Verhandlungsschrift über die Sitzung des Beirates des Regierungskommissärs der Stadt Steyr, am Donnerstag, den 7.Juni 1934, um 14 Uhr. Anwesend: Vorsitzender: Regierungskommissär Dr. Florian Hirtmayr, Mitglieder: Stadtrat Gustav Hack, Peter Hambrusch, Alois Janak, Ignaz Kammerhofer, Dr. Karl Lorenz, Stefan Ramoult, Dr. Josef Walk. Schriftführer: Magistrats-Sekretär Dr. Leopold Kühberger. Tagesordnung. 1.) Beglaubigung der Verhandlungsschrift der letzten Sitzung. 2.) Mitteilungen des Vorsitzenden. 3.) Bericht des Stadtrates Dr. Josef Walk über die Finanzlage der Stadtgemeinde Stevr. 4.) Allfälliges. Der Vorsitzende eröffnet um 1h Uhr die Sitzung und teilt zu Punkt 1 der Tagesordnung mit, dass die Verhandlungsschrift über die Beiratssitzung vom 7. Juni 1931 von den Stadträten Hack und Dr. Walk überprüft worden ist und - da kein Einwand erhoben wurd als beglaubigt gilt. Zu Punkt 2 der Tagesordnung bringt der Vorsitzende die Zuschriften der Sicherheitsdirektion Linz wegen Uebertragung des Vermögens des Vereines "Arbeiterheim" an die Stadtgemeinde,der Bundesminister Neustädter-Stürmer und Buresch an den Landeshauptmann Dr. Gleissner in Angelegenheit des Neubaues eines
Bundes-Realgymnasiums, sowie die Forderungen des Bezirksverbandes der Gewerbegenossenschaften vom 4. Juni 1934, die ihm von einer Deputation unter Führung des Stadtrates Kammerhofer schriftlich überreicht worden sind, zur Kenntnis. Der Vorsitzende geht sodann in die Besprechung der einzelnen Forderungen 1. Einstellung aller Eigenregiearbeiten, 2. Ausschreibung grösserer Arbeiten und gleichmässige Berücksichtigung der heimischen Gewerbetreibenden bei Vergebung von Arbeiten, 3. Einflussnahme auf die Steyr-Werke wegen Einstellung bodenständiger Arbeiter. 4. Erlassung eines allgemeinen Hausierverbotes und Aenderung der Marktordnung, 5. schärferes Einschreiten gegen unbefugte Gewerbeausübung, 6. strenge Handhabung der Lebensmittelpolizei auf den Tages- und Wochenmärkten, 7. Ermässigung der Mietzinsabgabe. 8. Ermässigung der Fremdenzimmerabgabe und Auflassung der 10%igen Verbrauchsabgabe, ein, worüber sich eine lebhafte Wechselrede entwickelt, an der sich besonders der Vorsitzende und die Stadträte Hack, Hambrusch, Kammerhofer und Dr. Walk beteiligen. Schliesslich empfiehlt Stadtrat Dr. Walk folgende Stellungnahme zu den einzelnen Forderungen: Zu Punkt 1. Der Beirat hat die Absicht, die Eigenregiearbeiten auf das unerlässlich Notwendige einzuschränken; zu Punkt 2. Der Beirat schliesst sich den diesbezüglichen Auffassungen der Gewerbetreibenden vollinhaltlich an; zu Punkt 3. Der Beirat hält es für selbstverständlich, dass sich der Magistrat bei der Direktion der Steyr-Werke A.G. für eine möglichst weitgehende Berücksichtigung der bodenständigen Arbeiterschaft einsetzt: zu Punkt 4. und 5. Der Beirat ist der Meinung, dass den diesbezüglichen Wünschen durch entsprechende finanzpolitische Massnahmen Rechnung getragen werden kann und hält zu Punkt 5 ausserdem dafür, dass schon das eigene finanzielle Interesse der Stadtgemeinde eine scharfe Kontrolle hinsichtlich unbefugter Gewerbeausübung erfordert.
Zu Punkt 6. Der Magistrat wird seine Kontrollorgane neuerlich zu entsprechendem Vorgehen auffordern. Zu Punkt 7. u. 8. Der Beirat hält dafür, dass die diesbezüglichen Abgabegesetze reformbedürftig sind, wobei aber mit Rücksicht auf die finanzielle Lage der Stadtgemeinde eine Minderung der Gesamteinnahmen nicht erfolgen darf. Zu Punkt 3 der Tagesordnung bringt Stadtrat Dr. Walk ein Schreiben der o.ö. Landesregierung, betreffend die direkte Einhebung der Lohnabgabe der Steyr-Werke A.G. und der Firma Hack durch das Landesgefällsamt, zur Kenntnis, weiters dass diese Woche weitere 10.000.- S bei der Sparkasse Steyr aufgenommen werden mussten, um das 2. Gehaltsviertel an die Angestellten und die Löhne an die Arbeiter auszahlen zu können. Er stellt sodann fest, dass sich die Finanzlage seit der letzten Sitzung bereits wieder verschärft hat und seiner Meinung nach die richtige Lösung in einem aussergerichtlichen Zwangsausgleiche gesucht werden müsse, bei dem die Forderungen der privaten Geschäftsleute mit 100 % befriedigt werden, Bund und Land auf ihre Forderungen zur Gänze verzichten und der gesamte Realbesitz mit Ausnahme der zur Aufrechterhaltung der Gemeindeverwaltung notwendigen Liegenschaften, an die Landeshypothekenanstalt abgetreten wird. Könne dieser Weg nicht begangen werden, dann sei der Zusammenbruch unvermeidlich. Der Referent hält dafür, dass unbedingt auf eine rasche Lösung zu dringen ist, weil sich sonst der Beirat mit der Verantwortung für die kommende Katastrophe belaste. Der Vorsitzende und Stadtrat Hack teilen die Meinung des Referenten und stellt Letzterer ausdrücklich fest, dass auch seiner Meinung nach nicht so wie bisher weiter gewirtschaftet werden dürfe, sondern reiner Tisch gemacht werden müsse. Sodann gibt der Referent für den Fall der Annahme des geplanten aussergerichtlichen Zwangsausgleiches sein Finanzprogramm zur Sanierung des Gemeindehaushaltes bekannt, das in folgenden Punkte festgelegt erscheint:
1. Die Dienstordnung für die Angestellten des Magistrates Steyr ist aufzuheben. An deren Stelle tritt das gesamte Dienstrecht der Bundesangestellten (einschliesslich des Besoldungsund Disziplinarrechtes). 2. Sämtliche Magistratsbeamte sind in diejenigen Verwendungsgruppen einzureihen, die ihnen nach den diesbezüglichen Bestimmungen für Bundesangestellte zukommen würden. 3. Sämtliche Magistratsbeamte sind in diejenige Gehaltsstufe einzureihen, die ihnen nach dem Besoldungsrechten für Bundesangestellte unter Berücksichtigung der vom Bundesministerium für Finanzen herausgegebenen Richtlinien zukommen würde. 4. Soferne die derzeitigen Bezüge der Magistratsbeamten höher sein sollten, als die ihnen unter Berücksichtigung der Punkte 3 und 4 zukommenden Gehalte, sind sie auf dasjenige Ausmass zu kürzen, das ihnen unter Berücksichtigung dieser Punkte 3 u. 4 zukommen würde. Dahei sind auch hinsichtlich der Vordienst- u. Ueberleitungsdienstzeiten die entsprechenden Bestimmungen für Bundesangestellte anzuwenden. 5. Allfällige Begünstigungen, welche Magistratsbeamten gewährt sind, die ihnen als Bundesbeamten nicht zukommen würden, treten ausser Kraft, es sei denn, dass sie auf einem Vertrage beruhen. 6. Beim Magistrate Steyr ist sogleich eine auf Ersparungen abzielende Reform der Verwaltungsgeschäfte durchzuführen. Dabei wird der bisher in Geltung gestandene Dienststellenplan aufgehoben und ist an dessen Stelle ein neuer Dienststellenplan zu setzen. 7. Im Zuge dieser Reformen nicht mehr benötigte Beamte sind nach den analogen Bestimmungen des Bundes abzubauen. Dabei ist ausser dem Dienstesinteresse und der Vertrauenswürdigkeit auf die wirtschaftliche Lage der Beamten Bedacht zu nehmen. Es werden daher im allgemeinen verheiratete weibliche
vor anderen, unverheiratete vor verheirateten und kinderlose vor solchen mit Familie abzubauen sein. 8. Soferne Vertragsangestellte des Magistrates besser gestellt sind, als es ihnen nach den analogen Bestimmungen des Bundes zukommen würde, sind die Dienstverträge im Sinne der Bestimmungen des Bundes abzuändern. Soferne ein Einvernehmen nicht erzielt werden kann, ist das Dienstverhältnis zu ändern. 9. Pragmatische Angestellte dürfen bis zum 31. Dezember 1939 nicht aufgenommen werden. Soferne eine Aufnahme im Dienstesinteresse erforderlich sein sollte bedarf sie der Zustimmung des Beirates, welche mit qualifizierter Majorität von 3/4 aller Mitglieder dieser Körperschaft zu geben ist. 10. Auch die Aufnahme von Vertragsangestellten bedarf der Zustimmung des Beirates, bzw. Gemeindetages. 11. Sämtliche Gemeindearbeiter mit Ausnahme der zur Aufrechterhaltung des Gemeindebetriebes unbedingt notwendigen sind zu entlassen. Dabei haben die in Punkt 7 angeführten Grundsätze zu gelten. 12. Soferne es sich nicht um Subventionen an Körperschaften handelt, die freiwillig in den Pflichtenkreis der Gemeinde fallende Agenden ausführen, sind alle Subventionen einzustellen. 13. Alle Ausgaben, die nicht als Pflichtausgaben der Gemeinde angesehen werden müssen, sind einzustellen. Insbesondere haben auch im Sachaufwande der Gemeinde die schärfsten Spargrundsätze durchzugreifen. 14. Der Beirat stellt fest, dass es ausgeschlossen ist, die für Verzinsung und Amortisation der aufgenommenen Darlehen nötigen Beträge aufzubringen. 15. Der Beirat stellt die vollständige Unmöglichkeit der derzeitigen von der früheren Gemeindeverwaltung übernommenen Finanzgebarung fest. Abfuhr der der Gemeinde nicht zukommenden Abgaben an die Eigentümer und Bezahlung der laufenden Ausgaben bei Privaten erscheinen als der Mindestgrundsatz der Finanzgebarung,
dessen Einhaltung ermöglicht werden muss. 16. Das nach Ausscheiden der in Punkt 14 erwähnten Beträge verbleibende Defizit ist durch entsprechende Erhöhung der Einnahmen zu decken. Die notwendigen Belastungen der Gemeindebevölkerung sind auf breitester Basis unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, auf den Grad der Anteilnahme an den Gemeindeausgaben und auf die bereits vorhandene Mitwirkung an den Gemeindeeinnahmen durchzuführen. 17. Der vom Finanzreferenten erstattete Bericht über die finanzielle Lage der Stadtgemeinde Steyr ist unter Bedachtnahme auf die Berichte des Obersten Rechnungshofes zu veröffentlichen. 18. Die in Befolgung dieser Grundsätze erforderlichen Massnahmen sind innerhalb von 14 Tagen durch Vorlage entsprechender Landesgesetzentwürfe einzuleiten. 19. Der Beirat stellt fest, dass Ersparungsmassnahmen über den bereits vorhandenen Notvoranschlag und Mehrbelastungen der Bevölkerung über die bereits vorhandene für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schon sehr hohe Belastung hinaus nur dann tragbar bezeichnet werden kann, wenn sie zu einer wirklichen Sanierung der Stadt führen. Ausserdem gibt der Referent noch folgende Anregungen: 1. Die an die marxistische Aera erinnernden Strassennamen sind aufzuheben. An deren Stelle haben neue Namen zu treten, für die der Verein Steyrer Heimatschutz Vorschläge erstatten möge. Die Strassenumbenennung hat innerhalb der nächsten 4 Wochen zu erfolgen. 2. Der Beirat betrachtet es als selbstverständlich, dass ehemals in der sozialdemokratischen Partei hervorragend tätig gewesene Magistratsbeamte nicht mehr in Vertrauensstellungen verwendet werden dürfen. In der anschliessenden Wechselrede, an der sich hauptsächlich der Vorsitzende, Stadtrat Hack und der Referent beteiligen, kommt die einmütige Auffassung zum Ausdrucke, dass unverzüglich
die Vorsprachen beim Landeshauptmann, der Landeshypothekenanstalt und beim Finanzministerium erfolgen müssten. Dann hätte sofort die Aufklärung der Bevölkerung einzusetzen, um der Bewohnerschaft die Notwendigkeit der drückenden Sanierungsmassnahmen verständlich zu machen. Der Beirat pflichtet den Ausführungen des Finanzreferenten bei. Im Schlussworte seines Berichtes erklärt der Referent, wenn es nicht gelinge, einen annehmbaren aussergerichtlichen Ausgleich zu erzielen, oder erforderlichenfalls das Land zur Uebernahme der gesamten Gemeindeverwaltung zu bestimmen, dann müsse er sein Mandat als Finanzreferent zurücklegen. Unter Allfälliges stellt Stadtrat Dr. Walk zur Wahrung der Unabhängigkeit von Vertretern der Stadtgemeinde in Unternehmungen und sonstigen Körperschaften folgenden Antrag: "Wer über Auftrag der Stadtgemeinde Steyr in wirtschaftlichen Unternehmungen eine Funktion bekleidet, ist verpflichtet, die ihm in dieser Stellung zukommenden Bezüge, welcher Art immer, an die Stadtgemeinde abzuführen. Soferne es sich um einen Funktionär der Stadtgemeinde handelt, der im Genusse eines Funktionsgebührenpauschales steht, ist mit diesem Pauschale auch die Betätigung in solchen wirtschaftlichen Unternehmungen gedeckt. Ansonsten werden die für die Geschäftsführung der Stadträte pro Funktionstag zukommenden Gebühren zugesprochen." Dieser Antrag wird einstimmig angenommen. Auf eine neuerliche Anfrage des Stadtrates Hack über die Zusammensetzung des Sparkassedirektoriums gibt der Vorsitzende die bereits einmal gegebene erschöpfende Aufklärung über die derzeitige Rechtslage. Stadtrat Ramoult berichtet über die städtischen Unternehmungen „Geste" und regt an, nunmehr einen neuen Geschäftsführer zu bestellen, wofür er den Bewerber Steininger vorschlägt. Die Stadträte Hack und Dr. Walk nehmen wegen des unglücklichen Zusammenhanges dieses Bewerbers mit den seinerzeitigen Industriegründungen gegen diesen Vorschlag Stellung und einigt man sich
schliesslich darauf, die endgiltige Besetzung zurückzustellen und einstweilen den derzeit beim Magistrat im Erhebungsdienste befindlichen seinerzeitigen Kriminalabteilungsinspektor Josef Schaufler bei der "Geste" zu verwenden, sowie die Dienstwohnung des Geschäftsführers vorläufig leer stehen zu lassen. Ueber Vorschlag des Vorsitzenden werden die Stadträte Hambrusch und Dr. Walk zu Kassenrevisoren bestellt. Stadtrat Dr. Walk berichtet in Angelegenheit des Volkskinos, dass die Verhandlungen mit dem Vertreter der "Kiba" fortgesetzt werden und die Stadtgemeinde bei der derzeitigen Rechtslage einen ziemlich schwierigen Stand habe, weil sich auch die Uebertragung des Vermögens des aufgelösten Vereines "Arbeiterheim" verzögere. Schluss der Sitzung um 18 Uhr 10 Minuten. Der Vorsitzende: Die Stadträte:
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