Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1889

50 51 wohl auch Niemand. Sie selbst sprach nie darüber, wie sie denn überhaupt im Gegensatze zu mancher ihres Geschlechtes das „Tratschen" nicht liebte, und ihr schmales, spitzes, von Kraushaaren umrahmtes Alttiudergesichtcheu mit dem zahnlosen Munde und den immer freundlich blickenden schwarzen Aeuglein ließ das Alter auch nicht annähernd errathen. Eines Tages erschien sie vor dem Kaufnianne, bei dem sie das von ihrer Schwester ererbte Geld liegen hatte. „Herr Norbert," sprach sie, „die Zinsen sind zwar erst übermorgen fällig, aber Sie müssen mir heute schon fünf Gulden geben. Ich muß in die Lotterie setzen. . . 15,25 Ambosolo nach Prag, heute ist Ziehung. Muß doch einmal das Glück beim Schopf fassen." Der Kaufmann, ein alter, welterfah- rener, gutherziger Mensch, machte der Frau Nani, die er seit einigen zwanzig Jahren kannte, in schonender WeiseVor- würfe über ihr leidenschaftliches Lottospiel, schließlich gab er ihr die verlangten fünf Gulden mit der Be- merkung: „Besser, Sie würden sich für dieses Geld einen guten Tag machen, das Glück läßt sich nicht erzwingen. Ich an JhrerStelle würde diese zwei Nummern in die nächste Wiener Ziehung setzeu mit zwanzig Kreuzer." Gegen Abend desselben Tages traf der Kaufman mit Frau Nani auf der Straße zusammen. „Na", rief er ihr schon aus der Ferne zu, „jetzt hat alle Noth ein Ende. Ich gratulire vom Herzen." „Wozu denn. . .?" „Nun, 15 und 25, die beiden Nummern, die Sie Ambosolo mit fünf Gulde» in die heutige Prager Ziehung gesetz> haben, sind gezogen worden. Soeben hat man die Nummern herausgesteckt Ein Ambosolo mit fünf Gulden besetzt! Wirklich, es freut mich so, als hätt' ich selbst das Geld gewonnen." Frau Nani stand da wie vom Schlage gerührt. Sie hatte auf diese Nummer» nicht gesetzt. Sie hatte sich am Morge» die Worte des Kaufmannes zu Herze» genommen, zumal sie ja auch schon lange keinen „guten Tag" gehabt; sie kaufte sich also eine fette Gans und mit dei» Nest der fünf Guß den war sie jetzt aus dem Wege nach einet Kollektur, um 15 und 25 für die nächste Wiener Ziehung z»! besetzen. ..Dieses Pech, dieses Malefizpech!" riet sie jammernd und händeringend aus. „Das soll mir abet g'wiß nimmer past siren!..." und stracks eilte sie dann in die nächste Kollektur, uch auf verschiedene Rest hen zu drei und füm Nummern abermals ihr Glück zu ver-° suchen. Und richtig, es währte auch ga» nicht lange, hatte sie schon wieder Glück oder eigentlich wieder „Pech"' Von fünf Nummern, die sie inst einem Gulden besetzt hatte, wurdet drei gezogen. Also wieder ein Terno g^ macht! Mit dem Risconto in einer Hand und mit einem dicken Traumbuche und einer umfangreichen Handtasche, ihre» unzertrennlichen Begleitern, in der aR deren, eilte sie so schnell wie möglich i» „ihre Lottocollectur" in der innere» Stadt; aber da, das Ziel bereits vo»! Augen, stolperte sie und fiel so unglücklich zu Boden, daß man sie in halbbewußtlosem Zustande in ihre Wohnung schaffen mußte. Am nächsten Morgen befand sie sich wieder vollkommen wohl. Selbstverständ- lich, daß ihr Erstes war, nach dem Ris- conto zu schauen — dieser aber war nirgends zu finden. Sie eilte in die Goilectur und hier — o Schrecken! — empfing sie die bestürzende Nachricht, baß ihr Terno bereits gestern von einem Manne behoben worden sei. Ihre Be- lheuerung, daß man f sellos, als sie zn Boden gestürzt, den Risconto gestohlen und daß der 'Dieb bas von ihr gewonnene Geld behoben Nabe, fruchtete wenig. Der Dieb wurde nicht kruirt und dem „Pechihr gestern, zweinanerl" blieb also nichts weiter übrig, ass sich zn trösten, »^ch hab' halt schon ^n Pech mit der Lot- lkrie! Aber ich geb's bn' nicht auf. Ich lverd' schon das Rich- "ge treffen." Nun konnte man pW Nani öfter als Wust in einer der hintersten Bänke der Stefanskirche sitzen und in ihrem stoßen Traumbuche umherblättern sehen, ^ohl Mancher, der das altmodisch ge- Ueidete Weiblein so eifrig in das dicke ^uch Hineiuschauen sah, mag sich gesagt haben: „Die arme Frau! Wie inbrünstig K aus dem Buche betet! Gewiß hat ste und Leid, Sorgen und Kummer!" <> Kummer war es allerdings, das Nau Nani's Haupt so tief in das .uaunchuch niederdrückte; Kummer um J^? Zahlencombination, aus der sich Ulge oder wenigstens ein Terno „Herzschlägen" ließe. Sie zerbrach sich darob förmlich den Kopf, combinirte und speeulirte in der Stefanskirche Tag um Tag, Woche um Woche, und siehe da, ein Zufall oder sagen wir, Frau Nani's Combinatioustalent erfocht einen glänzenden Sieg. Sämmtliche drei Nummern, die sie nach einer ins Auffallende ausgedehnten „Betstunde" in der Stefanskirche in der Linzer Lotterie mit dreißig Kreuzern besetzt hatte, wurden gezogen. Frau Nani hatte also wieder eineu Terno gemacht, einen Terno mit wohl über tausend Gulden! „Jetztaber," sagte sie sich, „heißt es klug und vorsichtig sein." Der Risconto wurde sofort in ein Tuch eingewickelt und dieses an die linke Hand festgebunden; um nicht wieder zu stolpern, zu fallen und bestohlen zu werden, wurde ein Comfortabel genommen, der die Frau Naui um deu Preis vou zwei Gulden in „ihre" Collectur brachte. Hier kam sie denn auch gauz wohlbehalten an und der Risconto fand sich glücklicherweise auch uoch immer festge- bunden au der linken Hand. Nun aber das neue Pech! Wer hätte aber auch so etwas erwartet! Wie der Collectaut von einem Terno hörte, nickte er immerwährend wie närrisch geworden mit dem Kopfe, endlich sprach er: „Ja, sehen's, Nani, es wär' wirklich der schönste Terno! Aber in Linz haben's halt den 27 g'sperrt, also g'rad' die erste Nummer von den dreien, die Sie g'setzt haben." „G'sperrt?! G'sperrt den Siebenund- zwanziger?" Frau Nani sah bei dieser Frage so lang und schmal aus, wie

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