Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

76 die Volksschule confessionell zu gestalten uud die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes zu fordern. Bischof Bonometti theilt in dieser Beziehung eine Aeußerung ans 'dem Vatican mit, in welchem daselbst die Meinung vorherrscht, daß an demselben Tage, an welchem die italienischen Truppen Rom verlassen würden, der Papst und das Cardinalcollegium ihnen folgen müßten. Den Streiken der deutschen Grubenarbeiter schließen sich Ende April auch die unsrigen in Böhmen und Mähren an. Durch Nachgiebigkeit Seitens der Bergwerksbesitzer gestalten sich die Arbeitseinstellungen zu keiner Allgemeinheit, dauern aber doch Wochen hindurch fort. Erste Aufbahrung der Leiche in den Kronprinzllchen Zimmern der Hofburg. Unterrichtsminister Gautsch legt am 4. Mai seine Schulgesetzreform, über welche sich im Abgeordneteuhause so lange Debatten entspinnen, vor. Auch in Pest erregt ein Antrag des Unterrichtsministers Graf Czaky: Das-Ofner Staats- gymnasium in ein Institut für aristokratische Jünglinge umzuwandeln, einen furchtbaren Sturm, der sich aber legt, als man mit den näheren Modalitäten bekannt wird. Der Präsident des obersten Gerichtshofes und größte Staatsmann Oesterreichs Anton Ritter von Schmerling begeht am 43. Mai sein GOjähriges Staatsdienstjubiläum. Graf Alfred Potocki der einstige Ministerpräsident nach dem Bürgerministerium stirbt im Alter von 72 Jahren am 48. Mai in Paris. Am 23. Mai fand die Enthüllung deS Grillparzermonumentes im Volksgarten statt. Den Bildhauern Kundmann und Weyer hat Wien diese ebenso eigenartige wie prächtige neue Zierde der Reichshaupt- und Residenzstadt zu danken Damit wurde den Manen des größten österreichischen Dichters eine langjährige Ehrenschuld abgetragen. Am 29. hält Erzherzog Rainer als Curator der Akademie bei Eröffnung der Jahressitzung jene denkwürdige Ansprache, welche weit über die Grenzen Oesterreich-Ungarns hinaus begeisterten Anklang und Zustimmung fand. Leider muß gesagt werde». — so sprach der erhaben^ Sprosse des Kaiserhauses — daß ein Kampl gegen Aufklärung und Fortschritt eröffnet wurde, aber wir wollen hoffen, daß diese trübe E^ scheinttug bald vorüber gehen wird. Die Arbeiterunruhen in dem Kladnoe^ Bergwerkdistricten nehmen Anfangs Juni Höch? bedrohliche Dimensionen an und gestalten sm) allmählich zu den furchtbarsten Excessen di^ leider zu spät mit Waffengewalt unterdrückt wurden. Auch in Steyr beginnen am 49. Juni ^ beiterunruhen, die aber bald wieder beigelegt werden. In Triest finden Mitte Juni Verhaftungen infolge mörderischer. Anschläge gegen den italie^ urschen Generalconsul Duranda statt. Der irre- bentistische Triester Municipalrath betheiligt sich urcht an der Weihe des Stapellaufes des Ramm- lreuzers, aus Furcht vor der in Triest gegenwärtig dominirenden italienischen Partei. Am 48. stirbt in Linz Dr. Wiser, einer der hervorragenden Kämpfer seit 1848 für consti- lutionelle Freiheit. Viele Jahre war er Oberbürgermeister von Linz, und er wurde am 21. Ullt großen Ehren zur ewigen Ruhestätte geleitet. Am 22. werden die österreichisch-ungarischen Delegationen in Wien eröffnet, und Tags darauf halt der Kaiser jeue hochbedeutsame Ansprache, welche eines der wichtigsten politischen Programme unserer bewegten Tage bildet. Wir Müssen dasselbe seiner historischen Bedeutung wegen in unserer Chronik ausnehmen. Es .. Mit aufrichtiger Befriedigung nehme Ich ole Versicherungen treuer Ergebenheit entgegen, welche Sie soeben an Mich gerichtet haben und gedenke gerührten Herzens der zahllosen Kund- gebungen unerschütterlicher Treue und Anhäng- Mkeit an Mich, die Kaiserin und Königin und Haus, die, von allen Völkern der Mon- ^chie ausgehend, Uns Trost und Stärkung gewährten in Unserem tiefen Schmerz. . Weder in Unseren Beziehungen zu den Hemden Mächten, noch in der allgemeinen Achtung unserer auswärtigen Politik ist eine Veränderung eingetreten. In voller Einig- w". mit Unseren Verbündeten steht Meine Legierung ein für eine friedliche Entwick- .^g der fortdauernd unsicheren euro- raschen Lage; sie hält an der Hoffnung fest, Uns auch ferner die Segnungen des Friedens werden erhalten bleiben können, trotz allerorts fortgesetzten Steigerung der ^^egsmacht, die auch Uns zwingt, in der Vervollkommnung Unserer Wehrfähigkeit nicht zu halten. Der bedauerliche Entschluß des Königs ^ ^"an vou Serbien, dem Throne zu entsagen, M während der Minorennität König Alexanders Macht in die Hände einer Regentschaft z^egt, von welcher Mir in feierlichster Weise le Versicherung gegeben wurde, die bis- ^b^lgen freundschaftlichen Beziehungen D esterreich-Ungarn fortsetzen und pflegen sollen. Von wohlwollenden Gefühlen für $ benachbarte Königreich erfüllt, wünsche Ich . auch Meinerseits'und hoffe, daß die Klug- und der Patriotismus der Serben werd Qn^ vor ernsten Gefahren bewahren In Bulgarien herrscht Ordnung und Ruhe, , o es ist erfreulich, die stetigen Fortschritte s^^oystatiren, welche dieses Land trotz seiner ^wierigen Lage macht. In voller Würdigung der finanziellen Ver- ^"Nisse der Monarchie war Meine Regierung 77 bestrebt, das Gesammterforderniß für das stehende Heer und die Kriegsmarine auf das Nothwendigste zu beschränken. In Folge der außergewöhnlichen Anforderungen ist zunächst eine gebotene Fortsetzung jener militärischen Vorsichtsmaßregeln nicht zu vermeiden, für welche im Vorjahre außerordentliche Kredite bewilligt worden waren, ferner solche unaufschiebbare Maßnahmen, die zur Kräftignng und Erhöhung der Kriegstüchtigkeit des Heeres unerläßlich sind. Die Einnahmen Bosniens uud der Herzegowina werden auch in diesem Jahre zur Deckung der Kosten der Verwaltung dieser Länder um so gewisser ausreichen, als in Bezug auf die wirthschaftliche Entwicklung ein stetiges Fort sch reiten konstatirt werden kann. Indem ich die Ihnen zugehenden Vorlagen Ihrer stets bewährten patriotischen Einsicht empfehle, rechne Ich darauf, daß Sie Meine Regierung durch Ihre vertrauensvolle Mithilfe unterstützen werden und heiße Sie herzlich willkommen. Die gesammte europäische Presse und alle Cabiuete standen unter der tiefen Einwirkung dieser für alle Staaten gleich bedeutungsvollen Enunciation. Mit gleicher Weisheit, Mäßigung und hohem Ernst ist noch kein zweites politisches Programm ausgegeben worden, und wir können nur hoffen, daß die Einwirkung auf Freund wie Feind eine nachhaltige sein wird. Wir kennen unsere Jahreschronik, in der Erwartung, daß uns der Friede noch erhalten bleiben möge, für dieses Jahr schließen. Lettisches Weich. Die Nordlandsfahrt des jugendlichen deutschen Kaisers sand am 23. Juli ihren Abschluß mit dem Besuch am schwedischen Hof. Das Ergebniß der Entrevuen dürfte lediglich ein platonisches sein. Der Besuch, den Kaiser Wilhelm II. dem Reichskanzler Ende Juli in Friedrichsruhe abstattete, constatirte dagegen, daß derselbe unverändert in der Gunst seines hohen Herrn steht und daß keinerlei politische Meinungsverschiedenheiten existiren. Es kommt selten vor, daß der Beherrscher eines so großen Reiches zu einem Unterthan auf Besuch erscheint. Conflicte an der französischen Grenze zeugen für die Gehässigkeit der französischen Bevölkerung. So wurde der deutsche Zolleinnehmer Arbogast beim Zollamt in Arnaville angehalten und von einer Rotte junger Leute gröblichst insultirt. Bei der Ceutenarfeier, die zu Ehren König Ludwig des I. am 34. Juli abgehalten wurde, ereignete es sich, daß die den Festzug begleitenden vier Elefanten scheuten und in die Masse des Volkes einbrachen. Allfangs lauteten die Berichte sehr

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