Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1889

52 wohl noch nie in ihrem Leben. „Ja, wie ist das möglich?" „Weiß nicht. Weiß nur, daß der Siebenundzwanziger g'sperrt ist. Aber Sie, Frau Nani, können sich immerhin trösten. Sie bekommen ein schönes Ambo ausbezahlt und der Terno — na, der wird wohl schon auch noch einmal kommen." Das arme Pechnanerl. Den Rückweg von der Lottocollectur • machte sie in keinem Comfortable. Da torkelte sie wie trunken über die Straße. Dieser Schlag war selbst für sie etwas zu wuchtig. Sie konnte sich kaum erholen und erst bei der Collectur in der Nähe ihrerBehausung war sie wieder so weit gefaßt, um eintreten und drei Reihen Ambosolo setzen zu können. Jetzt verstrichen zwei volle Jahre, bis sich bei ihr das bekannte „bewährte Glück" wieder einmal einstellte. Es war zur Zeit des Ablebens des Königs Victor Emanuel von Italien. Frau Nani kam da aus der Lottocollectur fast gar nicht heraus. Immer und immer fiel ihr etwas Neues v ou dem todten König ein, aus dem sie einen Gewinn herauszuschlagen hoffte. Die Sechserln flogen nur so hin und ein Riscouto nach dem andern versank in die Tiefen der ererbten großen Handtasche. Endlich war der Ziehungstag da. Frau Nani konnte kaum erwarten, bis aus Brünn, ans Linz, aus Agram und Triest, aus Ofen und Prag die gezogenen Nummern telegraphirt kamen. Und als sie da waren — diese Ueberraschung, diese Freude! Frau Nani hatte einen „ersten Rnf" gewonnen, auf den sie fünf Gulden gesetzt, und ein Ambosolo, das sie mit zwei Gulden besetzt hatte. Welch eiu Glück, welch ein Witweutrost! Segen über Segen wünschte sie auf das Haupt des „todten Königs" herab, der ihr „rein nur durch sein Alter, durch Geburts- und Sterbetag" so leicht zu Vermögen geholfen. Mit zitternden Händen suchte sie nach dem betreffenden Risconto umher.. - „aber zum Kukuk, wohin hab' ich denn die Zettel gegeben? In der Tasche nichts, im Kleide nichts, im Mantel nichts . . .? Frau Nani flog mehr als sie lief nach ihrer Wohnung. Hier durchsuchte sie je- desKleidungsstück, jedes Möbelstück, jedes ; Plätzchen in der Kammer — umsonst! Die beiden Riscontos : waren nicht mehr zn finden. Am nächsten Tage suchte sie aber- : mals und sofort Tag ; um Tag während einiger Monate. Endlich führte ihr ein Zufall den „Strick des Gehenkten" in , die Hand, den sie einst von einem Henkers- , knechte für schweres Geld erhandelt hatte. Eiu solcher Strick sott ja Glück bringen und deshalb trug Frau Nani diesen Strick hübsch fürsorglich in ein seidenes Tuch gewickelt immer bei sich, das heißt iu einer der vielen Taschen ihres umfang" reichen Mantels. Sie traute ihren Augen kaum, als sie die beiden vermißten Ris" coutos um den Strick des Gehenkten um- gewickelt.und mit einem Zwirnsfaden festgebunden sah. Jetzt erst, das so schmerzlich Vermißte vor Augen, erinnerte sie sich, daß, „um das Glück kräftiger zu beschwören", siedie beidenRiscontonsan den Strick des Gehenkten festgebunden hatte. „Na, Gott sei ewig gepriesen, daß sie nur da sind." Jetzt aber war nichts Eiligeres zu thun, als in die Collectur zu eilen und die beiden Riscontos zur Zahlung zu präsentiren. „Lieber Herr Collectant, endlich hab' ich die beiden Risconto gefunden . . . Da .. . da sind sie und nun rasch her mit dem Gelde!" „Geld, FrauMa- ui?" fragte derCollec- tant piepsend wie ein Rohrspatz. „Geld wollen Sie? Ja, wenn Sw gestern gekommen wären! Gestern hätten Sie Alles bis uns den letzten Kreuzer ausbezahlt erhalten, aberheute... unmög- uch! Mit dem ge- M^u Dage sind die Risconto verfallen. »Drei Monate gil- ^8h" Lesen Sie selbst, W Iteht es auf jedem Risconto, und gerade dem gestrigen Tage sind die drei Monate abgelaufen. Es ist ein Malheur, ch sehe das ein, aber . . i" Der armen Frau traten Thränen in ^ Augen. „Aber, lieber Herr," rief sie "Us, „was liegt denn denen dort oben t^un, ob sie einen Tag früher oder Water zahlen?" S p x- ü ch e. Der Freunde in der Noth Gehn zehne auf ein Loth. sei Die Sprache ist den, Menschen gegeben, um e Gedanken zu verbergen. dia ^^ schlechtesten Früchte sind es nicht, woran Wespen nagen. - ^^e schöne Menschenseele finden ist Gewinn. „Ja, meine liebe Frau Nani, Ordnung muß sein. Und gerade in solchen Fällen ist man dort oben accurat, o sehr accurat! Glauben Sie mir, Sie erhalten keinen Kreuzer." Und so war es auch. Und ähnlich erging es ihr in anderen Fällen. Und nun sage man, daß Frau Nani nicht,, Pech" mit der Lotterie hatte. Vergangenen Sommer fragte ich sie, wie viel sie Alles in Allem in der Lotterie gewonnen hatte. „Vier Gulden!" war die Antwort. „Und verspielt..?" „Verspielt? I du mein! Wohlviele, viele Hunderte! Ich könnt's zwar genau sagen, ich müßt aber erst nach den Riscontos, die ich alle aufbewahrt hab', die Summe zu- sammenzahln." Nun, dieser Mühe habe ich mich unterzogen, als Frau Nani vor Kurzem das Zeitliche seguete. Nach den in ihrer Wohnung vorgefundenen Riscontos hatte sie in einem Zeitraum von zweiund- zwanzig Jahren 4056 fl. 60 kr. verspielt. Die Freundschaft eines bedeutenden Menschen ist eiu Geschenk der Götter. -st In Geldsachen hört die Gemüthlichkeit aus. Das Hemd ist mir näher als der Rock. Der- Prophet gilt nichts iu seinem Vater- laude.

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