Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

75 11. Februar zu längerem Aufenthalt in die Hofburg, und hoffte man durch die Autorität des Oberhauptes ferneren Unruhen und Auflehnungen gegen die Regierung vorzubeugen, worin man sich aber leider täuschte. Die anstößigen 14 und 25 des Wehrgesetzes werden Zwar in veränderter Vorlage eingebracht, aber die Opposition wüthet gegen das Cabinet Tisza fort, und am 14. Februar begannen die Straßendemonstrationen durch die Studenten neuerdings. Unter dem Ruf: „es lebe die Dynastie, es lebe der König!" zogen die Haufen in guter Ordnung, patriotische Lieder singend, ' durch die Straßen, und als die Polizei ansprengte, bewarf man sie mit Steinen und Koth. Im Jahre 1872 Schloß Meyerling. wurde dem König durch eine ganz ähnliche Demonstration der Wille des Volkes dargethan; damals schrie dasselbe aber „Lh'en Tisza!" während es sich heute mit „Abzug Tisza!" heiser brüllte. So wandelbar ist die Gunst des Volkes; es hat vergessen, daß dieser Staatsmann in den 14 Jahren seines Regiments sein Vaterland auf die gegenwärtige Culturhöhe gebracht, ihm zu Macht und Ansehen verholfen hat, und daß er zu den Ministern zählt, mit welchen man heute in Berlin, wie in Rom, in Petersburg, wie in Paris rechnen muß. Die ungarische Nation sollte stolz auf einen Minister sein, der das Panier der Liberalismus stets hoch gehalten hat und unter der Aegide desselben die Gegensätze auszugleichen und die Leidenschaften zu beschwichtigen wußte. ^?^?^ ^ die Pflicht, das begonneneWer! ohne Ruckjlcht auf die unerfüllbaren Forderungen einer unbesonnenen, ehrgeizigen Opposition zu Ende zu fuhren. Er hat dieselbe durch eine Recom structwn des Ministeriums zu besiegen gewußt. Die Parteiführer der Opposition boarbei-- teten unausgesetzt die studirendeJugend, um neuk Demonstrationen hervorzurufen. Am 19. März wurde der Abgeordnete Rohonczy von einem 19jährigen Burschen Namens Schamoail beschimpft und ins Gesicht geschlagen. Der Beleidigte feuerte aus einem Taschen- revolver einen Schuß auf den Attentäter ab, der denselben leicht verletzte. Darob zogen gege^ 1000 Studenten vor die Wohnung Rohonczy'?- wo sie scandalirten, aber durch die Polizei organe zerstreut wurden. Nachdem nun abe^ die Abgeordneten und selbst der Ministerpräsi'' deut bei ihren Fahrten zum Abgeordnetenhaus attaquirt, beschimpft und mit Steinen beworferi wurden, trat die Universitätsleitung energisch diesen Ausschreitungen entgegen. Es wurde die Relegirung aller derjenigen, die sich noch ferner an Straßenscandalen bethet ligen würden, beschlossen, und sogar mit de^ zeitweiligen Schließung der Universität gedroht- Gleichzeitig würd? eine ansehnliche Militärmacht aufgeboten, ir»n jedem ferneren StraßenkrawaU gleich im Entstehen zu begegnen. Die Bevölkerung der Reichshauptstadt Wien lotste aber auch um dieselbe Zeit, wenn auch Nicht durch politische, so doch durch kommunale Kontroversen in Aufregung gebracht werden. Bereits Mitte Februar begannen die Agitationen die Wahlen in dell Gemeinderath, welche diesmal mit besonderer Heftigkeit geführt wurden. standen sich die Parteien der Liberalen und der Antisemiten, welche sich vereinigte Christen kennen, gegenüber. Letztere siegten in mehreren Bezirken, Dank einer beispiellosen Agitation, oie es nicht verschmähte, als Mittel zum Zwecke Kronprinz Rudolf auf dem Todtenvett. auch der Buudesgenossenschast der Czechen der Clericalen zu bedieneu. ProfessorSueß legte Ende März seine Würde , s Rector der Universität nieder und hält ain März im Abgeordnetenhause eine sensationelle für die Unabhängigkeit der Schule. Der Herzog von Nassau, der Anfangs April .^n verlassen hat, tritt am 10. April die Re- ^erung des Großherzogthums Luxemburg an, ^üßt aber am 1. Mai wieder das Land, da £ König von Holland sich wieder hinreichend ^äftigt zur Fortführung der Regierung fühlt, h. In der Nacht vom 18. auf den 19. April schloßen die Tramwaykutscher, deren Lage bei 16—18 stündiger Arbeitszeit und schlechter Entlohnung von sl. 1.40 wirklich eine beklagens- werthe ist, eine Vorstellung an die Direction zu machen, in welcher sie 12 stündige Arbeitszeit und ft. 1.80 verlangen, widrigenfalls sie am Ostersonntag streiken würden. Obwohl die Gesellschaft diese billigen Forderungen ganz wohl hätte bewilligen können und ihr durch diese plötzliche Arbeitsniederlegung ein enormer Schaden während der Osterfeiertage zugefügt wurde, gab sie doch nicht nach und beschwor dadurch über Wien sehr bewegte Tage herauf. Die Kutscher verhielten sich wohl ziemlich ruhige aber namentlich die Arbeiterbevölkernng nahm Partei für sie und es kam am 22., 23. und 24. April zu förmlichen Ausständen, die nur durch Aufbietung bedeutender Militärmacht unterdrückt werden konnten. Endlich wurde den Kutschern zunächst die 12 stündige Arbeitszeit und eine Lohnaufbesserung zugestanden. Wenn dies gleich geschehen wäre, so würde der Gesellschaft ein großer Verlust und Wien die unruhigen Tage erspart worden sein. In den Katholikentagen, welche in Wien und anderen Orten Ende April abgehalten wurden, tritt das Bestreben hervor, zunächst

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