Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

103 Josef Wernöl'. (Mit Titelbild.) Die Entwicklung der Zeitverhältnisse, der Fortschritt auf allen Gebieten nienschlicher Thätigkeit und Schaffenskraft würde nur lang- sam vor sich gehen und sich unbeinerkt entfalten, wenn' nicht bald ans diesem Gebiete, bald auf jenem Männer entstünden, deren außerordentliche Begabung, eiserne Energie und rastlose Arbeitskraft Werke schaffen würden, die unvergänglich sind. Wie diese Werke den zunächst Betheiligten zu materiellem Wohlstände führen, so spornt der Zwang, Gleiches schaffen zu müssen, im Ringen llach Vervoll- kommnnng Tausende an, dem leuchtenden Beispiele Ilachztlkommen' und in diesem edlen Wetteifer wird der Fortschritt bei weitem mehr beschleunigt, als wenn die Entwicklung eines Zweiges sich selbst überlassen bleibt. Ein Mann von solch phänomenaler Be- deutuilg war der Generaldirector der österreichischen Waffeufabrik in Steyr, Josef Werndl, dessen unerwartet, schneller Tod nicht nur seine Familie, seine ganze Vaterstadt, sondern auch alle Fachkreise auf dem heutzutage so ausgedehnten und wichtigen Gebiete der Waffentechnik in größte Trauer versetzte. Josef Werndl war ein Manu, dessen äußere Erscheinung, dessen herkulischer Körperbau und physische Straft, gepaart mit hoher Intelligenz, scharfem Blick für die gegebenen Verhältnisse und mit unersättlichem Schaffens- drange den bedeutenden Menschen verrieth, dem nur ein Feld für die in ihm aufgespeicherten Kräfte fehlte, um Außerordentliches zu schaffen. Dieses Feld fand er in seinem eigenen Vaterhause, auf dem Gebiete der Waffenfabrikation und um den Entwicklungsgang des großen Mannes zu überblicken, wollen wir eine kurze Skizze seines Lebenslaufes geben. Die altberühmte Eiscnstadt Steyr widmete sich nebst der Erzeugung von Messern, Werkzeugen, Ketten rc. auch von jeher der Waffenerzeugung und die Steyrer Waffen, Kürasse, Säbej, Lanzen zc. waren ebenso berühmt, wie die übrigen Stahl- und Eisen- waaren. I Der Vater Josef Werndl's, Leopold Werndl, übte in Wieserfeld im Hanse Nr. 37 das Bohrerschmiedhandwerk ans, gieng jedoch, als den Zeitverhältnissen entsprechend die Waffenerzeugung sich immer mehr hob und entwickelte, znr Erzeugung voll Waffenbestandtheilen iiber, die er in den Häusern Nr. 58 und 62 der Sieruiugerstraße betrieb und zn deren Erweiterung er anch eine sogenannte Schleife am Wehrgraben in Steyr und einen Hammer und eine Schleife in Letten erwarb. Das Geschäft ging stott, so dass er stets 40 bis 50 Arbeiter beschäftigen konnte. Die Erfolge emsiger Thätigkeit blieben nicht aus und sowohl materieller Wohlstand, als anch die allgemeine Achtung der Mitbürger lohnten den Fleiß des strebsamen Gewerbs- mallnes. In dieser Geschäftsperiode wurde dem Leopold Werndl am 26. Februar 1831 im Hause Nr. 37 in Wieserfeld ein Sohn geboren, der in der Taufe den Namen Josef erhielt lind sich unter der Pflege seiner Mutter Josefine Werndl körperlich und geistig vielversprechend entwickelte. Sein Vater hatte ihn zu seinem Nachfolger im Geschäfte ausersehen, weshalb er ihn nach Absolvirung der damaligen sechs Normalschulclassen zu dein seinerzeit berühmtesten Waffen- und Gewehrfabrikanten Früh- Wirth in Wien in die Lehre gab, wo' er praktisch die Büchsenmacherei erlernte. Nach absolvierter Lehrzeit kehrte er nach Hause zurück, lernte auch die Feilhauerei, mochte sich jedocki in die für seinen ungestümen Thatendrang ^z" kleinen, engen Verhältnisse im Elternhanse nicht fügen. Er verließ daher wiederholt das Elternhaus uud ging nach damaligem Brauche auf die Wanderschaft und arbeitete auch in Prag in einer berühmten Büchsenmacherei, in der er seine Kenntnisse bedeutend erweitertes Diese Zeck darf man wohl die Sturm- uud^Drang- periode Josef Werndls nennen. So oft er auch das Elternhaus verließ, ebenso oft kehrte er wieder dahin zurück und der in ihm mächtige Schaffensdrang, . die ungestüme Jugendkraft und sein ungemein lebhafter Geist rangen nach Bethätigung. Da er in dem sittenstrengen, bürgerlich, einfachen Elteruhause unter strenger Leitung seiner Eltern zu wenig Gelegenheit zum Austoben fand, rang die herkulische Körperkraft und der ungestüme Uebermuth dcr Jugend nach Aeußerung und veranlaßte ihn zn theils kraftstrotzenden, theils so übermüthigen Jugendstücken, dass sich den Eltern und auch dcr Mittelwelt die Besorgnis aufdrängte, dass ans dem sehr gut veranlagten und mit dem besten Herzen ausgestatteten Menschen doch Nichts werden könnte. Befestigt wurde diese Ansicht noch dadurch, dass er, offenbar nach einer Rüge für eine neuerliche Heldenthat, plötzlich wieder das Elternhaus verließ und sich im Jahre 1849 freiwillig zu ein^n ^hevauxlegers-Regimente in Wien assentieren ?leß. Bei der damals bestandenen vierzehu- lährigen Dienstzeit mar dieser Schritt so ziemlich gleichbedeutend mit dem Aufgeben der bürgerlichen Existenz und gewerblichen Thätigst uud es ist begreiflich, dass die über diesen Streich höchst verzweifelten Eltern Alles ver- Mchten und daran wagten, um den Sohn vom Militär wegzubriugen. Dies gelang ihnen end- llch, indem derselbe „commandirt beurlaubt" wurde was in den Fällen möglich war, wenn der Beurlaubte auch im Civilstande für Mili- tarzwecke verwendet werden sollte, was in dem dorliegeuden Falle, wenn auch ziemlich ent- fernt, zutraf, da sein Vater Waffenbestandtheile Zeugte, die für das Heer bestimmt warem diesdm dienstpflichtigen Verhältnisse verblieb er zehn Jahre und erhielt erst im ^ahie 1859 seinen Abschied vom Militär. Mit sichtlichem Behagen erzählte Josef Werndl sväter im trauten Freundeskreise die humoristischen Episoden, die seine Jugendstreiche hervorgerufen hatten, und mit berechtigtem stolze blickte er darauf zurück, dass er die pessimistischen Ansichteil üper seine Zuknnft so lstänzend ividerlegt hatte. Vom Militär zurück- llekehrt, strebte Josef Wer^rdl nach einer ""abhängigen, selbstständigen Stellung, kaufte diesem Behufe die sogenannte Kettenhuber- ^chleife, das- heutige Object IV- der österreichi- Aen Waffenfabrik, in welcher er 12- bis 15 Arbeiter mit Polieren beschäftigte. ^In diesem ^bjecte begann somit die selbstständige, geschäft- >che Thätigkeit Josef Werndls und dasselbe n somit der Grundstein zum heutigen welt- Mühmten Etablissement der - österreichischen ^affenfabrik geworden. - , „ Die größte Umwälzung im Leben Werndls Ullzog sich jedoch, als fein Vater Leopold Werndl am & December 1855 plötzlich an der-/. Cholera verschied, die er sich bei der damals Ul der Umgebung von Steyr herrschenden Epi- Mie in seinen Werken zu Letten geholt hatte, ^leses traurige, nicht nur von der gesummten Anuulie, sondern auch von den Mitbürgern ^uiMs tief beklagte Ereigniß brachte in ^osef Werndl die in ihm wohnende Energie Willensstärke zur vollsten Geltung. Seine Mutter führte das väterliche Geschäft für , ^ene Rechnung fort, doch war ihr Sohn von U" ab einigst bestrebt, dasselbe auf eine immer höhere Stnfc zu heben und zwar mit jachem ^folge, dass die Mutter die eigentliche Ler- immer mehr dem sachkundigen und strebL'Uen Sohn übertrug Im Jahre 1853 führte Berndl die Tochter des Mefferfabrikanten Heindl, Caroline, heim, mit der er in glücklichster Ehe lebte und der die Kinder Marie, Josef, Caroline und Anna entstammten. Von diesen starben zum größten Schmerze des Vaters, der seine Kinder über Alles liebte, die älteste Tochter Marie, welche in erster Ehe mit dem Beamten der Waffenfabrik Robe r t S ch ö t t, in zweiter mit dem Beamten der Waffenfabrik Otto Sander verehelicht war im Alter von 26 und der einzige Sohn Josef,'Reserve- lieutenant in einem Dragoner-Regimente in einem solchen von 27 Jahren. Seine Gattin Frau Caroline Werndl starb am.29. October 1878. Die Mutter Werndl's zog sich allmälig vou der Leitung des Geschäftes ganz zurück, welche er vollständig übernahm. Er vergrößerte dasselbe immer mehr und erweiterte es durch den Zukauf der Jochermühle uud ' dreier Schleifen im Jahre 1862, welche Objecte er jedoch demolirte und an deren Stelle-'das Object Hl bähte, wie es heute noch besteht. ^Jm Jahre 1860 wurde die Firma I. F. Werndl und Compagnie gegründet welcher die Mutter Josefine und die Brüder J o sef, Franz-und Johann Werndl angehörten. Als im Jahre 1864 der letztere Bruder starb, trat ein anderer Bruder Ludwig in die Firma ein, welche das Geschäft aus dein engen früheren Rahmen heraushob, immer mehr ausgestaltete, und den Ruf derselben bereits weit über die'Grenzen der engeren Heimat trug. Am 10. November 1867, starb die Mutter Werndls tief betrauert - von der Familie und Allen welche -die rüstige strebsame Frau kannten. • Einen bedeutenden Fortschritt gewann diese Firinch <als<Zie, die- Erzeugung--von Waffen- Und Gewehrbestandtheilen allmälig aufgab- uud succesive die Herstellung vollstün- - diger Gewehre mit Glück unternahm. Die Frage der Hinterlader" war damals so acut geworden, wie dermalen die der Magazinsgewehre und Josef Werndl war unablässig bemüht, ein Gewehrsystem zu finden, welches die bisherigen Systeme au Leistungsfähigkeit Und ^Einfachheit der Constrnction überträfe. Zu ^diesem Behufe sowie zum Zwecke des'Studiums der Massenerzeugung von Armeegewehren unternahm Werndl Reisen in aller Herren Länder und im Jahre 1863 auch nach Amerika. Die Frucht der letzteren Reise war, dass er die amerikanische Art der massenhaften Erzeugung der Gewehre durch Specialmaschiuen für jede einzelne Function, und das dadurch ermöglichte sogenannte Ausmechslnngssystem kennen lernte, welches darin besteht, dass jeder Bestandtheil für jedes Gewehr passend erzeugt wird und daher, ohne jedes Gewehr eigens herzustellen, aus den vorhandenen Bestandtheilen die Gewehre leicht uud billig Zusammengestellt werden können. Eine weitere. Frucht dieser Reise war, dass Werndl ein Hinterlader-System kennen st

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