16 unser Kaiser dadurch nicht an der Vollendung des Verfassungswerkes behindern. Er gab seine Zustimmung zur Abänderung des Verfassungsgrundgesetzes. Die Abgeordneten des Reichsrathes wurden jetzt direct vom Volke gewählt und die Zahl derselben von 203 auf 353 erhöht. Damit besaßen die österreichischen Lande nun ein wirkliches Parlament. Die Zahl der Reformen, die unter dem freisinnigen Ministerium Auersperg durchgeführt wurden, waren für die Reorganisation des Verfassungsstaates von höchster Bedeutung. Die neue Civil- und Strafproceßordnung brachte wesentliche Erleichterungen. Die Universitätsbehörden, die technischen Hochschulen, die Akademie der bildenden Künste wurden umgestaltet und durch den kunstsinnigen Grafen Crenneville jene großartigen literar - historischen Publicationen geschaffen, welche auch die Bewunderung des Auslandes erregten. In der Weltausstellung vom Jahre 1873 traten wohl die ungeheueren Fortschritte, welche Oesterreich auf beinahe sämmtlichen Gebieten der Landwirthschaft, Industrie und Kunst und Wissenschaft gemacht hatte, zu Tage, leider war aber der Erfolg dieser Ausstellung für Wien selbst kein günstiger; denn wenige Tage nach der Eröffnung brach die volkswirthschaftliche Katastrophe durch den ominösen Börsenkrach aus, die auf Jahre hinaus alle bereits erzielten Errungenschaften wieder lahmlegte. Tief mag damals unser Kaiser die vielen Opfer einer fast wahnwitzigen Speculation beklagt haben, allein dieser volkswirthschaftliche Purificationsproceß war unvermeidlich und konnte auch durch keine Staatshilfe aufgehalten werden. Immerhin war der Aufschwung, den Handel, Industrie und Gewerbe in allen Richtungen in den ersten 25 Jahren der glorreichen Regierung unseres Monarchen erfahren hatten, ein ganz kolossaler. Der Exportwerth der Ganzfabricate war seit 1850 von 299 Millionen Gulden auf circa 1700 Millionen, der Import von 62 auf circa 700 Millionen gestiegen. Die Meilenzahl der Eisenbahnen stieg von 218 auf circa 1700, die Länge der Staatstelegraphenlinien von 72 geographischen Meilen gar auf circa 4500. Von dem Aufschwung des Nationalvermögens gaben die Sparcassen Zeugniß, deren Zahl von 52 auf circa 200 gestiegen war, während sich die Einlagen von 77 Millionen auf nahezu 600 Millionen Gulden erhöhten. Diese Ziffern sprechen wohl am deutlichsten für dieSegnungcn, welche die österreichisch-ungarische Monarchie in dieser Periode erfahren hatte, und sie bildeten auch die schönste Blüthe in dem Ruhmeskranz, der sich bei der Feier des 25jähri- gen Regierungsjubiläums am 2. December 1873 um die Stirn unseres Kaisers schlang. Wien war selbstverständlich der Mittelpunkt der Ovationen, die damals dem Monarchen bereitet wurden, und es hatte auch alle Ursache ihm dankbar zu sein; denn kein Herrscher vor ihm hatte für die Entwicklung der Haupt- und Residenzstadt nur annähernd Aehnliches geleistet wie er. Die neue Hochquellenleitung erhielt seinen Namen und die Stadt brachte als Ehrengeschenk eine kunstvolle goldene Medaille mit der Inschrift: „Imperator! grata Vindobona“- Mehr noch wurde aber das edle Herz unseres Kaisers durch Errichtung der Franz Josef-Stiftung zur Unterstützung des Kleingewerbes erfreut. Aus allen Theilen der Monarchie strömten Deputationen herbei, und wahr- haft ergreifend waren die Ansprachen, die der Monarch an dieselben richtet^ In seinem Handschreiben, welches er aN> Schluffe der Feierlichkeiten erließ, wat sein ganzes Regierungsprogramm enthalten; die Liebe seiner Völker in Glü^ und Unglück sich erhalten zu haben dünkte ihm der schönste Lohn eine' 25jährigen Regentensorge. Diese hat aber dem Staat segensreiche Früchte getragen. Die österreichisch-ungarische Monarchie war jetzt skstgestellt in allen Grundbedingungen wirklicher Größe. Die Allianz mit ihr war eine viel umworbene und alle Nachbarstaaten wetteiferten mit Bezeigungen lhrer Sympathie. In der Reorganisation der staatlichen Verhältnisse trat kein Stillstand ein. Unausgesetzt behielt der Kaiser die Hebung oer volkswirthschaftlichen Lage im Auge. Durch ein Gesetz über die Vorschußcassen wurde der Industrie Hilfe gewährt, die Reform der Steuergesetze bezweckte eine gerechtere Vertheilung der Lasten und die ^rundsteuerregulirung wurde zu Ende geführt. Der Monarch gab ein großartiges Beispiel seiner Hochherzigkeit, in- oem er sich mit allen Mitgliedern seines Hauses der Besteuerung unterwarf. Die Machtstellung des Staates zu üchern, wurde der Wehrkraft unausgesetzte Fürsorge gewidmet, trotzdem bewahrte 0er Monarch, als Rußland im Jahre ^877 die orientalische Frage wieder auf- ^tlte und unter dem Vorwande der ^efreiung der Bulgaren den Feldzug Wen die Türkei begann, eine weise Mäßigung, die auch einen allgemeinen sUropäischen Krieg verhütete. Die russi- >eyen Heere drangen nach vielen Nieder- ^ben wohl endlich bis vor die Thore ^?nstantinopels und der Frieden von . - Stefano würde die Selbstständigkeit er Türkei vernichtet und Rußland das ebergewicht in den Balkanstaaten ge- I ch^rt haben. Allein die Diplomatie gab Sache eine andere Wendung. Auf nn Berliner Cougreffe verlor Rußland Flüchte seiner Aggressivpolitik, die ^Abhängigkeit Rumäniens, Serbiens, ontenegro's wurde ausgesprochen und " Fürstenthum Bulgarien geschaffen, welchem der thatkräftige Prinz $ Lander von Battenberg berufen wurde, glorreich erhielt das Mandat, Bosnien die s ^ Herzegowina zu occupiren und ..dort lebenden Christen von dem tür- >wen Jach $u befreien. 17 In unbegreiflicher Verblendung lehnten sich, im Geheimen aufgestachelt von Türken und russischen Agenten, diese Volksstämme gegen die Occupation auf. Der Aufstand wurde indeß bald niedergeschlagen und diese neuen Provinzen gelangten unter der weisen und milden Regierung unseres Kaisers in diesen neun Jahren zu einem Aufschwung und einer Wohlfahrt, die sie früher nicht geahnt hatten. Diese sonst so armen und von den Türken ausgesaugten Länder sind in dieser kurzen Zeit zu einer solchen Blüthe gelangt, daß sie sich aus der eigenen Steuerkraft bereits selbstständig erhalten können. Um den inneren Frieden zu befestigen, berief unser Kaiser den Gespielen seiner Jugend, Graf Taaffe, unter die Räthe der Krone. Am 12. Augnst 1879 übernahm dieser Staatsmann das Präsidium im Ministerrathe und seit dieser Zeit arbeitete er unausgesetzt an der Verwirklichung seines Programmes: die Versöhnung der Nationalitäten herbeizuführen. Es ist ihm zwar gelungen ein Vollparlament mit den Czechen zu Stande zu bringen, aber von der Versöhnung sind wir noch weit entfernt. Indeß sind in dieser Periode wichtige Gesetze und Reorganisationen geschaffen worden. Die Nationalbank wurde in eine Oesterreichisch-ungarische Bank nmgewan- delt, ein neuer autonomer Zolltarif geschaffen, der der einheimischen Industrie größeren Schutz gewährte. Die Zucker- und Branntweinsteuer wurden reformirt und letztere in jüngster Zeit zu einer höchst ergiebigen Einnahmsquelle für den Staat umgewandelt. Das wichtigste politische Ereigniß war der Abschluß eines Defensivbündnisses mit dem Deutschen Reich. Die Feier der silbernen Hochzeit unseres erhabenen Kaiserpaares konnte demselben die vollgiltigsten Beweise liefern, wie tief die Liebe und Anhänglichkeit in den Herzen der Gesammtbevölkerung wurzelt. Diese Feier war für Wien ein Ereigniß, wie es sich zum zweitenmal
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