66 *67 den Balkanstaaten ihre Selbständigkeit zu erhalten und in der That haben unter unserm Einfluß diese Staaten Zeit gewonnen, sich cul- turell zu entwickeln. Das paßte aber Rußland nicht, diese Völker, namentlich Serbien, mußten durch hochtönende Phrasen alarmirt und ihre Großmannssucht geweckt werden. Und so beherrscht heute die russische Politik die Cabinete von Bukarest und Belgrad. Unser Kaiser hat in seiner denkwürdigen Ansprache an die Delegationen am 24. Juli die Richtung bezeichnet, welche seine Politik nehmen wird. Wenn die Balkanstaaten verblendet genug sein sollten, sich die Ketten selbst zu schmieden, in welche sie Rußland schlagen wird, so werden Oesterreich und Ungarn das Programm Peter des Großen, der den Weg nach Constantinopel als über Wien gehend bezeichnete, nicht zur Verwirklichung gelangen lassen. Jede weitere Machtvergrößerung Rußlands ist eine Gefahr für das civilisirte Europa, das die Mißhandlung der deutschen Volksstämme in den Ostprovinzen, die barbarische Knechtschaft der Polen leider aus Liebe zum Frieden dulden'muß. Die Balkanvölker mögen aber an diesen Beispielen ersehen, was ihrer wartet, wenn -sie früher oder später unter das russische Joch gelangen. Wie lange es den drei Millionen Bayonetten der Friedensliga gelingen wird die Action Rußlands noch auf- zuhalten, das ist nur eine Frage der Zeit und wir wollen hoffen daß der Fanatismus des Friedens den Krieg so lange wie möglich beschwören wird. Vorderhand hat uns der seit einigen Jahren in Deutschland und Oesterreich iuaugurirte Staatssocialismus einen inneren Krieg heraufbeschworen, der in Rheinland-Westphalen mit 7o.00o Mann Berg- und Fabriksarbeitern in Scene gesetzt wurde und dann auch in Böhmen, Mähren, Schlesien und Oberösterreich seine Weiterführung fand. Die arbeitende Classe wurde durch den Staatssocialismus über ihre Rechte aufgeklärt, aber als sie dieselben geltend machen wollte, stieß sie nur auf die Macht der Bayonette. Die Arbeitgeber waren es, die durch Concessionen und Opfer die empörten Elemente beschwichtigen mußten, wie lange dies aber anhalten wird, dafür kann der Staatssocialismus keine Garantie bieten. Vielleicht ist diese stets drohende innere Gefahr eine noch größere als die äußere. Jedenfalls gehen wir bewegten Zeiten entgegen. Gesterreich-IlngarnAnfangs August erschien eine Abtheilung der spanischen Flotte unter Admiral Caranza vor Pola und die gegenseitig veranstalteten Festlichkeiten eonstatirten das innige Einvernehmen, tvelches zwischen diesen beiden Staaten und ihren Regenten bestehe, Die Brigantenaffaire von Bellovar, welcher zwei österreichische Staatsangehörige: Ländler und Binder, als Gefangene von macedonischen und bulgarischen Räubern zum Opfer fielen, erregt peinliche Sensation. Die Ohnmacht und Indolenz der bulgarischen Behörden zeigte sich in wenig vorteilhaftem Lichte, und erst dem energischen Eingreifen unserer Regierung gelang es nach Wochen, die Gefangenen unter schweren Opfern zu befreien. DerDichterund VolksschriftstellerKarlElmar, bis zu seinem 73^ Lebensjahre bei der Redaction des Figaro und des Waldheim'schen Wiener Boten betheiligt, stirbt am 3. August in Wien. Am ö. August trifft König Milan mit seinem Sohn Alexander in Wien ein. Zwischen der ungarischen Regierung und dem Fürstprimas Simor entstehen anfangs August in Betreff der Oberaufsicht über die Schule Conflicte, die durch sehr energisches Vorgehen seitens des Unterrichtsministers Trefort keinen Zweifel darüber lassen, daß die Regierung ihre Rechte wahren wird. Die Beifallsbezeigungen, welche dem zur Disposition gestellten Feldzeugmeister Freiherrn von Kuhn von dem Officierscorps in Graz zu- theil wurden, haben dem neuen Corpscommandanten am 13. August Veranlassung gegeben denl Officierscorps im Namen des Erzherzogs Albrecht eine Rüge zu ertheilen und gleichzeitig anzuzeigen, daß der Kaiser den steirischen Manövern fern bleiben werde. Mitte August trifft der König von Portugal mit Gemahlin und dem Thronerben zum Besuch der kaiserlichen Familie in Ischl ein. Am 22. August stirbt der ungarische Unterrichtsminister Trefort, geboren 1817 zu Homonna im Zempliner Comitat. Bereits 1844 trat et, nachdem er den Staatsdienst quittirt, in die Redaction des Kossuth'schen „Pesti Hirlap" ein. IM Jahre 1848 wurde er Unterstaatssecretär, und seit 1861 Mitglied des Reichsrathes. Seit 1872 bekleidete er das Amt eitles Ministers für Cultus , und Unterricht, und hat als solcher die Magya- risirung der Schulen tnit größter Energie durchgeführt. Die Kaiserin von Rußland trifft mit dem Thronfolger am 28. August bei ihrer Schwester/ der Herzogin von Cumberland, in Gmunden zuM Besuch ein. Unser Kaiser findet sich am 1. September zur Bewillkommnung ein. Das am 2. September in Wien eröffnete Kaiserjubiläums-und niederösterreichische Landesschießen bildete eine schöne Episode in den Festlichkeiten zu Ehren des vierzigjährigen Regie- rungsjubilüums. j In Wiener-Neustadt tagte am 31. August der österreichische Aerztetag, der in acht Resolutionen das Sanitätswesen zu heben suchte. Die Bergleute versammeln sich vom 2. bis 7. September in Wien und werden von der Commune sympathisch ausgenommen. Der Kaiser begibt sich am 2. September zu großen Manövern nach Böhmen, und wird Protiviil und Pisek von der Bevölkerung mit Enthusiasmus begrüßt. Am 1. September stirbt in Reichenau bei Men der bekannte Journalist und Volksschrift- steller H. Reschauer, und am 6. September der beliebte Hosschauspieler Meixner. Am 10. September wird der böhmische Land- ohne die deutschen Deputirten, und die Landenge der übrigen Kronländer eröffnet. . Am 10. September stirbt Graf O'Sullivan, Genlahl der hochgefeierten Hofschauspielerin Wolter. Der Kaiser begibt sich am 11. September Kaiser Wilhelm 11. im Arbeitscabinet unseres Kaisers. ungarischen Manövern mit dem Kron- du und Prinzen von Wales nach Bellovar, dk dem Bischof Stroßmaier für seine takt- und unpatriotrsche Ennunciation. in der Angelegenheit eine Rüge ertheilt. Die fielen glänzend aus. Die Begeisterung Kolkes gestaltete sich imposant. tyk 15. September stirbt Fürst Johann Schwarzenberg, der größte Grundbesitzer reichs, auf Schloß Frauenberg in Böhmen. Armen Wiens vermachte .er Eintausend tw 8n Brünn wird am 16. September in An- ^v^heit Kudlich's, des Befreiers der Bauern ^r Robot, der dentsch-mahrische Bauerntag großen Feierlichkeiten begangen. Graf Kalnoky begibt sich ane 17. September zum Besuch des Fürsten Bismarck nach Friedrichs- ruh, wo er mit größter Herzlichkeit ausgenommen wird. Graf Albin Czaky wird am 22. September an Stelle Trefort's zum Cultus und Unterrichtsminister ernannt. Des großen Liederfürsten Franz Schubert sterbliche Ueberreste werden am 23. September mit großen Ehren auf den Centralfriedhof übertragen und unter einem prächtigen Monument bestattet. König Georg von Griechenland kommt am 23. September nach Wien. Bei der feierlichen Einweihung des Cottage* Parkes auf der Türkenschanze sprach der Kaiser es aus, daß die Linienwälle fallen müßten, indem erst dann das Werk der Stadterweiterung vollendet werden könnte. Der Kaiser verleiht dem italienischen Ministerpräsidenten Crispi das Großkreuz des Stefansordens, und erkennt durch diese hohe Auszeichnung die Bedeutung des österreichisch-italienischen Bündnisses neuerdings an. Am 30. September stirbt in Wien der hochverdiente Feldmarschalllieutenant Freiherr von Appel und in Linz der Bischof Müller. Das große Ereigniß des Tages bildet die am 3. October Früh 10 Uhr erfolgte Ankunft des deutschen Kaisers, welcher von der Wiener Bevölkerung mit unbeschreiblichem Jubel und
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