Gemeindetagsprotokoll vom 27. Dezember 1935

9.Sitzung. Niederschrift über die Sitzung des Gemeindetages der Stadt Steyr am Freitag, den 27. Dezember 1935 um 20 Uhr im Gemeinderatssitzungssaale im Rathause. Anwesend: Vorsitzender Bürgermeister Dr.Josef Walk, Bürgermeister-Stellvertreter Alois Janak, die Gemeinderäte: Dr. Doppler Fritz, Fleischmann Franz, Hack Gustav, Ing. Grundmüller Oskar, Hambrusch Peter, Hofer Albert, Hübl Josef, Kammerhofer Ignaz, Nawratil Eugen, Dr. Mayr Anton, Paulmayr Franz, Rossner Karl, Steinkellner Julius Schwarzlmüller Felix, Voglsam Josef Wabitsch Ludwig, Weindl Anton. Entschuldigt abwesend: G.R. Franz Trauner, G.R. Emmerich Trupp, G.R. Dechant Schliessleder, G.R. Otto Wünsch. Tagesordnung: Voranschlag 1936. Der Bürgermeister eröffnet um 20 Uhr die Sitzung, begrüsst die Erschienenen und geht in die Tagesordnung ein. Er erstattet ein umfangreiches Referat, in welchem er zunächst eine Gesamtübersicht über die Erfordernis- und Bedeckungsziffern für das kommende Verwaltungsjahr und die entsprachenden Vergleichsziffern mit dem Voranschlag 1935 gibt. Dann bespricht er eingehend die Kapitel und weist an Hand der Ziffern des

Rechnungsabschlusses 1934 - die des Jahres 1935 werden erst im Laufe des Monates Jänner bekannt - nach, wie vorsichtig der Voranschlag 1936 erstellt wurde, damit man keine Enttäuschungen erlebe. Der Voranschlag der Stadtgemeinde Steyr für das Verwaltungsjahr 1936 sieht ein Erfordernis von S 2,124.400.- vor, dem eine Bedeckung von S 1,685.500.- gegenübersteht. Es ergibt sich somit ein Abgang von S 438.900.-. Das Erfordernis des Jahres 1936 ist um S 115.100.- höher als das vorjährige Erfordernis. Die Ansätze für den Personalaufwand sind unter Zugrundelegung der Verfügung des Bürgermeisters vom 30. Juli 1935 um S 81.400.- niedriger als im Vorjahre; ohne diese Ersparung würde die Erhöhung des Erfordernisses 1936 S 236.500.- betragen. Die Ausgabenerhöhung findet ihren Grund vornehmlich darin, dass für unerlässlich notwendige Reparaturen Kredite in der Höhe von insgesamt S 185.700.- eingestellt wurden. S 34.300.- sind auf Bruttoveranschlagung zurückzuführen, während der Rest auf Ausgabenerhöhung durch gesetzgeberische Massnahmen (Bettlerlager, Eingemeindung, u.s.w.) beruht. Bei der Bedeckungsziffer entfallen rund S 58.000.- auf Bruttopräliminierung, sodass die tatsächliche Erhöhung der Einnahmen 1936 gegenüber der im Vorjahre veranschlagten S 177.700.- beträgt, wovon auf Lohnabgabe S 65.000.-, auf Abgabenertragsanteile S 60.000.-, auf Umlagen aus dem eingemeindeten Gebiete S 28.000.- und auf Winterhilfe-Spenden S 20.000.- entfallen. Nach eingehender kapitelweiser Besprechung des Voranschlages meldet sich G.R. Franz Fleischmann in der Wechselrede als erster zum Wort und verlangt vom Bürgermeister über die Errechnung der Bedeckungsziffern genaue Aufklärung. Nachdem der Bürgermeister diese Anfrage zur Zufriedenheit aller Gemeindetagsmitglieder beantwortet hat, tritt G.R. Ing.Grundmüller dafür ein, die für das kommende Jahr vorgesehenen unerlässlichen Reparaturen im Gesamt-

betrage von S 185.700.- auch durchzuführen. G.R. Dr. Fritz Doppler fragt an, ob die Kreisgerichtsfrage im Voranschlag berücksichtigt wurde. Hiezu erklärt Bürgermeister Dr. Walk folgendes: „Eine Erklärung, ob das Kreisgericht Steyr erhalten bleibt oder nicht, liegt bisher nicht vor. Sicher ist das eine, dass die Frage, Auflösung des Kreisgerichtes Steyr oder nicht, nach einem Gesetze im R.G.Bl. Nr. 63 vom Jahre 1873 zu entscheiden sein wird, welches bestimmt, dass jede Aenderung oder Auflassung eines Gerichtshofes im Verordnungswege von der Regierung nach Einholung eines Gutachtens des zuständigen Landtages durchzuführen ist. Da, soviel ich Zeitungsberichten entnehmen konnte, tatsächlich vom Bundestag eine Ersparung in der Höhe von S 100.000.- beschlossen wurde, muss jetzt die Bundesregierung vom oberösterreichischen Landtag ein Gutachten einholen, was dieser zu der Frage sagt. Es wird dann davon abhängen, welchen Wert die Bundesregierung diesem Gutachten, von dem ich mit hundertprozentiger Sicherheit annehme, dass es negativ ausfallen wird, beimisst. Ich hoffe daher zuversichtlich, dass das Kreisgericht Steyr erhalten bleibt, zumal in den letzten Tagen ein Gesetz von der Bundesregierung beschlossen wurde, das Ersparungen in der Rechtspflege vorsieht, die weit mehr hereinbringen als S 100.000.- durch Auflösung der Kreisgerichte Steyr und Korneuburg." In Fortsetzung der Wechselrede stellt Stadtrat Albert Hofer den Antrag, der Gemeindetag möge den vom Amte ausgearbeiteten Voranschlag für das Jahr 1936 unverändert annehmen und es dem Bürgermeister überlassen, alle ihm im Rahmen des Gemeindestatuts zustehenden Massnahmen zu ergreifen, die geeignet erscheinen, das Defizit herabzusetzen. Bürgermeister Dr. Walk gibt hiezu die Erklärung ab, dass es sich darum handelt, mindestens S 200.000.- an Mehr-

einnahmen zu erzielen. Dies soll im Wege einer Steuerreform im kommenden Jahre erreicht werden. G.R. Josef Hübl stellt hiezu den Antrag, dass bei den zu erwartenden Massnahmen Rücksicht auf die Industriearbeiterschaft und Angestelltenschaft zu nehmen sei, weil diese durch grosse soziale Lasten unmöglich in der Lage wären, irgendwelche Lasten zur Sanierung der Stadtgemeinde Steyr auf sich zu nehmen. Bürgermeister Dr. Walk weist darauf hin, dass 57 Prozent der Bevölkerung der Stadt Steyr dem Industriestand angehören; eine Beseitigung des Defizits auf dem Rücken der übrigbleibenden 43 Prozent wäre nicht nur ungerecht, sondern undenkbar. G.R. Dr. Doppler fragt an, wie schwer die Steuerreform den einzelnen Gemeindeangehörigen treffen würde. Bürgermeister Dr. Walk beantwortet diese Anfrage folgendermassen: "Wenn z.B. die Mietzinsabgabe auf das Ausmass der der Stadt Steyr umliegenden Gemeinden wie St. Ulrich, Garsten, Sierning oder Grünburg erhöht wurde, würde die Wohnpartei pro Monat um 75 Groschen mehr bezahlen müssen. Würde in Steyr eine Fahrradabgabe eingeführt werden, so wie sie z.B. in der Gemeinde St. Ulrich besteht, so würden pro Fahrrad im Monat 40 Groschen zu bezahlen sein. Durch diese zwei Abgaben allein würde Steyr rund S 50.000.- im kommenden Jahr mehr einnehmen. Die restlichen S 150.000.- sollen durch ähnliche Steuern hereingebracht werden." Gemeinderat Karl Rossner gibt seine Bedenken zur Einführung einer Fahrradabgabe bekannt, worauf Bürgermeister Dr. Walk erklärt, dass die Einführung einer Fahrradsteuer in Steyr das letzte Mittel darstellen würde, um der Gemeinde Steyr zu Mehreinnahmen zu verhelfen. Wenn jedoch eine solche Steuer käme, dann würde sie von vornherein nur einem bestimmten Zwecke zugeführt werden. Die Fahrradabgabe würde ausschliesslich nur der Verbesserung der Strassen dienen. Wenn die Radfahrer sehen würden, dass ihre Steuer nicht in einem Riesenloch verschwindet, sondern indirekt ihnen zugute kommt, so würden sie dieser Steuereinführung einiges

Verständnis entgegenbringen. Die Fahrradabgabe in Steyr würde ein Jahreserträgnis von S 15.000.- ergeben. G.R. Julius Steinkellner erklärt, wenn G.R.Josef Hübl auf seinem Standpunkt beharre, so müsse er im Namen der öffentlichen Angestellten und Pensionisten ebenfalls dafür eintreten, dass auch dieser Stand von den Sanierungsmassnahmen ausgenommen werde. G.R. Dr. Fritz Doppler stellt einen Vermittlungsvorschlag zur Debatte, welcher dahin ging, dass der Antrag des G.R. Hübl in dem Sinne abgeändert werden sollte, dass alle Kreise der Bevölkerung unter Berücksichtigung des sozialen Momentes heranzuziehen seien. Nach kurzer Wechselrede, die die einstimmige Auffassung des Gemeindetages zum Ausdruck bringt, dass die Beseitigung des Defizits im Voranschlag 1936 und damit die Sanierung der Stadt Steyr eine unbedingte Notwendigkeit darstelle und der Antrag des G.R. Dr. Doppler nur zu billigen sei, zieht G.R. Hübl seinen und dann auch G.R. Steinkellner den Zusatzantrag zurück. Es gelangt nunmehr der Antrag des Stadtrates Hofer zusammen mit dem Zusatzantrag des G.R. Dr. Doppler zur Abstimmung. Der Antrag lautet: Der Gemeindetag beschliesst die unveränderte Annahme des vom Magistrate ausgearbeiteten Voranschlages für das Jahr 1936. Es ist Sache des Bürgermeisters, alle ihm zustehenden Massnahmen zu ergreifen, die geeignet erscheinen, um das Defizit herabzusetzen. Bei Einführung neuer Abgaben ist auf alle Kreise der Bevölkerung unter Berücksichtigung des sozialen Momentes Bedacht zu nehmen. Dieser Antrag gelangt einstimmig zur Annahme. Um 22 Uhr 15 wird die öffentliche Sitzung geschlossen. Es wird sofort in eine vertrauliche Sitzung eingegangen. Der Bürgermeister:

Niederschrift über die vertrauliche Sitzung das Gemeindetages der Stadt Steyr am Freitag, den 27. Dezember 1935 im Gemeinderatssitzungssaale. Tagesordnung: Personalangelegenheiten. Der Bürgermeister gibt bekannt, dass das Landesgesetz, dem zufolge ein Abbau von Magistratsbeamten auch ohne Vorhandensein der nach der Dienstpragmatik nötigen Voraussetzungen möglich ist, am 31.Dezember 1935 erlischt. Es sei daher zu erwägen, ob nicht die sicher notwendigen Reduzierung des Personalstandes noch auf Grund dieses Gesetzes durchgeführt werden soll. Stadtrat Paulmayr verweist auf den Gemeindetagsbeschluss, der in der ausserordentlichen Gemeindetagssitzung über die vom Bund beabsichtigte Auflassung des Kreisgerichtes Steyr gefasst worden ist. Nach diesem Beschluss werden keinerlei Sanierungsmassnahmen durchgeführt, solange die Kreisgerichtsfrage nicht in einem für Steyr günstigen Sinne gelöst ist. Da eine Erklärung über die Zurücknahme des Auflassungsbeschlusses nicht vorliegt, müsse der Gemeindetag bei seiner ursprünglichen Absicht bleiben. Es wird vom Gemeinderat Anton Weindl eingewendet, dass es unter allen Umständen notwendig sei, eine Personalreduzierung durchzuführen. Es entwickelt sich eine lebhafte Debatte, nach deren Schluss der Antrag Paulmayr's zur Abstimmung gelangt. 12 Gemeinderäte stimmen für diesen Antrag, 6 Gemeinderäte dagegen, ein Gemeinderat enthält sich der Stimme. Der Antrag Paulmayr's ist somit angenommen. Der Bürgermeister gibt noch einige Aufklärungen über die Finanzen der Stadtgemeinde und beantwortet verschiedene an ihn

gerichtete Fragen. Der Bürgermeister schliesst um 23 Uhr die Sitzung. Der Bürgermeister:

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