Niederschrift über die ausserordentliche Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr am Samstag, den 21.Februar 1931. Tagesordnung. Beratung betreffend Errichtung der Gegenstand ist die Voralpenstrasse. Anwesende: Vorsitzender Bürgermeister Franz Sichlrader, die Bürgermeister-Stellvertreter Julius Russmann und Dr. Hubert Messenböck, die Stadträte: Dedic Karl, Roithner Hans, Klement Karl, Gaiblinger Leopold, Schlossgangl Leopold, Dr. Rudolf Schneeweiss, die Gemeinderäte: Leitzinger Karl, Azwanger Anton, Baumgartner Hans Lemp Karl, Futterer Franz Patek Irene Dr. Ulrich Furrer, Dr. Peyrer-Angermann Hamberger Josef Schwandtner Anton Hambrusch Peter Steiner Fforian Tribrunner Franz Huber Franz Voglsam Josef Kirchberger Josef Chalupka Elise Witzany Hans Knogler Richard Vom Magistrate: Magistrats-Direktor Dr.Ferdinand Häuslmayr, als Schriftführer: Kanzleidirektor Karl Kapinus.
Der Bürgermeister eröffnet um 20 Uhr 15 die Sitzung, stellt die Beschlussfähigkeit fest und begrüsst die Erschienenen. Er entschuldigt sich für die plötzliche und überraschende Einladung nach § 6 Punkt 7 der Geschäftsordnung, allein die wirtschaftliche Notwendigkeit hat ihnt als Bürgermeister dieser Stadt die Pflicht hiezu auferlegt. Als entschuldigt gelten die Gemeinderatsmitglieder Schwitzer Erna, Schrangl Franz, Riedler Ludwig, Stadtrat Dressl August, Azwanger Anton, Huemer Alois, Knabl Ferdinand und Ecker Alois. Als Niederschriftsprüfer fungieren Stadtrat Karl Klement und Gemeinderat Franz Futterer. Es ist ein Dringlichkeitsantrag und eine dieselbe Angelegenheit betreffende Zuschrift des Gremiums der Kaufmannschaft in Steyr eingelangt, die über Auftrag des Bürgermeisters, der Schriftführer zur Verlesung bringt. Dringlichkeitsantrag. Zl. 1137/31 Zeitungsnachrichten zufolge scheint der Ausbau der Voralpenstrasse für das Jahr 1931 nicht mehr zu erfolgen. Die bisher mit den zuständigen Stellen geführten Verhandlungen haben bei allen interessierten Kreisen die zuversichtliche Hoffnung erweckt, dass der Bau der Voralpenstrasse noch im Jahre 1931 begonnen wird. Das augenblickliche Ergebnis ist daher für alle interessierten Kreise umso betrüblicher, als ja die Notwendigkeit und Dringlichkeit des Ausbaues dieser Strasse von allen Regierungsstellen immer wieder anerkannt worden ist. Das negative Ergebnis ist umso trauriger, als ja der Ausbau dieser Strasse auch als eine Notstandsarbeit in einem durch Arbeitslosigkeit am meisten betroffenen Gebiete unseres Staates gedacht war. Auf die ungeheure Bedeutung des Baues dieser Strasse vom Standpunkte des Wirtschafts- und Fremdenverkehres nicht nur für das in Betracht kommende Durchzugsgebiet, sondern für den ganzen Staat braucht wohl mit Rücksicht auf die ausführlichen Begründungen
aller Tagungen und Enquetten in dieser Angelegenheit nicht mehr im besonderen hingewiesen werden. Die Gefertigten stellen daher folgenden Dringlichkeitsantrag: Die Regierungen und die in Betracht kommenden Ressortministerien werden dringendst ersucht, Veranlassung zu treffen, dass mit dem Bau der Voralpenstrasse noch im Frühjahr dieses Jahres begonnen werde. Im Notstandsgebiete Steyr allein sind gegen 7000 Arbeitslose, deren Not auf das Höchste gestiegen ist. Die Dauerarbeitslosigkeit in Steyr und Umgebung wirkt natürlich geradezu verheerend auf Handel und Verkehr, sodass das Geschäftsleben in diesem Notstandsgebiete einen Tiefstand erreicht hat, wie er seit Menschengedenken nicht zu beobachten war. Der Gemeinderat als der Vertreter aller Stände und Klassen richtet daher nochmals in dieser ernsten Stunde an Bundes- und Landesregierung die dringende und höfliche Bitte, dieses Projekt, das im Interesse aller Stände und Klassen gelegen ist, endlich einmal zu beginnen. Der Herr Bürgermeister wird eingeladen, alle zuständigen Faktoren unverzüglich von diesem Antrage in Kenntnis zu setzen und alle Mittel zu ergreifen, sodass in letzter Stunde noch der Beginn der Arbeiten gesichert wird. Es ist die höchste Zeit, dass für das Notstandsgebiet Steyr und Umgebung wirklich einmal eine Tat gesetzt wird. Zum Schlusse sei noch ganz besonders betont, dass der Bau dieser Strasse das bisher vom grossen Verkehr fast abgeschlossene Wirtschaftsgebiet Steyr und Umgebung dem grossen Verkehr erschliessen wird, wodurch wirklich für dieses Gebiet eine dauernde Hilfe geschaffen würde.
Gremium der Kaufmannschaft Steyr. Steyr, am 21.Februar 1931. An den Gemeinderat der Stadt Steyr. Die gefertigten Genossenschaftsvorstehungen des Gremiums der Kaufmannschaft sowie der Handels- und Gewerbetreibenden von Steyr und Umgebung ersuchen den Gemeinderat der Stadt Steyr, die Bestrebung zum Ausbaue der Strasse Amstetten - Seitenstetten - Steyr - Bad Hall - Kremsmünster - Gmunden mit allem Nachdrucke und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln betreiben zu wollen. Der Handel in unserer Stadt liegt seit der leider allzulang dauernden Wirtschaftskrise fast völlig brach und wir sehen eine Rettung vor dem vollkommenen Zusammenbruche nur in einer Hilfe von aussen, die wir von dem Ausbaue des längst bestehenden Strassenzuges als Automobilstrasse in bundesstaatlicher Verwaltung erhoffen. Für den Bezirksverband der Für das Gremium der Gewerbegenossenschaften in Kaufmannschaft in Steyr. Steyr. Der Vorstand: Der Vorstand: Hans Wolfartsberger m.p. Hans Wolfartsberger m.p. Der Bürgermeister konstatiert, dass der Dringlichkeitsantrag die notwendige Anzahl Unterschriften besitzt und der Gemeinderat stimmt über Antrag des Bürgermeister-Stellv. Russmann der dringlichen Beratung einstimmig zu. Bürgermeister Sichlrader erteilt sodann dem Referenten Bürgermeister-Stellvertreter Russmann das Wort zum Referat. Dieser führt aus: Wir haben bisher alles Mögliche zur Unterstützung dieser Aktion getan, gestern noch tagten die Vertreter aller Stände und Parteien, die heutige Gemeinderatssitzung soll noch eine weitere
Unterstützung bedeuten. Seit dem Jahre 1924 beschäftigen wir uns mit diesem Projekt, Verhandlungen und Resolutionen sind zu wiederholtenmalen im Gemeinderate gewesen. Bürgermeister-Stellv. Russmann begründet sodann ausführlich die Notwendigkeit der Strasse, betont den Verlust des Hinterlandes und die Krise in den Steyr-Werken. Das Geschäftsleben ist durch die Not herabgedrückt, mit der Eisenbahn haben wir seinerzeit Schiffbruch erlitten und es ist seither nicht besser geworden. Allerdings besiegte das Auto die Eisenbahn im Personen- und Lastverkehr, insbesondere auf kürzeren Strecken. An ein Aufblühen der Industrie ist kaum mehr zu denken und so bleibt nur der Kampf um die Autostrasse. Wenn auf diesem Wege wieder die Stadt in den Weltverkehr einbezogen werden kann, kann ein Versäumnis aus alter Zeit wieder gut gemacht werden, zugleich wird für die zahlreichen Arbeitslosen Verdienst und Arbeit geschaffen. Die Strasse ist für das ganze Enns- und Steyrtal und im wei- teren Sinne für den Fremdenverkehr von ganz Oberösterreich von grösster Bedeutung. Wir haben ja von allen Seiten Versprechungen erhalten, wir wissen aber nicht, ob diese Versprechen eingelöst werden. Wir brauchen aber diese Verkehrsstrasse, Steyr muss geholfen werden, wir brauchen wie und wir verdienen sie, daher muss die Regierung ihre Pflicht erfüllen. (Beifall.) Stadtrat Schlossgangl gibt im Namen der christlichsozialen Fraktion die Zustimmung zu dem Dringlichkeitsantrag. Der Redner führt aus, dass es höchste Zeit sei, dass dem darniederliegenden Geschäftsverkehr in Steyr endlich einmal Hilfe gebracht wird. Eine Verbesserung der Wirtschaftslage sei durch den Bau der Voralpenstrasse mit Bestimmtheit zu erwarten. Durch den Bau würden ferner viele Arbeitslose Lohn und Verdienst bekommen. Von der Industrie könne sich Steyr in Zukunft keine besonderen
Hoffnungen mehr machen. Steyr müsse andere Möglichkeiten ins Auge fassen, die geeignet erscheinen, die Wirtschaftslage dieser Stadt einigermassen zu bessern. Redner appeliert an den Bürgermeister, alle Schritte zu unternehmen, um das so hochwichtige Projekt zu realisieren. Der Stadt müsse einmal mit einer Tat geholfen werden, denn sonst bestünde die Gefahr, dass die Handels- und Industriestadt Steyr zur einer Versorgungsstadt für Arme wird. Gemeinde Dr. Peyrer-Angermann ist mit den Ausführungen des Referenten einverstanden, er hat jedoch den Eindruck, dass Am Lande Oberösterreich verschiedene Faktoren nicht für dieses Projekt eintreten. Steyr wird eben, wie in vielen anderen Dingen seit Jahrzehnten vernachlässigt. Er bezeichnet die althistorischen Gebäude der Stadt als versteinertes Elend und verdammt sei der, der darinnen wohnen müsse. Wir missgönnen Linz nicht den Aufschwung, wir wollen aber nicht vergessen und überholt werden und die Stadt an den Bettelstab gebracht sehen. Er freut sich über das Zusammengehen aller Parteien und Stände bei dieser Aktion. Gemeinderat Futterer betont das hervorragende Interesse der Arbeitslosen in dieser Sache, er verwahrt sich energisch gegen jede Verzögerung dieser für Steyr wichtigen Aktion, die insbesonders mit der Drohung der Kürzung der Arbeitslosenunterstützung von grösster Bedeutung ist. G.R. Hamberger hebt die unbeschreibliche Not in dieser Stadt der Arbeitslosigkeit hervor und daher auch der Handel darniederliegt. Schon aus diesen Gründen sollte die Regierung alles daransetzen, dass die Strasse gebaut wird. Es sei erfreulich, sagt er am Schlusse, dass alle Parteien darin einig seien. G.R. Witzany berichtet über die Einbringung des Antrages im Nationalrate und über die Unterredungen mit Schober und anderen Ministern. Er verliest dann seine letzte Rede im Parlament an der Hand des stenographischen Protokolles.
Merkwürdiger Weise wurde der Antrag vom Nationalrat abgelehnt. Dagegen stimmten die Christlichsozialen und die Grossdeutschen und auch der Heimwehrabgeordnete Auinger, der an allen Vorberatungen teilgenommen und zugestimmt hat. Er streift sodann die Reserviertheit der Linzer und betont, Steyr sei ein wichtiger Posten. Er bittet über den Verlauf dieser Sitzung dem Bundeskanzler zu berichten. Bürgermeister-Stellvertreter Dr. Messenböck hebt hervor, dass die christlichsoziale Presse sehr viel für das Projekt gearbeitet habe, er bezeichnet den Kampf als einen Akt der Notwehr gegenüber dem übermächtigen Einfluss der Linzer Kreise. Es sei der letzte Versuch der ganzen Bevölkerung auf dauernde wirtschaftliche Rettung. Das Projekt der Voralpenstrasse sei schon bald 10 Jahre alt, in letzter Zeit sind zahllose neue Wünsche von Strassenbauten aufgetaucht. Die Regierung müsse sich aber fragen: Gibt es eine Stadt, die über grösseres Elend verfüge als die Stadt Steyr, die den traurigen Ruhm besitzt, den höchsten Prozentsatz an Arbeitslosen zu haben. Wir werden und müssen sorgen, dass die Strasse ausgebaut wird und daher begrüsse er den Dringlichkeitsantrag. Stadtrat Dr. Schneeweiss verweist auf den Niedergang der Industrie in Steyr und begrüsst daher die Umgruppierung der Bestrebungen auf die Hebung des Fremdenverkehres. Er betont dabei die Möglichkeit der Ausnützung der produktiven Arbeitslosenfürsorge beim Strassenbau. Er sagt dann, wenn Steyr im deutschen Reiche läge würden keine Mittel gescheut werden, Strassen und Bahnen zu schaffen. Er schliesst: Alle Parteien und Stände sind darin einig, und der Zweck dieser Sitzung sei, dass die Regierung eingreifen muss, da darf es keine Drosselung des Budgets geben. Der Referent konstatiert im Schlussworte erfreut die Einmütigkeit und bespricht noch die Gefahr der Abtrennung von Gerichtsbezirken, weil die Fahrt nach Steyr aus manchen Gebieten einer Weltreise gleichkomme. Wir sind keine Bettler, wir fordern unser Recht auf Leben!
Die Abstimmung erfolgt mit Erheben von den Sitzen, was einstimmig geschieht. Im Schlussworte des Vorsitzenden betont dieser, dass doch wieder ein Schritt nach vorwärts getan wurde und berichtet, dass nach Schluss der Gemeinderatssitzung ein Expressbericht an Bundeskanzler Dr. Ender, Vize-Kanzler Dr. Schober, an die Minister Dr. Juch, Dr. Resch, Heinl und Landeshauptmann Dr. Schlegel, sowie an die Nationalräte des Bezirkes ergehen wird. Er schliesst um 21 Uhr 40 die Sitzung. Der Vorsitzende: Die Ueberprüfer: Der Schriftführer:
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