Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

86 87 das angesehenste Creditinstitut Frankreichs, das Comptoir d'Escompte wurde in diesen Schwindel hineingerissen, und der Director Denfert-Rocherau endete am 5. März durch Selbstmord. Es brach eine verhängnißvolle Krisis aus, die nur durch Intervention der Regierung und durch die Beihilfe der großen Creditinstitute beschworen werden konnte. Die Regierung fühlt sich übrigens stark genug, dem Herzog von Aumale die Bewilligung zur Rückkehr nach Frankreich zu gestatten. Derselbe stattet am 12. März dem Präsidenten seinen Dank ab. Die Lage Boulangers wird durch die Verfolgung und Aufhebung der Patriotenliga bedenklich da die Regierung nun auch gegen ihn die Anklage' erhebt. Der Generalprocurator Bauchez weigert sich gegen den brav' Gänöral vorzugehen und wird an seiner Stelle Quesnay de Beaurepaire ernannt. Boulanger zieht es aber vor, seine Haut in Sicherheit zu bringen und flüchtet am 3 April in Gesellschaft einer Dame nach Brüssel. Gleich Catilina hat er zwar über kein Heer zu ve-rfügen, und da er nicht mit dem Degen arbeiten kann so ist er um so thätiger mit der Feder Ein Manifest folgt dem andern. Da aber der belgischen Regierung dies unangenehm wird, so wird er am 22. April höflichst ersucht das Land zu verlassen und begibt sich nach London. Am 2. April begann der öffentliche Proceß gegen die Mitglieder der Patriotenliga; das Urtheil war ein sehr mildes. Die Angeklagten wurden von der Theilnahme an einer geheimen Gesellschaft freigesprochen und nur zu je hundert Francs Geldstrafe wegen Mitgliedschaft von einem nicht autorisirten Verein verurtheilt. Dagegen beschließt der Senat am 12. April seine Competenz als Gerichtshof zur Aburtheilung des Generals Boulanger wegen Verbrechens des Attentats auf die Sicherheit des Staates. Die Regierung hat sehr wohl daran gethan während der Pariser Weltausstellung dem Bou- langismus den Boden unter den Füßen wegzuziehen und dadurch allen politischen Agitationen und Beunruhigungen vorzubeugen. Die Eröffnung dieses Wunders unserer Zeit fand am 4. Mai in Abwesenheit aller Botschafter der. fremden Mächte statt. Frankreich hat durch diese Ausstellung bewiesen, daß es Alles, was es auf politischem Gebiet verloren, auf volkswirthschaftlichem wieder erobert hat. Die Republik erhält dadurch den Fingerzeig, daß nur in Erhaltung des Friedens ihr Bestand gesichert sein kann. Der so hoch angefeindete Eiffelthurm erweist eine ungeheure Anziehungskraft auf Fremde und Einheimische. Am 6. Mai findet das sehr harmlose Attentat Perrie auf den Präsidenten statt. Der Attentäter behauptet nur blind geschossen zu haben, um einer Beschwerde Nachdruck zu geben. Anfangs Juni werden in der verlassenen Wohnung des General Boulanger bei 30.000 Briefe saisirt und dessen früherer Intendant Reichert verhaftet. Man hofft gravirende Ver- schwörungsdelicte zu finden. Ueberhaupt ist der Boulan. ismus im Abnehmen; in einzelnen Provinzstädten können nicht einmal mehr die üblichen Bankette zu Stande gebracht werden. Boulanger sucht die Beschuldigungen, daß er eigenmächtig Verträge mit Lieferanten abgeschlossen habe, indem der Präsident damit in Geheimen einverstanden gewesen sei, abzuwälzen. Er habe bei den Fall Schnäbele eine zweite Armee von 600.000 Mann in aller Stille geschaffen, um Deutschland im Fall eines Angriffs zu vernichten Es stellten sich aber die Intentionen des drav' Oönäral heraus, indem diese Lieferungs-Verträge schon 2 Monate vor dem Fall Schnäbele in ganz geringen Beträgen abgeschlossen worden waren. 6000 Pariser Kutscher streiken, da sie täglich 24 Francs nicht abzuführen vermögen, es kommt aber eine Einigung zu Stande. England. Den Kriegsrüstungen, welche die europäischen Staaten zur Erhaltung des Friedens für nothwendig erachten, hat sich dieses Weltreich nur in geringem Maß angeschlossen. Dieses Jnselvolk ist zu praktisch, um das Nationalvermögen aus Kriegszwecke zu vergeuden, an die wenigstens Lord Salisbury bei dem Mayors-Festbanquet am 8. August nicht glauben wollte. Er betheuerte bei dieser Gelegenheit, daß alle Staaten von Friedensliebe beseelt seien. Am 17. September hält der Gerichtshof seine erste Sitzung in der gegen die Parnelliten vorgebrachten Anschuldigungen wegen Hochverrath ab. Dieser Proceß erregt in ganz England ungeheures Aufsehen, und werden wir den Ausgang weiter unten melden. Die Einnahme von Wadai durch die Mah- disten bedeutet eine bedenkliche Machtvermehrung der den Engländern feindlich gesinnten Araber. Die Früchte der schwankenden Politik Gladstones reifen mehr Hub mehr und werden für England noch sehr unheilvoll werden Dazu kommt noch am 16. December dre Nachricht von der Capitulation Emin Pascha's und der Gefangennahme Stanley's Die Macht der arabischen Sclavenhändler in Afrika gewinnt immer mehr an Bedeutung, und die englische Regierung war gezwungen, mit Deutschland sich zur Blokade der ostafrikanischen Küste zu vereinigen. Dies wird auch in der am 24. December zum Schluß des Parlaments von der Königin gehaltenen Thronrede betont. In derselben wird auf die guten. Beziehungen zu den anderen Mächten und die Nothwendigkeit, dem Sclaven- handel entgegenzutreten, erwähnt. Ausfallend ist es nur, daß die britisch-ostafrikanische Gesellschaft den Sclavenhandel nicht nur duldet, fondern sogar fördert. Eine Folge dieser zweideutigen Politik ist, daß die Araber mehr und mehr die Uebermacht gewinnen. Der mit England befreundete König von Uparde beabsichtigte die Vernichtung seiner arabischen Leibgarde ^iese jagte aber den Tyrannen davon, setzte dessen Bruder auf den Thron; als dieser aber die Christen begünstigte, massacrirten sie ihn und öerstörten die Missionen und drohten dem englischen Residenten in Zanzibar, alle central- afrikanischen Niederlassungen zu vernichten. In Suakim erzielen die englischen Truppen Eknen Sieg über die Mahdisten und lassen zum Schutz des Hafens eine Besatzung und Kriegsschiffe zurück. Der Regierung drängt sich allmählich doch die Ueberzeugung auf, daß sie bei den allgemeinen Austungen zur Erhaltung des europäischen siedens nicht zurückbleiben dürfe, und so wurde Emin Pascha. ^r Bau von 70 neuen Kriegsschiffen mit einem Kostenaufwand von 21 Millionen Pfund Ster- Ung am 7. März im Unterhause beantragt. r Durch den am 26. März erfolgten Tod ^vhn Bright's verliert England einen ferner ^rvorragendsten Philantropen und Staatsmänner. Er war als unermüdlicher Friedensapostel einer der populärsten Volksmänner und auch alle seine Bestrebungen: Aufhebung Kornzölle, die- Befreiung des ländlichen Arbeiters non der Hörigkeit, Sturz der obli- Morischen Herrschaft und der monopolistischen ^chenclique verwirklicht gesehen. Anfangs April gelangten endlich sichere ^^chrrchten über Stanley's Expedition zu Emin Ascha nach Europa. Es gränzt geradezu ans wunderbare, was dieser kühne Afrikasorscher EAebt und errungen, und auf welchen Wegen ihm gelang den todtgeglaubten Emin Pascha in seinem Duodezreiche aufzusuchen. Derselbe beschloß aber seine kleine Armee nicht zu verlassen, da sonst alle Disciplin aufhören würde. Anfangs December gelangen wieder Nachrichten von Stanley an. Er erreichte mit geringer Mannschaft die südöstliche Küste des Nianza- Sees, während Emin Pascha sich auf der nordöstlichen behauptet. Spanien. Unter der ebenso weisen als volksthümlichen Regierung der Königin-Regentin Christine verstummte allmählich die Wuth der Parteien, welche seit Jahrhunderten dieses schöne Land zerfleischt haben. Die Culturentwicklung gelangt in Schule, Handel, Industrie und Gewerbe mehr und mehr zum Ausdruck, nur hie und da glimmt es noch unter der Asche. Gegen Canovas de Castillo, den freisinnigen und größten Staatsmann Spaniens,- erhob sich Ende December ein Sturm, und Sagasta wurde mit der Bildung eines neuen Cabinets beauftragt. Die Ruhe wurde dadurch wieder hergestellt. Die Königin- Regentin empfängt am 27. Mürz den Besuch der Königin von England. Serbien. Die politische Lage des mit unseren In- teressen so nahe verbundenen Königreichs festigt sich durch die Energie König Milan's mehr und mehr. Unerschütterlich, trotz aller Verlockungen, weiß er sich dem russischen Einfluß zu entziehen, und obwohl die Königin Natalie Wiederver- jöhnungsversuche gemacht, läßt der König Ende October die Scheidung durch die Synode auch kirchlich vollziehen. Die Königin nimmt ihren bleibenden Aufenthalt in Rußland, wohin sie ihre Sympathien ziehen, und protestirt gegen die Rechtmäßigkeit der Scheidung. Der König ist dagegen bemüht, durch eine Revision der Verfassung unter den weitgehendsten liberalen Concessionen sich die Liebe seines Volkes zu erwerben. Am 1. November wird ihm ein solenner Fackelzug gebracht. In der constituirenden Skup- tschina gährt es aber trotzdem und die Freunde der geschiedenen Königin Natalie und Rußlands gewinnen mehr und mehr die Oberhand. Gegen Ende December herrschte ungeheure Aufregung unter der Bevölkerung, König Milan soll abgesetzt, eine Deputation nach Petersburg um Designirung eines anderen Königs gesandt werden. Der liberalen Partei gelingt es zwar noch, den Sturm zu beschwichtigen, allein die kommenden Ereignisse werden dadurch vorbereitet. Der König hat auch die radikale Partei für sich zu gewinnen gewußt, und empfing am 26. December eine Deputation derselben, welche ihm ihre Treue versicherte. Einen grellen Gegensatz zu all diesen Demonstrationen bilden die am

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