Gemeindetagsprotokoll vom 1. April 1935

2.Sitzung. Niederschrift über die ausserordentliche Sitzung der Gemeindetage der landesunmittelbaren Stadt Steyr und der Gemeinde St. Ulrich, am Montag, den 1. April 1935, um 17 Uhr, im Sitzungssaale des Rathauses der Stadt Steyr. Anwesende: Vorsitzender Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Hermann Straznicky. Vom Gemeindetage Steyr: Bürgermeister Dr. Josef Walk, Bürgermeister-Stellvertreter Alois Janak, Dr. Doppler Fritz, Fleischmann Franz, Ing. Grundmüller Oskar, Hack Gustav, Hambrusch Peter, Hofer Albert, Hübl Josef, Kammerhofer Ignaz, Kokesch Karl, Köttenstorfer Johann, Dr. Mayr Anton, Vom Gemeindetage St. Ulrich: Paulmayr Franz, Rossner Karl, Schliessleder Alois, Schwarzlmüller Felix, Steinkellner Julius, Trauner Franz, Trupp Emmerich, Voglsam Josef, Wabitsch Ludwig, Weindl Anton, Wünsch Otto. Bürgermeister Franz Kern, Vize-Bürgermeister Max Rahofer, 1.Gemeinderat: Leopold Zöttl, 2.Gemeinderat: Josef Födermayr, 3. Gemeinderat: Georg Würleitner. Gemeindetagsmitglieder: Derflinger Johann, geistl. Rat, Löser Josef, Madengruber Johann, Detter Franz, Schafferhans Hermann, Wild Josef, Mayr Karl, Panholzer Konrad, Froschauer Franz, Gattermayr Alois, Arthofer Ludwig, Riegauf Johann. Ehrengäste: Kreisgerichts-Präsident Hofrat Dr. Ernst Ganzwohl, Leitender 1. Staatsanwalt Dr. Ferdinand Reiter, Bundespolizeikommissariatsleiter, Oberpolizeirat Alfred Edelmayer, Stabsrittmeister Anton Täubler, Kriminal-Bezirksinspektor Max Girkinger, Post- u. Telegraphenamtsdirektor Hermann Rechberger.

Vom Magistrate Steyr: Magistrats-Sekretär Dr. Leopold Kühberger. Vom Gemeindeamte St. Ulrich: Gemeindesekretär Josef Feurhuber. Als Schriftführer: Rechnungsrevident Josef Dambachmayr. Tagesordnung: Eingemeindung der Ortschaften Neuschönau, Jägerberg und Ramingsteg in das Gemeindegebiet der Stadt Steyr. Bürgermeister Dr.Josef Walk eröffnet die Sitzung mit folgenden Worten: "Als Hausherr obliegt mir die Pflicht, heute hier die Herren Vertreter der Aemter und Behörden, die Herren des Gemeindetages von St. Ulrich und die Herren des Gemeindetages der Stadt Steyr zu begrüssen. Wir haben uns heute zu dem Zwecke versammelt, um ein historisches Ereignis für die Stadt Steyr und für die Gemeinde St. Ulrich in würdiger Form zu feiern, indem wir hier gemeinsam die Uebergabe der einstigen St. Ulricher Gemeindegebiete Neuschönau, Jägerberg und Ramingsteg und die Uebernahme dieser Gebietsteile aus der Gemeinde St. Ulrich vollziehen. Der Herr Statthalter von Oberösterreich, Landesrat Heinz Wenninger, Referent für die Stadt Steyr, und Herr Landesrat Loidl, Referent für Steyr-Land, haben beide gebeten, dass sie hier entschuldigt werden, und haben übereinstimmend den Herrn Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Straznicky mit dem Vorsitz dieser heutigen Sitzung beauftragt. Ich bitte daher den Herrn Hofrat Dr. Straznicky, den Vorsitz zu übernehmen." Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Straznicky übernimmt sodann den Vorsitz und führt folgendes aus: "Hochverehrter Herr Bürgermeister! Meine hochverehrten Herren! Es gereicht mir zur ganz besonderen und freudigen Auszeichnung, in dieser heutigen denkwürdigen Sitzung mit dem Vorsitz betraut worden zu sein.

Mein ganz besonderer Gruss gilt dem Herrn Bürgermeister der Stadt Steyr, dem Herrn Bürgermeister von St. Ulrich, den Ehrengästen, den Vertretern der Presse und allen Herren Beisitzern, die heute an dieser Sitzung teilnehmen. Meine hochverehrten Herren! Nun erlaube ich mir, einen kurzen Rückblick über das Werden der Eingemeindung zu geben. Sofort nach Amtsantritt hat Bürgermeister Dr. Walk die Gelegenheit ergriffen, Verhandlungen bezüglich einer Vergrösserung des Stadtgebietes von Steyr zu pflegen, um auf diese Weise durch Schaffung eines grösseren Territoriums die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Lösung der Steyrer Frage und dadurch eines Aufschwunges für die Stadt Steyr zu verwirklichen. In richtiger Erkenntnis hat er diesen Gedanken aufgegriffen, durch dieses grössere Territorium und durch die Vermehrung von Steuerträgern eine Basis zu schaffen, die es vielleicht ermöglicht, in nicht allzu ferner Zeit vielleicht doch die wirtschaftliche Lage der Stadt Steyr so zu verbessern, dass ein wirtschaftliches Arbeiten wieder möglich ist. Der Herr Bürgermeister von St. Ulrich, an den ich mich über Wunsch des Bürgermeisters der Stadt Steyr gewendet habe, hat mit dieser Frage ebenso richtiges Empfinden gezeigt. So konnten die Eingemeindungsverhandlungen, die trotz aller Schwierigkeiten der Materie immer mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Opferbereitschaft geführt wurden, in der Weise zu Ende gebracht werden, dass in der Schlussitzung vom 14. März die Eingemeindungsfrage als gelöst, und zwar restlos gelöst und bereinigt betrachtet werden konnte. Die Bürgermeister von Steyr und St. Ulrich haben in diesen Verhandlungen eine Unsumme von Arbeit geleistet, so dass es in verhältnismässig kurzer Zeit gelungen ist, das Endziel zu erreichen. Ich betone noch einmal, dass die Verhandlungen in sehr loyaler Weise geführt wurden. Ich danke daher allen Beteiligten für diese Loyalität. Nun, da das Werk vollendet ist, bleibt uns nur eines übrig: Den Herrn der Dinge zu bitten, dass er dem Werke auch den Enderfolg sichern möge. Unser Herrgott wolle beide Gemeinden unter seinen besonderen Schutz nehmen. Es möge sich besonders für die Stadt Steyr

das erfüllen, was der Herr Bürgermeister in seiner Auffassung von der Stadt Steyr erhofft und erwartet. Meine Herren! Es obliegt mir nun, in dieser formellen Sitzung, die einen dekretiven Charakter hat, festzustellen, dass die Verhandlungen mit den beiderseitigen Gemeindetagsbeschlüssen beendet worden sind. Ich darf nun den Herrn Bürgermeister von St. Ulrich bitten, dem Herrn Bürgermeister der Stadt Steyr die Agenden der abgetretenen Gebietsteile Neuschönau, Jägerberg und Ramingsteg auch formell zu übergeben. Ich erlaube mir, bei diesem Anlasse dem Herrn Bürgermeister der Stadt Steyr die ehrfurchtsvollen Glückwünsche zum Erfolg zu entbieten. Dem Herrn Bürgermeister von St. Ulrich wünsche ich, dass der übriggebliebene Teil des Gemeindegebietes von St. Ulrich dank der wirtschaftlichen Unterstützung durch die Schuldenübernahme nunmehr blühen und gedeihen möge. Es ist für einen Bezirkshauptmann nicht leicht, in die Verringerung seines Territoriums einzuwilligen; aber in der einzigen Erkenntnis, dass dadurch ein Vorteil für zwei Gemeindewesen erlangt wurde, habe auch ich herzlich gerne und redlich mitgearbeitet. Ich hoffe, dass der Erfolg nicht ausbleiben wird und habe schon einmal betont: die Zukunft wird es lehren, ob dieses Werk, das wir als grosses empfinden, auch die Früchte zeitigt, die wir davon erwarten. Dem Herrgott sei unser Werk empfohlen. Hierauf spricht Bürgermeister Franz Kern von St. Ulrich folgendes aus: Werter Herr Bürgermeister! Werter Herr Hofrat! Werte illustre Gäste! Mit dem heutigen Tage übergebe ich namens des Gemeindetages von St. Ulrich die eingemeindeten Ortschaften Neuschönau und Teile von Jägerberg und Ramingsteg. Hoffen wir, dass die Eingemeindung und Ausgemeindung beide Teile befriedigen möge. Es war für mich ein schwerer Schlag, als ich eine Notiz von der Möglichkeit einer Eingemeindung Neuschönaus und Jägerbergs in der Zeitung gelesen habe. Ich habe das Empfinden, dass die Neuschönau ein Ortsteil

mit wohlhabenderen Leuten ist als der Ortsteil Ramingsteg. Der Herr Bürgermeister hat sich aber auch bereit erklärt, unsere Schulden zu übernehmen. Denn so wäre es nicht mehr möglich gewesen, weiter zu vegetieren. Aus diesem Anlasse bitte ich auch die Mitglieder des Gemeindetages von St. Ulrich und ganz besonders die Mitglieder der der Stadt Steyr eingemeindeten Ortsteile, den herzlichsten Dank für die verständnisvolle Mitarbeit entgegenzunehmen, die es mir erst ermöglicht hat, in verhältnismässig kurzer Zeit eine weittragende und bedeutungsvolle Entscheidung zu treffen. Es ist gewiss nicht leicht gewesen, der Ausgemeindung zuzustimmen, da bei einer Abstimmung die Bevölkerung bestimmt mit 90 Prozent für St. Ulrich gewesen wäre. Ich muss sagen, dass nur der Weitblick dahin geführt hat, dass die Vertreter dieser Ortsteile sich gesagt haben: es wird nur zum Vorteil beider Teile gereichen! Hiemit übergebe ich die Ortsteile Neuschönau, Jägerberg und Ramingsteg der Gemeinde Steyr." Sodann hält Bürgermeister Dr. Josef Walk folgende Ansprache: „Herr Bürgermeister! Herr Hofrat! Meine Herren! Ich übernehme namens der Stadt Steyr die eingemeindeten Gebiete Neuschönau, Jägerberg und Ramingsteg in die Verwaltung der Stadtgemeinde Steyr und zwar den eigenen und selbständigen Wirkungskreis und auch in den Wirkungskreis als politischer Bezirk. Mit der Rechtskraft der Verfügung, die ich auf Grund des Ermächtigungsbeschlusses des Gemeindetages vom 17. November 1934 nach Zustimmung des Verwaltungsausschusses treffen konnte, und nach Zustimmung und Begutachtung des Herrn Landeshauptmannes ist diese Eingemeindung hiemit vollzogen. Es wird nun unsere Sache sein, dass wir die Ueberführung aus dem Gebiete der Gemeinde St. Ulrich und dem politischen Bezirke Steyr-Land in das Gebiet der Stadtgemeindeverwaltung als politischen Bezirk und als selbständige Gemeinde ausführen.

Dabei werden nicht nur der Gemeindeverwaltung von St. Ulrich, sondern auch der Gemeindeverwaltung von Steyr allerhand Aufgaben obliegen. Es werden auch die Herren der übrigen Aemter und Behörden von Steyr mit dieser Sache sich beschäftigen müssen; die Herren des Gerichtes, die Herren der Post, die Herren aller verschiedenen Aemter und Behörden und insbesondere die Polizei. Die Polizei, die ja gewissermassen von der Stadtverwaltung Steyrs abgeschaltet ist, wird ihren Wirkungskreis wesentlich zu vergrössern haben. Und ich bitte den Herrn Vorstand des Polizeikommissariates Steyr, diese Schwierigkeiten, die ihm anlässlich dieser Vergrösserung zweifellos erwachsen werden, eben mit derselben Liebe und Sorgfalt zu überwinden, die er ja für die Stadt Steyr immer bewiesen hat. So hoffen wir denn, dass durch die Eingemeindung, die ja in der Natur der Sache gelegen war, beiden Gemeinden, Steyr sowohl wie auch St. Ulrich, zum Wohle gereichen werde. Wir glauben, dass die Art, wie diese Eingemeindung durchgeführt wurde, vielleicht ein Beispiel dafür ist, wie man Probleme in Oesterreich lösen könnte und lösen sollte. Ausgehend von den naturgegebenen Tatsachen, ausgehend von den Notwendigkeiten, die an einen herantreten, absehend von den Schwierigkeiten und irgendwelchen Sentimentalitäten, rein nur bedacht auf wirtschaftliche Interessen und auf eine sichere und glücklichere Zukunft, und nochmals absehend von allen Sentimentalitäten irgendwelcher Traditionssucht, haben die Gemeindeverwaltung von St. Ulrich und die Stadtgemeindeverwaltung von Steyr das Problem zu lösen versucht. Wir wissen, dass es für St. Ulrich Opfer bedeutet, insbesondere finanzieller Natur. Aber trotz alledem sind wir uns klar darüber, dass wir vorhandene Schwierigkeiten nicht dadurch aus der Welt schaffen können, dass wir sie nicht als existent betrachten. Wir müssen vielmehr den naturvorhandenen Schwierigkeiten begegnen und uns Wege zurecht legen, wie wir aus dem

Ganzen herauskommen. Das, glaube ich, haben wir doch getan! Die Verhandlungen waren wirklich in einem recht loyalen und guten Geist und selbstlos bis zum letzten Moment geführt worden. Und so ist wohl anzunehmen, dass die Umgemeindung nicht irgend einen Zwiespalt zwischen den beiden Gemeinden gezeitigt hat, sondern im Gegenteil, ich glaube ruhig feststellen zu können, dass die Verbundenheit zwischen Steyr und St. Ulrich noch grösser geworden ist, als es schon ursprünglich der Fall war. So bitte ich Sie alle, meine sehr verehrten Herren, dass Sie diesem Werk, das ja sicherlich nicht alltäglich ist, auch in der Geschichte einer tausendjährigen Stadt nicht ihre Liebe und Zuneigung versagen, und dass Sie alle, die in der Gemeindeverwaltung hier oder dort zu tun oder in den Aemtern und Behörden mit der Sache sich zu befassen haben, in dem gleichen Geiste, in dem die Verhandlungen geführt wurden, aus den Schwierigkeiten herauszukommen und eine Grundlage für eine bessere Zukunft zu schaffen trachten. Mit Rücksicht darauf, dass eine Eingemeindung keine alltägliche Angelegenheit ist, und mit Rücksicht darauf, dass der Herr Bürgermeister Kern von St. Ulrich ein besonders grosses Verständnis in treuer Wahrung seiner Gemeindeinteressen, aber gleichzeitig auch einen ganz beträchtlichen Weitblick für die Zukunft seiner Gemeinde und der der Stadt Steyr gezeigt hat, und mit Rücksicht darauf, dass der Herr Hofrat Dr. Straznicky, Bezirkshauptmann von Steyr-Land, in seiner ruhigen Art den Plan sehr wesentlich gefördert hat, verleiht die Stadt Steyr den beiden Herren die "goldene Plakette der Stadt Steyr." Ich bitte Sie, dieses Zeichen als Dank entgegenzunehmen für das, was Sie der Stadt Steyr Gutes getan haben. Ich hoffe, dass wir mitsammen nun einer glücklicheren Zukunft beider Gemeinden entgegengehen. Mit Gottes Segen wird es sicher der Fall sein. Und es wird wahr werden, was wir wünschen: Es lebe unsere liebe Heimatstadt Steyr!

Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Straznicky und Bürgermeister Kern dankten in herzlichen Worten für die ihnen verliehene Auszeichnung, worauf der Vorsitzende um 17.30 Uhr die Sitzung mit Worten des Dankes an alle Erschienenen schloss. Der Bürgermeister:

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2