80 Die Broschüre Mackenzies, in welcher er seine Behandlungsweise der Krankheit Kaiser Friedrich III. zu rechtfertigen suchte und die deutschen Aerzte maßlos angreift, wird in Berlin confiscirt. Einen peinlichen Eindruck hinterläßt die Ansprache des Kaisers, welche derselbe am 27. October aus Anlaß der Ueberreichung einer Glückwunschadresse an das Stadtcollegium richtete. Er sprach seinen Tadel über die Haltung der Berliner Presse aus, und machte die Väter der Stadt gewissermaßen dafür verantwortlich. Am 29. October trifft der Kaiser in Hamburg zur Schlußsteinlegung der neuen Hafenbauten ein, mit unbeschreiblichem Jubel von der Bevölkerung begrüßt. Auch hier wurde die Erhaltung des Friedens und die Förderung des Volkswohlstandes als Hauptaufgabe seiner Regierung betont. Die verwitwete Kaiserin Friedrich begibt sich mit den Prinzessinnen am 19. November nach England, wo sie von der Königin Victoria aufs herzlichste empfangen wird. Am 22. November werden die Neichsraths- sitzungen durch den Kaiser eröffnet. In der Thronrede betont derselbe, daß er im Interesse der Erhaltung des Friedens nicht nur die Bundesgenossen, sondern auch die benachbarten Monarchen besucht habe. Gleichzeitig constatirt er den volkswirthschaftlichen Aufschwung und ertheilt die Versicherung, daß die Durchführung der Altersversicherung der Arbeiter ein Ver- mächtniß seines erhabenen Großvaters sei, welches zu erfüllen seine Lebensaufgabe sei. Die „Köln. Zeitung" bringt einen Artikel, in welchem sie den englischen Gesandten Morzin beschuldigt, dem Marschall Bazaine seinerzeit Nachrichten über den Marsch der deutschen Bun- destruppen ertheilt zu haben. Morzin weist diese Beschuldigung mit Entrüstung zurück, und erregt dieser Vorgang ziemliche Sensation in ganz Europa. Am 6. Jänner wurde das Urtheil in der Gesfcken'schen Sache publicirt. Es sprach den Angeklagten, der seit 30. September in Haft war,, des angeschuldigten Landesverrathes durch Publi- cirung von Fragmenten aus dem Tagebuch Kaiser Friedrich. HI. für nicht schuldig, hob die Hast auf und legte die Kosten des Processes der Reichscasse auf. Die deutsche Handelscolonie in Samoa ist durch die Kämpfe unter den Eingeborenen bedrohtDeutschland setzte seinerzeit den König. Mataafa ab und den Häuptling Tamasese ans den Thron. Die Amerikaner unterstützten aber heimlich den ersteren und dieser trat offensiv aufVom deutschen Kriegsschiffe Olga wurden 120 Mann ausgeschisft, geriethen aber in einen Hinterhalt und erlitten einen Verlust von 20 Todten und 30 Verwundeten. Die britischen und amerikanischen Kriegsschiffe verhielten sich passiv. Nachdem die deutsche Flotte einige feindliche Dörfer bombardirte, wurde die Ruht' wieder hergestellt. Der preußische Landtag wird am 14. Jänner mit einer Thronrede König Wilhelm II. eröffnet, in welchen er auf die Segnungen des Friedens durch Hebung der volkswirthschastlichen Zustände hinweist. Die Spareinlagen haben sich am 2700 Millionen gehoben und auch die Staatsfinanzen stellen sich sehr günstig. Im Reichstag entspinnen sich dagegen heftig Debatten über die Colouialfrage, für welche Fürst Bismarck entschieden eintritt und seine Gegner zu widerlegen weiß. Das dreißigsteGeburtsfestKaiser Wilhelm^ wird im ganzen Reich am 27. Jänner aufs Feierlichste begangen. Seine edle Gesinnung offenbarte sich 8etns Empfang einer Arbeiterdeputation, welcher er seine Sympathien und Fürsorge für Verbesserung^ ihrer Lage versicherte. Die Abreise des Grafen Herbert Bismarck am 21. März nach London berechtigt nach den Berliner Blättern zu den besten Hoffnungen am das Zustandekommen eines deutsch-englische^ Bündnisses. Am 31. März gelangte die Nachricht vorr einer furchtbaren Katastrophe, welche 3 Kriegs" schiffe des deutschen Geschwaders vor SamoN betroffen. Ein plötzlich ausgebrocheuer OrcaN vernichtete die Canonenbote Eber und Adler und 3 amerikanische Kriegsschiffe, 3 Offiziere und 70 Mann fanden ihren Tod in den Wellen- Die deutsche Fregatte Olga wurde an den Strand geworfen aber gerettet. Die Trauer ist in Deutschland eine allgemeine. Der Erlaß des Fürsten Bismarck an die Tonsule des deutschen Reichs vom 4. Llpril Zeigt, daß der Reichskanzler stets bemüht war, Deutschland vor dem Verdacht zu bewahren, als wolle es mit seiner Colonialpolitik die Rechte anderer Völker verletzen. Auch das schroffe Vorgehen des Consul Knopp auf Samoa wurde mißbilligt. Einen sehr günstigen Eindruck machte es ferner, daß die geheimen politischen Agitationen des Hofpredigers Stöcker endlich durch eine Rüge des Oberkirchenrathes zu Ende geführt wurden. Kaiser Wilhelm trifft am 14. Llpril in Altenburg zum Besuch des Großherzogs ein Kaiser Wilhelm 11 im Daticon. Und wird vcn der Bevölkerung enthusiastisch begrüßt. Bei der am 30. April eröffneten Aus- nellung für Unfallverhütung _ äußerte er sich Mieder in sympathischster Weise für das Wohl ber arbeitenden Classe. Zwischen der deutschen und der. Schweizer Regierung entstehen wegen Ausweisung des Deutschen Polizeiinspectors Wohlgemuth durch ben Bundesrath Conflicte. Derselbe soll mit oem Lockspitzel Lutz Polizeispionage. getrieben 9aben und wurde in Basel verhaftet. Leider ist die Sache dadurch nicht beigelegt. Die deutsche und Russische Regierung beschuldigen die Schweiz, oatz-sie das Asylrecht auch für notorische Anarchisten gelten lasse und die Socialdemokraten 81 unter ihren besonderen Schutz nehme. In der That schmiedeten die Anarchisten Stellmacher, Kammerer u. A. in der Schweiz ihre Mordpläne die dann in Deutschland und Oesterreich ausgeführt wurden. Die Schweizer Regierung wird wohl in Interesse des öffentlichen Wohles Concessionen machen müßen und sind die Gerüchte von einer Austheilung jedenfalls grundlos. Die Samoaconferenzen werden in Berlin Ende April eröffnet. Graf Herbert Bismarck erklärt, daß Deutschland die Samoainseln weder anectiren noch seine Besitzungen im stillen Ocean ausdehnen, sondern nur den Handel schützen wolle. Der von Deutschland abgesetzte König Mataafa wird wieder rehabilitirt, wodurch England und Amerika befriedigt erscheinen. Der preußische Landtag wird am 30. April geschlossen. Anfangs Mai beginnen in den Rheinisch- Westfälischen Bergwerken und Kohlengebieten jene Streiks und Arbeitseinstellungen, die ein höchst bedeutsames Zeichen des wachsenden Socialismus sind und durch die furchtbare Ausdehnung, welche sie erlangen für die Macht der arbeitenden Classe zeugen. Allmählich steigt die Zahl der Streikenden auf 70.000 Mann; viele große industrielle Etablissements müssen aus Mangel an Kohlen sperren, wodurch die Zahl, der Arbeitslosen noch größer wird. 6
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