66 67 ihren Heeresausrüstungen, und einzig und allein zu diesen Zwecken kommen kolossale Summen in Umlauf. Sonst ertönen aller Orten die Klagen über unerschwingliche Steuern und schlechten Geschäftsgang, der durch die unsichere politische Lage zu keiner Ruhe und Erholung gelangen kann. Wir widmen uns zunächst den Ereignissen in unserem Vaterlande und müssen es der Vorsehung danken, daß wir im abgelaufenen Jahre von all den betrübenden Schicksalsschlägen, von welchen die deutsche Kaiserfamilie betroffen wurde, verschont geblieben sind. Es steht im Gegensatz zu der in der Weltgeschichte einzig dastehenden Katastrophe des Ablebens zweier deutscher Kaiser unser Monarch in strotzender Fülle der Gesundheit und in voller Manneskraft im Begriff, sein 40jähriges Regierungs-Jubiläum zu begehen. Auch unser Kronprinz erfreut sich der besten Gesundheit, und so kann es den österreichisch - ungarischen Völkern gewiß zur großen Beruhigung gereichen, daß ihr erhabenes Herrscherhaus mit kräftiger Hand die Zügel der Regierung noch viele Decennien hindurch führen wird. Unser Kaiser kennt nur ein Bestreben: seinen Völkern den Frieden so lange zu erhalten, als dies nicht auf Kosten der Ehre und Würde des Reiches unmöglich wird, deshalb kommen ihm dieselben auch durch die größte Opferwilligkeit entgegen, und die Abgeordnetenhäuser wie die Delegationen haben Alles bewilligt, was von ihnen zur Erhaltung dieses Princips verlangt wurde. Kriegsminister Bauer. Werfen wir nun einen Rückblick auf die Chronik des verflossenen Jahres, so sind eigentliche politische Ereignisse von Wichtigkeit in Oesterreich-Ungarn gar nicht vorgekommen. Die Regierung widmet sich der Erhaltung des Friedens und dehnt diese Tendenz auch auf den Bruderzwist zwischen Deutschen und Czechen aus. In der sogenannten großen Politik schließt sie sich ganz der Haltung, welche ihre Alliirten beobachten, an. Man vermeidet jede Aufreizung und Provocation und hält diese Tendenzen auch in den Balkanländern aufrecht, wo unsere Interessen doch etwas empfindlicher sind. Es wird den dortigen Völkern und Regierungen vollständig freie Hand gelassen, Ordnung in ihre verworrenen Verhältnisse zu bringen und sich zu consolidiren, und es wäre wohl das Beste, dieses Prinzip auch in der internen Politik zur Anwendung zu bringen. So klingen alle Vorkommnisse des abgelaufenen Jahres in Werke des Friedens aus. Wir hatten im September in Wien einen hygienischen Congreß, senden unsere Gesangvereine nach Berlin, wo diese deutschen Gäste aus Oesterreich begeisterte Aufnahme finden und die durch dieCabinette geschlossenen Verträge gewissermaßen durch ein Herzensbündniß besiegeln. Unser Kaiser bereist während der Herbst- manöver Ungarn und findet aller Orten begeisterte Aufnahme. Unsere Minister erfreuen sich auf den Volksfesten und Provinzialausstellungen, die von ihnen besucht werden, der größten Sympathien, und England bezeugt durch den Besuch seiner Mittelmeerflotte vor Pola seine freundschaftlichen Gesinnungen. Auch Tisza erhält vou seinen Wählern in Großwardein vollständige Zustimmung . seiner Regierungsmaximen. Graf Kalnoky begab sich am 22. September nach Friedrichsruh zum Fürsten Bismarck und wurden durch diese beiden Staatsmänner die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den drei Großmächten i Oesterreich, Deutschland und ] Italien sicher nur befestigt. Dies zeigte sich auch am deutlichsten in der Thronrede, mit welcher der Kaiser am 29. September den ungarischen Reichstag eröffnete. Am 2. October langte auch Prinz Wilhelm von Preußen (der jetzige deutsche Kaiser) zu den Jagden hier ein und wurde mir besonderer Herzlichkeit empfangen. Am 11. October beginnt die Wintersession des Abgeordnetenhauses. Die Czechen vereinigen sich zum Sturz deö ihnen mißliebigen Unterrichtsministers, welcher aber siegreich aus dem Kampfe hervorgeht. Die Berathung des Budgets zieht sich in endlosen Reden und Sitzungen hin; schließlich werden alle Forderungen der Regierung und auch die neue Branntweinsteuer, die den Finanzen circa 50 Millionen jährlich zu- führen soll, bewilligt. Die Erhöhung der Tabak- und Cigarrenpreise wird mit einem Plus von 3 Millionen jährlich veranschlagt. Am 13. October stirbt auf der Durchreise in Wien Johannes Ronge, der Begründer des Deutsch-Katholicismus, im Alter von 74 JahreUIn der ungarischen Delegation weist Ms- nister Kallay am 12. November nach, daß occupirten Provinzen Bosnien und Herzegowina bereits in der Lage sind, durch die eigenen Ein-' nahmen alle Auslagen zu decken, daß die auf- gewendeten Capitalien für Eisenbahnen, Salinen, öffentliche Bauten rc. nach und nach durch die erzielten Ucberschüsse amortisirt werden können und daß die Sicherheitsverhältnisse sich immer besser gestalten. . , Die Landtage werden auf den 24. November einberufen, und die Delegationen, nachdem sie die Anschaffung des Manlicher-Repetirgewehres ge- nehmigt, geschlossen. Die Truppenanhäufungen an der russtscyen Grenze dauern unausgesetzt fort und es findet deshalb' am 8. December unter Vorsitz des Kaisers ein Kriegsrath statt, in welchem aber beschlossen wird, unsere Truppen an den Grenzen nicht zu verstärken. Die Neujahrsgratulationen, welche von den Monarchen gegenseitig ausgetauscht werden, stehen durchgängig auf der Frwdensbasts, und es erregte deshalb Sensation, daß Tisza anderer Meinung war. Nachträglich stellte es sich heraus daß beim Telegraphiren das bedeutsame ^ort „nicht" ausgeblieben war. Den Börsen soll diese» Versehen Millionen gekostet haben. Der niederösterreichische Landtag bethätigt seinen Patriotismus, indem er in seiner Sitzung vom 10. Jänner zur bleibenden Erinnerung an das 40jährige Regierungsjubiläum den ^an- deswoisenfoiids mit jährliche» 6000 fl., die allgemeine Kranken- und Jnvalidencasse mit iayr- lich l2.0^0 fl. dotirt. In ähnlicher Weise wird nach Wunsch unseres Kaisers in der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie diese ^nvelfeier begangen werden. . Nachdem anfangs Februar die Provocation Rußlands zum Krieg schon auf die äußerste Spitze gelangt war, sehen sich die deutschen und österreichischen Cabinette genöthigt, die Bedm- gungen des am 7. October 1873 zwischen Gras Andrassy und dem Fürsten Reuß geschlossenen Bündnisses zu veröffentlichen. Diese Publication a tempo erregte in ganz Europa immense^ Äns- sehen und hat auch zur Folge, daß Rußland all- mülich seine Truppen wieder von den Grenzen zurückzieht. Die weltbewegende Rede, die Furst Bismarck am 6. Februar im deutschen Reichstage über die politische Lage hielt und die m den stolzen Worten ausklang:, „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts m der Welt , ha auch das Selbstbewußtsein der Deutsch-Oester- $ Am 12. Februar stirbt Freiherr von Seiller, der vormalige Bürgermeister von Wien, dem d:e Gemeinde vieles zu verdanken hat, und am 14. in Salzburg der bekannte Schriftsteller Dr. Märzroth. . Gegen den Liechtenstein'schen Antrag einer Wiedereinführung der confesstonellen Schu e richten sich mit Ausnahme der Cleric^en beinahe alle Nationalitäten, Vereine und Corpora- tionen. Der Antrag kam übrigens gar nicht zur Beilesm^g. hervorragendsten ungarischen Staatsmänner Paul Somssich stirbt am 8. Marz. Er war ein Gegner Kossuth's und zu wiederholten- maten Präsident des Abgeorduetenyaujes. Am selben Tag starb auch in Wien August Zang, der Begründer der österreichischen Journalistik. Am 7. März langen die ersten Telegramme über das bedenkliche Befinden des deutschen Kaisers in Wien ein und erregen allgemein die größte Theilnahme. Am 6. tauchte ein falsches Gerücht von dem Ableben Kaiser Wilhelms auf, welches die Scan- dalscene Schönerer in der Redaction des Tagblattes zur Folge hatte, aber am 9. Vormittags, 8^/2 Uhr, trat das welterschütternde Ereigniß ein. Ganz Wien trauerte um den Heldenkaiser. Am 17. wird die Jubiläums-Kunstausstellung eröffnet. Am 16. März tritt Graf Bylandt-Rheidt 'eines leidenden Zustandes wegen von dem Amte Des Kriegsministers zurück. Feldzeugmeister Bauer tritt an seine Stelle. Derselbe zählt zu den tüchtigsten und energischesten Generalen des österreichisch-ungarischen Heeres. In Ungarn verwüsten die Ueberschwem- mungen der Theiß und Körös hunderttausende von Joch Feldern. Im Abgeordnetenhause wird das Unfallversicherungsgesetz zu Gunsten der Arbeiter angenommen und soll mit 1. Juli eingeführt werden. Die Resultate werden weder Arbeitgebern noch Arbeitnehmern zusagen. Erstere werden über Gebühr belastet, und letztere haben keinen erheblichen Vortheil davon. Am 16. April wurde die Maria Theresiaausstellung mit ihren pietätvollen Reliquien und Erinnerungen an die große Kaiserin eröffnet. Am 18. April machte der Kaiser dem seit Jahrzehnten dauernden Streit zwischen Commune und Regierung in Betreff der Linienwälle ein Ende, indem er durch Cabinetsordre entschied, daß dieselben zu beseitigen sind. Die Linienwallgründe gehen in das Eigenthum der Commune über. Am 23. April begrüßte der Kaiser die Königin Victoria auf dem Bahnhof von Innsbruck. Der hohe Gast setzte nach kurzem Aufenthalt die Reise nach Berlin fort. Nnterrichtsminister Gautsch hält am 1. Mai im Abgeordnetenhause seine große Bertheids gungsrede, die in dem Satze gipfelt, daß eine Herabsetzung des Bildungsniveaus unter keinen Umständen von ihm zugegeben werden würde. Damit ist auch die Liechtensteinische konfessionelle Schule verurtheilt. Es spielen sich übrigens gegen Schluß der Session im Abgeordnetenhaus Scenen ab, die geeignet sind, den Parlamentarismus schwer zu schädigen. Der Proceß Schönerer und Consorten fesselt anfangs Mai allgemein das ganze Interesse 5*
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