Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1889

8 den Besuch im April 1853 und es wurde ein Zoll- und Handelsvertrag geschlossen, welcher die Conflicte auf wirthschaftlichem Gebiete beendete. Das Attentat, welches ein Wahnwitziger am 18. Februar 1853 auf den Kaiser ausübte, gab der Gesammtbevöl- kerung nur einen Anlaß, ihre Sympathie für die geheiligte Person des Monarchen zu äußern. Seine Rettung hatte die Errichtung von neun Kirchen, worunter die herrliche Votivkirche in Wien, und vierhundertzweiundachtzig milden Stiftungen zur Folge. Im selben Jahre erfolgte in Ischl die Verlobung des jugendlichen Monarchen mit der Tochter des Herzogs Max in Baiern, der in Schönheit und Jugendreiz strahlenden Prinzessin Elisabeth. Nicht aus den Reihen der großen Regentenhäuser hatte unser Kaiser seine Wahl getroffen, er folgte der Stimme des Herzens nnd erwies sich auch in dieser Beziehung als unabhängig von allen diplomatischen Einflüssen. In dem damaligen Conflicte Ruß- lands mit der Türkei beobachtete der Kaiser eine weise Zurückhaltung und bewahrte den Staat vor einem Krieg, der die reformatorischen Einrichtungen nur gestört haben würde. Der 1. Januar 1852 setzte die Märzverfassung außer Kraft, da die damaligen Rathgeber des Kaisers die Errichtung des Einheitsstaates für unerläßlich hielten. Mit dieser Idee waren die Bestimmungen der Märzverfassung des Jahres 1849 unverträglich, und machte diese Aenderung neue Arbeiten auf dein Gebiete der Gesetzgebung nothwendig. Wir übergehen dieselben, da sie doch durch das Octoberdiplom vom Jahre 1860 wieder zum größten Theilhinfällig wurden. Den Jubeltagen des Jahres 1854, in welchen der feierliche Einzug der kaiserlichen Braut und die Vermälung (24. April) mit einem in Wien noch nie gesehenen Pomp begangen wurde, folgten bald trübe Zeiten. Trotz aller Wohlthaten, welche das Kaiserhaus den Lombarden gespendet, glimmte der Funke der Empörung noch fort, die politische Lage im Orient gestaltete sich für Oesterreich bedrohlich. Rußland trat mit Forderungen hervor, welche die Vernichtung der Türkei und seine Oberherrschaft in den Balkanländern zur Folge gehabt haben würde, die Westmächte konnten dem nicht zustimmen und so wurde der Feldzug gegen Rußland beschlossen. Der Kaiser beschränkte sich aus eine bewaffnete Neutralität und ließ den. Ereignissen ihren Lauf, der bekanntlich mit der Niederlage Rußlands endete. Im Familienleben des hohen Kaiser- paares wechselten die erfreulichen Ereignisse mit schinerzlichen Tagen. Die erst- geborne Tochter Sophie starb im Alter von 2'/, Jahren, dafür beglückte die Kaiserin ihren Gcmal mit einer zweiten Tochter Gisela (12. Juli 1856) und aM 21. August 1858 erblickte der Kronprinz im Schloß Laxenburg das Licht der Welt. Der Jubel der Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt wie des ganzen Landes kannte keine Grenzen. Zahlreiche Stiftungen, worunter die Errichtung eines zweiten Krankenhauses, des Ru- dolfinum, verherrlichten dieses wichtige Ereigniß. Unter den Ereignissen dieser Periode heben wir das Ableben des Feldmarschalls Radetzkys hervor, welcher aw 5. Jänner 1858 sein thatenreiches und ruhmvolles Leben geschlossen hatte. Die Leiche des Helden wurde nach Wien gebracht und der Kaiser selbst führte den Leichenconduct durch die Residenz. Schon im ersten Jahr seiner Ver- mälung bereiste der Kaiser mit seiner jugendlichen in Schönheit und Anmuth strahlenden Genralin fast sämmtliche Kronländer und fand aller Orten begeisterte Aufnahme. In Pola wurde bei dieser Gelegenheit die Grundsteinlegung des großen Marinearsenals vollzogen. 9 Auf dem Gebiete der staatlichen Reorganisation ist auch der Staatsvertrag mit dem heiligen Stuhl, der unter dem Namen Concordat bekannt ist und am 5. November 1855 als Staatsgesetz erwart wurde, zu erwähuen. Die damaligen Minister hofften dadurch dem Volks- geiste eine andere Richtung zu geben hud die Religiosität zu erwecken. Wenn jene Erwartungen, welche der Kaiser an das Concordat geknüpft hatte, sich nicht erfüllten, so hat er gewiß dies selbst am meisten beklagt. Im Uebrigen war trotz der damals herrschenden clericalen Strömung der Monarch auf die Förderung der volkswirthschaftlichen Wohlfahrt unausgesetzt bedacht. Dem Handel nnd der Industrie wurde durch den Münzvertrag mit Deutschland, durch deu Abschluß der Donau-Dampfschifffahrtsacte,^durch Handelsverträge mit der Türkei, Frank- ^ich, Belgien und der Schweiz eine große Freiheit der Entfaltung gewährt. Auch das verhaßte Paßgesetz wurde re- ^dirt, ein Musterschutzgesetz erlassen, vor Allem aber die Gewerbefreiheit und die Einheit des Maßes und Gewichtes einMit diesem hochherzigen Act begann für Wien eine neue Aera, und wenn man heute es ganz natürlich findet, daß Wien diese Umgestaltung früher oder später doch erfahren mußte, so war es doch unser Kaiser, der dieses Bedürfniß schon damals erkannte und alle Schwierigkeiten und Einwürfe durch sein Machtwort zu beseitigen wußte. Nur ein in seinem Herzen liebevoll gesinnter Monarch konnte eine solche Maßregel zu rechter Zeit treffen, die, wenn sie nm einige Jahre später eingetreten wäre, den Aufschwung Wiens auf Decennien verschoben haben würde. Keiner seiner erlauchten Vorfahren, auch nicht der volksthümliche Josef II., hätte einen solchen Act gewagt oder für durchführbar gehalten. Unser Kaiser hat es gewollt und durchgeführt, und unter den zahllosen Thaten seiner glorreichen Regierung ist dies eine seiner erhabensten, die ihm zum unsterblichen Ruhm gereicht. Leider ließen die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit Oesterreich zu keiner ruhigen Entwicklung gelangen. Unser Kaiser folgte den Traditionen des Habsburgerhauses, das sich stets als ein oberster Hüter des Rechtes betrachtete. Für diese ideale Politik war kein Verständniß mehr vorhanden. Wenn sich Oesterreich im Krieg der Westmächte mit Rußland im Jahre 1854 mit letzterem verbündet hätte, so wäre dieser Krieg zu einem europäischen geworden. Die bewaffnete Neutralität hatte dem Staate bei 200 Millionen gekostet und nur den Groll Rußlands, der bis auf den heutigen Tag fortdauert, eingetragen. Aber auch Frankreich und Italien bewiesen sich nichts weniger als dankbar. Kaiser Napoleon III. strebte nach der politischen Führung Europas, und dabei war ihm Oesterreich im Weg. Er mochte wohl auch noch alte Verbindlichkeiten der Italia unita gegenüber einzulösen haben, woran er bind) die Attentate Orsini's, Pianori's u. A. sehr unliebsam erinnert wurde. So erfolgte am Neujahrstage des lleführt. Der Handelsgesetzgebnng wurde durch das Vergleichsverfahren eine Milderung der veralteten Formen des Conoursverfahrens verliehen und das System der Eisenbahnbauten in Staatsregie lallen gelassen. Das neue Eisenbahncon- oessiousgesetz belebte den Verkehr und orne Menge neuer Linien entstanden "ach allen Richtungen. Die wirthschaft- "che Erstarkung nahm von Jahr zu Jahr Zu und äußerte sich in monumentalen und Privatbauten. Das Arsenal, in seiner AN eines der größten Bauwerke der ^olt, entstand in den Jahren 1849 bis 1854. Der großartigste Act unseres Kaisers, der für die Liebe und Vorlage seiner Residenzstadt zeugte, war am 20. December 1857 erlassene ^arfügung der Erweiterung der inneren ^tadt und der Auflassung der Um- challung und der Fortificationen der saueren Stadt.

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