Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1890

70 : 71 Stiftungen wird auf 2ö Millionen Gulden berechnet, gewiß ein großartiges Beispiel von Opferwilligkeit und Humanitätssinn. Der Wiener Gemeinderath hat auch zum bleibenden Gedächtniß an diesen Gedenktag eine Festschrift, welche ein Gesammtbild der Entwicklung Wiens in den letzten 40 Jahren liefert, herausgegeben. Die hervorragendsten Schriftsteller betheiligten sich an diesem literarischen Unternehmen. Außerdem errichtete der Ge- i Kaiser Franz Joses I. auf dem KrönungShngel in Budapest. Ein ErknnerunkSVlatt. vreinderath eine Stiftung von 100.000 sl., aus deren Zinsen in Nothlage gerathene Gewerbs- ^eute unterstützt werden sollten. Es ist nicht möglich, alle die einzelnen Stiftungen hier aufzuführen, und genügt es, daraus hmzuweisen, daß beinahe keine Gemeinde oder Corporation sich davon ausgeschlossen hat. . Am Jubeltag des 2. Deceniber zeigte Wien :m allgemeinen keine Feiertagsmiene, nur in der Uebergabe und Jnaugurirnng der vielen Stiftungen und Wohlthütigkeitsacre tmL die Feststimmuug zu Tage. Auch die Buchdruckergehilfen Wiens be- Lheiligten sich In ihrer Art an der Feier, indem sie einen Streik in Scene setzten, der zum ewigen Gedächtniß der Jubilüumsstreik genannt wurde. Auf diese Weise wurde das social-demokratische Element in äußerst taktvoller Weise der Bevölkerung Wiens in Erinnerung gebracht. Der Kaiser erließ nach seiner Rückkebr aM 3. December an den Ministerpräsidenten Taaff^ ein Handschreiben, aus welchen wir nur dew Schlußsatz hervorheben: „Für die Mir hiedurch neuerlich kundgegebene Liebe und Treue Meiner Völker, die Ich Meinerseits alle mit der gleichen Liebe umfasse, spreche Ich den Landes-, Bezirksund Gemeindevertretungen sowie den betheiligten Körperschaften, Instituten, Vereinen und Einzelpersonen, Aller» insgesammt und» jedem Einzelnen insbesondere, aus tiefge- rührtem Herzen Meinen kaiserlichen Dank aus. Hiebei gedenke Ich mit dem neuerlichen Ausdrucke der vollsten Anerkennung jener glänzenden Ausstellungen, welche Mich durch die Darstellung der mächtigen Fortschritte von Wissenschaft und Kunst, Gewerbefleiß und Bodencultur in Oesterreich während der 40 Jahre Meiner Regierung mit freudigem Stolze erfüllt haben. Ich beauftrage Sie, dies öffentlich bekanntzugeben." Am 7. December wird durch Plener die Debatte über das Wehrgesetz im Abgeordneten- hause eingeleitet. Dem' greisen Czechenführer Dr. Rieger wurden am 10. December in Prag stürmische Ovationen und einNationalgeschenkvon 100.000 st. zutheil. Er nimmt dasselbe einstweilen in Erwahrung, hofft aber, daß weder er, noch seine Familie es brauchen werden. Die Jungczechen halten sich von der Feier der reichsräthliche ^Mgczechenclub schickt aber Ane Glückwünsche. Jin großen und Ganzen verkauft die Rieger-Feier trotz pompösester Jnscenirung Ulcht so solenn, wie die Arrangeure erwartet hatten. dem Schmeykal-Jubi- wum vor zwei Jahren hält gar keinen Vergleich aus. Der Kaiser begibt sich 12. December nach Graz Eröffnung der technischen Hochschule, welche aus Joanneum, der Hochherzigen Stiftung Erzherzog Johanns, hervorgeüangen ist. Der Neubau wurde 1884 begonnen Md kürzlich vollendet. Rector Regierungsrath Hayne hielt die Ansprache, welche der Kaiser- Ms^ huldvollste erwiderte, indem er die Ver- ncherung ertheilte, seine Fürsorge dieser Pfleg- l^atte der Wissenschaft stets zuzuwenden. Am 12. December stirbt in Wien der Alhmlichst bekannte Schriftsteller Leop. Freiherr Neumann und am 17. December im Mer von 77 Jahren Graf Leo Thun- Mhenstein. Jur Jahre 1849 functionirte dieser Staatsmann bereits als Cultus- und Unter- ^chtsminister, als welcher er das Concordat in Gemeinschaft mit Bach zu Stande brachte. Er galt stets als das Prototyp der clericalen und ^aetionüren Partei und ging, wie alle böhmischen ^ochtories, im Herrenhaus mit den Czechen. Am 18. December wurde die Debatte über neue Wehrgesetz geschlossen. Dasselbe hat oyNe wesentliche Aenderung der Regierungsvorlage die zweite Lesung passirt und hat das Abgeordnetenhaus damit einen denkwürdigen Act des Patriotismus vollzogen. Auch in Wien bildet sich, wie in anderen Hauptstädten, ein Verein zur Beseitigung der menschenentwürdigenden Sclaverei in Afrika, wozu Cardinal Lavigerie, der das scheußliche Treiben der arabischen Sclavenhändler durch seinen langjährigen Aufenthalt im dunklen Welttheil kennen gelernt hat, den Anlaß gab. An der Spitze des Vereines steht Fürst Wrede. So lange in den Orientstaaten die Sclaverei nicht gesetzlich aufgehoben wird, ist an ein Aufhören der Sclavenjagden nicht zu denken. Am 14. December stirbt in Darmstadt Prinz Alexander von Hessen, der als österreichischer General sich im Kriege von 1859 rühmlichst auszeichnete und beim Ausbruch des Krieges 1866 gegen Preußen den Oberbefehl über das Bundesarmeecorps erhielt. Er war der Vater des Die t k. technische Hochschule in Graz. heldenmüthigen Prinzen Alexander Fürsten von Bulgarien. In der kaiserlichen Familie wird das Christfest durch die Verlobung der Erzherzogin Valerie mit Erzherzog Franz Salvator von Toscana begangen. Die jüngste Braut im Kaiserhaus steht im 21. Lebensjahre, der Bräutigam ist nur um ein Jahr älter. Durch den am 4. Jänner in Graz erfolgten Tod des Dr. K. Rechbauer verliert Oesterreich einen der hervorragendsten Vorkämpfer und Organisator der Verfassung. Viele Jahre hindurch war er Präsident des Abgeordnetenhauses, trat aber niemals in ein Ministerium, da sein Programm nicht angenommen wurde. Schon 1870 plaidirte er für das preußisch-italienische Bündniß. Er starb im Alter von 74 Jahren. Am 10. Jänner beginnen im ungarischen AbgeordNetenhause die Debatten über das neue Wehrgesetz, in welchen sich'das transleithanische

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2