Gemeinderatsprotokoll vom 29. Dezember 1931

Grunde haben wir das Schiff solange über Wasser halten können. Wenn ich vor drei Jahren an dem gleichen Tage vielleicht sogar zur selben Stunde das öffentliche Gewissenzur Rettung dieser Stadt aufgerufen habe, so wiederhole ich in letzter Minute neuerlich diese Hilferufe. Unsere Kräfte sind zu Ende, das Wort haben nunmehr die verantwortlichen Regierungsstellen. Mit der Bitte um einstimmige Annahme seines Antrages schliesst der Referent Bürgermeister Franz Sichlrader seine Ausführungen. Als erster Redner spricht Bürgermeister-Stellvertreter Rudolf Marktschläger (christlichsoz. Partei) und führt im Wesentlichen folgendes aus: Der dem Gemeinderate vorliegende Voranschlag für das Jahr 1932 ist nur der ziffernmässige Ausdruck der über unsere Stadt hereingebrochenen finanziellen und wirtschaftlichen Katastrophe. Das Erfordernis, das nur reine Pflichtausgaben vorsieht, hält sich mit S 2,444.400.- ungefähr auf der gleichen Höhe wie in den vorangegangenen Jahren, während die Bedeckung mit S 1, 486.300.-, z.B. um S 1,159.300.- hinter den Einnahmen des Jahres 1929 zurückbleibt. Trotz dieser unerhört geringen Veranschlagung sind aber Zweifel durchaus berechtigt, ob die Einnahmen in dieser Höhe wirklich hereinkommen werden. Der fortschreitende Beschäftigungsrückgang in den Steyr-Werken und die Schrumpfung in der übrigen Wirtschaft bedingen eben einen weiteren Rückgang der Einnahmen. Unter diesen Verhältnissen erscheint es fast unmöglich, für den mit S 957.900.- veranschlagten Abgang eine Bedeckung zu finden. Nur aus dieser Situation heraus, die man am treffendsten mit dem volkstümlichen Ausdruck "Friss Vogel oder stirb" bezeichnet, sind die Bedeckungsvorschläge des Finanzreferenten, die eine beispiellose Drosselung der Personal- und Sachauslagen bedeuten, zu verstehen. Diese Anträge tragen den Stempel des Zwanges an sich, des Zwanges der leeren Stadtkassen. Es ist ein Zeichen wirtschaftlicher Einsicht, dass man nicht erst versucht, den zu erwartenden Abgang durch Erhöhung von Steuern und Abgaben, wenigstens teilweise, zu decken; unsere unter einer Ueberlast von Steuern seufzende Bevölkerung könnte eine weitere Belastung nicht mehr ertragen.

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