbeitslöhne, als auch fürseFiTSnijeft^^ In Steyr glaubte man für solche Bewegungen keinen Boden voraussetzen zu dürfen, da die Löhne hier sehr groß, die Behandlung der Arbeiter eine äußerst humane un- die Arbeitszeit eine entsprechende warenMichtsdesto- weniger blieb auch unsere Stadt vonllnruhen nicht verschont. Ein Artikel in dem socialisti- schen Wü^Mejchheit" hatte in einer seiner Nummern die, nachträglich herausstellte, ganz unrichtige Nachricht gebracht, daß in der Schrauben- und Winden-Werkstätte des Carl Teuflmayr täglich von 4 Uhr Morgens bis 10 Uhr Abends gearbeitet werde, und dieses Vorgehen des Fabrikanten in ungemein gehässiger, tendenziöser Weise verurtheilt. Das scheint das Signal gewesen zu sein, die Arbeiter zu Demonstrationen zu veranlassen, denn Montgg benJXJSxmi versammelten sich einige "sausend ruf der bucklichen Wiese und brachten dem Fabrikanten Carl Teuflmayr eine Katzenmusik, bei der sie unter Schreien, Pfeifen und Johlen ihrer Entrüstung gegen denselben Ausdruck gaben und Steine gegen das Hans schleuderten, so daß sämmtliche Fensterscheiben eingeschlagen wurden und das Haus auch sonst Schaden litt. Die Polizei hatte von der beabsichtigten Demonstration Kenntniß erlangt, schritt ein und verhaftete die Arbeiter Lucam und Winker.' Nun lenkte sich die Aufmerksamkeit der Excedenten von der Winden-Werkstätte ab, der ganze Haufe zog vor die Polizei-Expositur in der Sier- ningerstraße und begehrte hier unter Johlen und Pfeifen die Freilassung der Verhafteten. Zugleich flogen Steine gegen das Haus des Wachlocales, dessen Fenster vollständig zertrümmert wurden, während faustgroße Steine in die Zimmer des Hauses sielen und die Bewohner desselben bedrohten. Als die Situation einen sehr bedrohlichen Charakter angenommen hatte, erschien der 'Bürgermeister Johann Berger, versuchte die aufgeregten Gemüther durch gütliches Zureden $u beruhigen und versprach die angeblich unschuldig Verhafteten frei zu geben, wenn die Arbeiter ruhig auseiuauder gehen. Diesem begütigenden Einschreiten, sowie einer neuerlichen Attake der Polizei-Mannschaften gelang es, die Ruhe um 10 Uhr abends wieder herzustellen. Es schien jedoch diese Ruhe nicht im Plane der Rädelsführer gelegen zu sein, denn am nächsten Tage verbreiteten sie die Nachricht, der Biirgermeister hätte sein Wort gebrochen und die verhafteten Arbeiter nicht freigelassen. Diese Behauptung war jedoch unrichtig, denn die Arbeiter, Lucam und Will ter waren freigelasscn worden, dagegen waren die Arbeiter Gold und Schmuck am Dieustag früh verhaftet worden, weil gegen sie die Anzeige erstattet worden war, dass sie die Excedenten aufgereizt und zur Demolirung des Teuflmayr'schen Hauses, sowie zum Steinewerfen aufgeforderü; hatten. Trotzdenl die Rädelsführer die richtigen Thatsachen wissen mußten, verschwiegen sie den Arbeitern den wahren Sachverhalt ulid reizten ihre Cameradell auf, dem Bürgermeister, der angeblich sein Wort gebrochen hätte, Dienstag abends eine Katzenmusik zu' bringen. Um diese Zeit wurden Gruppen von Arbeitern bemerkbar, die sich am Carl Ludwigsplatze, am Franz Josessplatze und. der Promellade unanf- fällig sammelten. Um dreiviertel 9 Uhr besetzten sie jedoch dichtgedrängt die ganze Prevenhuber- gasse und versuchten gegen die Wohnung des Bürgermeisters unter schrecklichen! Johlen., Pfeifen und Schreien vorzndringen. Die Polizei hatte im Laufe des Nachmittags Kenntniß von der beabsichtigten Demonstration erhalten und nach Thunlichkeit Gegenmaßregeln gegell dieselben getroffen. Die gesammte Polizei- und Wachmannschaft war mit Gewehren bewaffnet und das Wachdetachenlent in Garsten um Succurs ersucht worden. Im kritischeil Momente erschien denn auch eine Abtheilung der Wachmannschaft unter der Führung des k. k. Lieutenants Walther Winternitz und drängte unter Mithilfe der bewaffneten Polizeiwache die Tumultuanten ans der Prevenhuber- gasse bis zum Franz Josefsplatze zurück. Hier nun entwickelten sich schauerliche Scenen und Auftritte zwischen den Sicherheits-Organen, die die Arbeiter zur Ruhe ermahnten, lind den Excedenten selbst. Die Demonstration schien vollständig organisirt, und Arbeiter in weißen Hosen unb sogenannten Girardihüten schienen die Anführer zu sein; denn so oft es anscheinend gelang, die Excedenten von ihrem unsinnigen Vorgehen zu überzeugen und zum Fortgehen zu veranlassen, erhob sich ein mit schrillem Pfeifen untermischtes Geschrei: „Auslassen", und der Tumult begann von Neuem. Als alle Versuche, die Tumultuanten durch gütliches Zureden zu zerstreuen, nichts fruchteten, machte das Militär Miene mit Gewalt vorzugehen, drängte die Maffeis gefällten! Bajonette abermals äkC wurde aber von denselben mit einem Steinhagel überschüttet, dnrch welchen drei Soldaten, darunter einer erheblich verletzt wurden. Nur dem besonnenen, tactvollen Vorgehen der Sicherheitswache und des Com117 Auf die Nachricht von diesen Demolirungen zog das Militär vom Frauz Josefsplatz über den Stadtplatz und durch gauz Steyrdorf und zerstreute die Tumultuanten, so daß nach elf Uhr Nachts allgemeine Ruhe herrschte. Die Stadt bot am nächsten Morgen einen traurigen Anblick; die eingeworfeuen Fensterscheiben und Spuren der Steinwürfe an den Häusern gaben Zeugniß von der blinden Wuth, in der jugendlicher Uebermuth, aufgehetzt von böswilligen Agitatoren, sich zu Ausschreitungen Hinreißen ließ, welche die besonnenen, alten Arbeiter selbst auf das schärfste verdammten, die aber trotzdem für alle Arbeiter sehr unliebsame Folgen hatten. Mittwoch Früh um halb 5 Uhr rückten das 1. Bataillon V« des 14. Jusanterie-ReMandanten der Militär-Abtheilung ist es zu danken, dass auf die Steinwürfe und die höhnischen, verletzenden Zurufe der Excedenten 'ich das Militär nicht verleiten ließ, Feuer 3u geben, wodurch unberechenbares Unheil« vermieden wurde. Im Momente höchster Gefahr ; erschien unter dem Commando des k. k. Ober-I ueuteuantsAlfred Sperl eine neueMilitär- abtheilung aus Garsten, mit Hilfe welcher es ge- lang, die Excedenten in respectvoller Entfernung^ ZU halten. Während nun ein Theil der Letzteren das Militär am Franz-Josefsplatze beschäftigte, trennte sich ein anderer Theil ab und begab ach auf deu Stadtplatz, wo er unter schrillem pfeifen zuerst dasRath- huus mit Steinen bedarf, sämmtliche Fen- ja sogar das Zifferblatt der transparenten Thurmuhr Zertrümmerte und einen Gas-Kandelaber im Volizeiwachlocale ab- chlug, so daß das brennende _ Gas lichterloh ^wporflammte. Später wurden an sämmtlichen r k. öffentlichen und oer Gemeinde gehörigen Gansern, bald aber Schatt Privathänsern, Ole Fenster eingeworfen, Me Gaslaternen der Men Stadt zer- Mugeu, «Heils ber* korben, «vorauf der ^"le Haufe« uachEuus- und Von dort nach W ehrdorf zog. Daselbst ^rachen dieExcedenteN Anton Spitalsky, Director der Waffensabrtt. . Os Kleidergeschäft des MUsmannes Jacob warfen sämmtliche vorräthigen Waaren die Straßen in den Koth, zerrissen einen stahlen einen andern Theil, wodurch der Husmann einen Schaden von mehreren Äsenden Gulden erlitt. Bon da zog die m^dtrende Menge. zur Polizei - Expositur izur Teuflmayr'schen Windenwerkstätte der Sierningerstraße und zertrümmerte, ZU zertrümmern war, riß die Fensterstöcke ein ^n Fenstern, versuchte durch das Thor vj^ubrechcn, was jedoch nicht gelang, und r ^e großen schaden an. Mittlerweile wurdq o w das bewaffnete uniformierte Bürgercorps. on^'Uiirt und rückte iu der Stärke von 27 Mann welche sich, von den Excedenten mit wlnen beworfen, ins Rathhaus zurückzogen.! gimentes Grobherzog von Hessen unter dem Comniando des k. k. Obersteu Alfred Ehlers aus Linz und um 7 Uhr abends zwei Escadronen desDragouer- Regimentes aus Euns unter dem Commando des k. k. Oberstlieute- Nantes Baron Wei- gelsperg in Steyr einund wurde ein Theil der Infanterie in der Bürgerschule, in Jell- mayrs Casino und in der Knabenvolksschnle im Exjesniten-Gebäude in Ort, später auch in der Werudl-Villa, und die Cavallerie in Privathäusern untergebracht. Die sonst so friedliche Stadt glich einen! Heerlager; Militär Abtheilungen besetzten des Abends die wichtigsten Punkte der - Stadt und das Geräusch der gewerbfleißigenBürger derStadt wurde durch Commandorufe, Horusignale, den gleichmäßigen Schritt der Patrouillen oder das Getrabe der Pferde übertönt. Mittwoch morgens wurden zahlreiche Verhaftungen vorgenommen, derLlrbeiter Lese- und Gesangsverein sofort aufgelöst und sämmtliche Mitglieder aus Stehr abgeschafft. Die compromittirten Arbeiter wurden der Behörde zur Abstrafung übergeben und ausgewiesen und schwere..Kerkerhaft war die Sühne der durch gewissen kose Hetzer Verblendeten. Die folgenden Tage fanden wol noch hie und da kleine Ansammlungen statt, waren jedoch nicht von Bedeutung und wurden dnrch d'e Cavallerie leicht zersprengt. Nur allmälig kehrten Ruhe und Ordnung in die Stadt ein, so daß eine

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