Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1889

34 wärmten und hell erleuchteten „großen Stube" mit Arbeiten der verschiedensten Art beschäftigt. Der Besitzer des Bauerngutes, eine große breitschulterige Gestalt mit einem inageren Gesichte, in dem jeder Zug Strenge und Rechtschaffenheit verrieth, saß in einem Winkel der Stube bei deni letzten der drei Fenster an einem Schreibtisch, der seiner Form und Größe wegen recht gut auch als Speisetisch für zwölf Personen benutzt werden konnte, und blätterte tiefsinnig in Wirth- schaftsbüchern umher, schrieb auch da und dort etwas langsam und mit derart kräftigem Druck ein, daß man das Kreischen des Schwanenkiels auf dem Papier in jedem Winkel der Stube hörte, dabei zog er Rauchwolken aus seiner großbauchigen Stummelpfeife, die er de? öftern schon mit der Hand zu halten gezwungen war, um auf'das Papier zu sehen. Sein einziger Sohn Josef — allgemein Sepp genannt — saß neben dem Schreibtisch mit dem Rücken an die Wand gelehnt, so daß er die ganze Stabe überblicken konnte. Vor einem Stündchen erst war er von einem Jagen auf Hasen zurückgekehrt und trug noch sein gewöhnliches Jagdcostüm — eine graue Lodenjoppe mit breiten grünen Tuchaufschlägen, eine lederne Kniehose, graue Strümpfe — das den schönen Bau seiner hohen und kräftigen Gestalt aufs vortheilhafteste hervortreten ließ. Dreiundzwanzig Jahre erst zählte er, obgleich der Ernst, der in seinem männlich schönen, scharf markirten Gesichte stets ausgeprägt lag, ihn um einige Jahre älter erscheinen ließ. Wortkarg war er immer und gegen Jederinaun und da nahm es auch Niemanden Wunder, daß er seit seiner Heimkehr von der Jagd fast ohne ein Wort gesprochen zu haben nur eiu Buch Vörden Angen hielt, weniger, um darin zu lesen als darüber hinweg nach einem etwa zehn Schritte von ihm entfernt stehenden langen Tisch zu spähen, an dem mehr denn ein Dutzend Personen beiderlei Geschlechts fleißig schaffte. Mehreremäle schon ließ er wie in Gedanken versunken seine tiefblauen glänzenden Augen so lauge auf einer der an dem Tische Sitzenden ruhen, bis sein Blick sein Denken und die verborgenste Falte seines Herzens zu verratheu drohte; mit einer ungestümen Geberde führte er dann das Buch rasch vor die Augen, um aber bald wieder darüber hiuweg nach dem langen Tisch zu spähen. Wer dort seine Aufmerksamkeit sesselte, wußten alle in der Stube Anwesenden. Ohne erst auszublicken, sjätte jeder auf Befragen flugs geantwortet, daß es das goldhaarige Neserl ist, die „schöne Melusine von Aflenz", die, obschon seit frühester Jugend als die Braut des Bernhardhofserbeu angesehen, es nun auch verstanden hat, wie es allgemein hieß, sich in die Herzkammer des stolzen hübschen Sepp einzuschleichen, und die er nun nie und nimmer, wie die anderen Dirnen im Orte seufzend meinten, loswerden kann. Und am Dreikönigsfest schon sollte beider Verlobung sein, so war es beschlossen von Sepps und Reserl's Eltern. An der äußersten Ecke des langen Tisches saß das große etwas grobknochige Reserl, das unstreitig die reichste von den Töchtern der Aflenzerbauern und gewiß auch die schönste unter ihnen war, gleichwohl aber keinen großen Anspruch auf Schönheit erheben konnte. Seit zwei Monaten, seit dem Tage nämlich, wo sie aus einer Töchterschule in Graz, in der sie ein volles Jahr war, Manches dort erlernte, und Manches, das dort gar nicht gelehrt wurde, auch erlernte, in ihr, wie sie unter Räuspern meinte, „schönes Aflenz" zurückgekehrt, war sie fast allabendlich für- einige Stunden Gast in dem Bernhardhof, und während ihres Besuches hier stickte sie auf einer eine Elle breiten und eben so hohen Straminflüche wunderliche Arabesken und so seltene Blumen, wie es außer denen unter ihrer Hand gewiß keine mehr auf Erdeu gab, nur heute, ausnahursweise hielt sie einen halbfertigen Strumpf in der Hand und blickte fleißig auf ihre fleißigen Nachbarn zur Rechten und Linken, von denen die Männer mit Schneiden noch ungesalzener Speckseiten zu kleinen Würfeln und die Dirnen mit Durchsieben von Mehl, mit Waschen getrockneten Obstes, einige auch mitSpinuen beschäftigt waren. Von den Arbeitenden schweifte oft genug ihr Blick hinüber nach dem Sohne bes Hauses, und daß sie ihn schon wiederholt von diesem hastig nach einem weiblichen Wesen lenkte, das etwas abseits des langen Tisches in einem Winkel der Stube wie ausgestoßen aus der Gesellschaft der Uebrigen ganz allein, mit einer groben Näharbeit beschäftigt, saß, ttsürde gewiß jedem, der dies bemerkt hätte, aufgefallen sein; denn selten geschah es, daß Jemand das kleine, schwarze, tückische und boshafte, dabei unausstehlich hochmüthige Geschöpf, als welches es in dem Munde aller Dorfbewohner war, Und das dort in der Stnbenecke saß, eines Blickes würdigte, das Gegentheil that man nur, um Abscheu und Verachtung auszudrücken. Das „Bilsenkraut", „'s Wildkath'l" tnur es ja, die dort in der Stubenecke saß. Ein Geschöpf, das nichts als Verachtung verdiente, worüber alle Aflenzer ws zur Kuhmagd hiuab einig waren. Die Verbrechen, die sie begangen und stets beging, „ließen sich gar nicht sagen!" Ein Schandfleck fürs ganze Wholische Aflenz war sie, ein Aergerniß kur jede sittsame Steirermaid! O! Und kUeles, vieles Andere noch war der kleine schwarze Knirps in der Ecke, von dem chan im Augenblicke, da er, tief über *5 grobes Linnen gebückt, emsig daran ^ahte, nichts als die bläulich schwarzen Daarwellen seines Kopfes sah, die ge- wenn aller Fesseln entledigt, das Jeine Wesen im Kreise herum und bis A den Füßen hinab einzuhüllen im Staude gewesen wären. Der gewöhnliche Gefühlsausdruck, 35 der in den Augen eines Jeden der Dorfbewohner lag, wenn er das „Wildkath'l" — „Käthchen", wie sie eigentlich hieß, nannte sie Niemand — eines Blickes würdigte, war in dem, mit welchem die „schöne Melusine von Aflenz" die in der Ecke Sitzende fixirte, nicht zu lesen, wohl aber loderte in ihrem blaßblauen Augenpaar eine Glut auf, die leicht zu der Annahme berechtigen konnte, daß sie für das Käthchen ganz dasselbe empfinde, was Sepp, der junge Bauernsohn — nämlich den tödtlichsten Haß. Weßhalb sie ein derartiges Gefühl gegen die letzte der Dirnen im Bernhardhof, die von den Dorfbewohnern förmlich in Bann und Acht Erklärte hegen konnte, hätte allerdings Niemand sofort und mit Bestimmtheit beantworten können, doch, nach einigem Ueberlegen würden die Aflenzer der triftigen Gründe dafür in Fülle zur Hand gehabt haben. Denn wer von ihnen haßte den schwarzen tückischen Kobold nicht? Freilich, einen so unüberwindlichen Haß, Ekel und Widerwillen und vieles Andere noch, wie es Sepp gegen das „Wildkath'l" empfand, hielten die Anderen dieses Wesen gleichwohl nicht für werth. Allein, Sepp hatte auch mehr Ursache, er mußte sie haben, calculirte Jeder im Dorfe, sonst würde er nicht, wie dies vor einigen Monaten der Fall war, gedroht haben, diese nichtswürdige, schnippische, hochmüthige Dirne aus dem Hof und bis über die Marken des Dorfes hinaus zu peitschen, wenn sie nicht sofort entlassen werde. Schrecklich streng und mit größtem Nachdruck forderte er es, doch selbst die Drohung, daß er auf Nimmer- wiederkehr fortgehe, falls die Dirne nicht sofort entlassen werde, konnte den Bern- hardhosbesitzer zu nichts anderem als zu einer Ohrfeige bewegen, die er in seinem Zorn über diese Forderung mit Aufgebot all seiner Kraft dem langen Sepp appli- cirte. Grundsatz war es im Bernhardhof, ! einen Dienstboten niemals vor Ablauf

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