Niederschrift über die Festsitzung des Gemeinderates der autonomen Stadt Steyr am 11. November 1928 anlässlich der 10. Wiederkehr des Gründungstages der Republik Oesterreich. Anwesende: Vorsitzender Bürgermeister Franz Sichlrader Bürgermeisterstellvertreter Julius Russmann. Die Stadträte: Marktschläger Rudolf Dedic Karl Dressl August Schlossgangl Leopold Klement Karl Schneeweiss Rudolf Dr. die Gemeinderäte: Arzt Josef Baumgartner Hans Fiala Karl Fridrich Leopold Huber Franz Hambrusch Peter Hamberger Josef Kirchberger Josef Chalupka Elise Knabl Ferdinand Knogler Richard Leitzinger Karl Voglsam Josef Patek Irene Peyrer Angermann Dr. Schrangl Franz Schwandtner Anton Schwitzer Erna Tribrunner Franz Weiguny Josef Witzany Hans. Vom Magistrate: Magistratsdirektor Dr. Ferdinand Häuslmayr. Als Schriftführer: Kanzleidirektor Karl Kapinus.
Als Festgäste waren erschienen: Hofrat Knill, O.L.G.R. Alois Steffelbauer Oberstlt.Tureck Ob.Reg.Rat Dr. Straznicky Prof. Blümelhuber Postamtsdirektor Sighart Amtsrat Saiber Direktor Rimmer Vertreter der Kirchengemeinden Vertreter der städt. Angestellten und Arbeiter. Beginn 11 Uhr vormittags. Der Bürgermeister Franz Sichlrader begrüsst die erschienenen Festgäste und die Mitglieder des Gemeinderates und verliest folgende Ansprache: Sehr geehrte Frauen und Herren ! Ich habe Sie heute zu einer Festsitzung des Gemeinderates anlässlich der 10. Wiederkehr des Gründungstages unserer Republik eingeladen. Ich gebe zunächst meiner aufrichtigsten Freude Ausdruck, dass sich alle Parteien, mögen sie auch sonst Weltanschauungsfragen trennen, zusammen gefunden haben, um jenes Tages zu gedenken, der nicht nur ein weltgeschichtliches Ereignis ist, sondern vor allem eine Geschichtsepoche abschliesst, die das werktätige Volk von der Mitwirkung an den Regierungsgeschäften vollständig ausgeschlossen hat. Das von dem schweren eisernen Staat der Vergangenheit bis zur Erschöpfung gedrückte Volk hat vor zehn Jahren die Gewalten der Vergangenheit abgeschüttelt, hat begonnen, die Rechte des Staates und seine eigenen Rechte zu untersuchen, hat sich mündig gemacht, weil es erkannt hat, dass sein Fleiß, seine Arbeit, sein Opfersinn die Grundlagen des Staates sind. Und das ist ja der tiefere Sinn der Novemberrevolution des Jahres 1918, dass unser Volk, das in dem Weltkrieg wahrhaftig Wunder an Heldenmut und Entbehrungen geleistet
hat, zur Eichsicht gekommen ist, dass es nicht die Interessen der Allgemeinheit förderte, sondern Interessen von Gewalten, die völlig dem Volke entfremdet, schon längst ihre angebl. Mission vollendet hatten. Die tiefe Sehnsucht nach dem Frieden, der, um ein Wort des grossen Kant zu gebrauchen, durch den Mechanismus in den menschlichen Neigungen begründet ist, war der letzte Anstoss zu dem leidenschaftlichen Rufe: "Die Waffen nieder!" dem auch die Tat folgen musste. Erlassen Sie mir eine Schilderung jener grauenhaften Zeit, in der man Knaben in den Tod hetzte, die fern von der Heimat sterben mussten. Der elementare Wille zum Frieden hat die Republik geschaffen, also gewiss ein edles Motiv. Und ein Werk, an dessen Wiege der Gedanke des Menschheitsfriedens stand, kann nicht schlecht sein. Lassen wir alle theoretischen und staatsphilosophischen Spekulationen, betrachten wir die Revolution 1918 von diesem Gesichtspunkte, so werden wir uns mit der Entwicklung der Nachkriegszeit befreunden müssen, welche Auffassung vom Staate und seinen Formen wir auch immer haben mögen. Es kann nicht geleugnet werden, dass der neue Staat schwere innere und äussere Krisen durchgemacht hat. Das ist aber auch kein Wunder, denn grosse politische und soziale Umwälzungen vollziehen sich nicht ohne Störungen. Aber eines ist sicher die Revolution vor zehn Jahren hat die im Volke schlummernden Kräfte frei gemacht, hat alle Volksgenossen zu gleichberechtigten Bürgern des Staates erhoben, hat die Privilegien der Vergangenheit beseitigt. Und deswegen feiern wir diesen Tag als einen Festtag des Volkes, das nunmehr die ihm von der Geschichte zugedachte Mission zu erfüllen haben wird: den Gedanken der wahren Demokratie, der Zusammenarbeit aller für alle, zum herrschenden Prinzip zu erheben und endgiltig aufzuräumen mit dem selbstsüchtigem Grundsatz der Vergangenheit alle für einen. Der Zusammenbruch vor zehn Jahren hat uns zwar den Frieden gebracht, hat uns die Demokratie errungen, das Diktat
der Siegerstaaten aber hat uns von unseren Stammesgenossen, von den Brüdern in der deutschen Republik, getrennt. Ich bin wohl Ihrer Zustimmung sicher, wenn ich in dieser feierlichen Stunde dem Wunsche Ausdruck verleihe, dass die Zeit bald kommen möge, wo die grosse deutsche Republik zur Wahrheit werde, die schon ein Traum der Revolutionäre des Jahres 1848 gewesen ist, jene grosse Republik, die alle Deutschen einschliesst, auch die, die durch das Friedensdiktat unter fremden Joche schmachten. Als Sozialdemokrat bin ich kein Nationalist im chauvenistischen Sinne, als Sozialdemokrat halte ich es mit Göthe, der über den Nationen stand. Aber weil ich zum internationalen Gedanken erzogen bin, wünsche ich aus Gründen der kulturellen Entwicklung den Zusammenschluss der Nationen, die einander bekämpfen mögen mit den Waffen des Geistes zur Erreichung der höchsten Kulturideale. Denn das ist der Sinn des Lebens, den schon Aristoteles erkannt hat: die Tat, die Arbeit und zum Preise der Arbeit gelangt ja auch Göthe in seinem Faust. Grosse geschichtliche Ereignisse pflegt man am besten festzuhalten, wenn man ihrer mit besonderen Werken gedenkt. Wie schön wäre es, wenn wir an diesem Tage den Grundstein für eine Schule oder für ein Versorgungshaus legen könnten! Aber in dieser Stadt der Armut und des Elendes sind gegenwärtig derartige Projekte unmöglich. Wir können daher den Tag, den ich als Tag des Friedens, als den Tag der Befreiung des Volkes aus unwürdiger Bevormundung bezeichnen möchte, nur gefühlsmässig feiern. Wir feiern ihn aber deswegen nicht weniger innig. Ich kann nur aus ganzem Herzen wünschen, dass auch in dieser Stadt einmal die Zeit kommt, wo wir wirklich kulturelle Aufbauarbeit leisten können. Wenn wir auch arm sind, wenn uns auch die Sorgen des Alltages drücken, den Idealismus, den Glauben an die
Zukunft kann man uns nicht rauben, den lassen wir uns nicht nehmen, weil wir auf die Zukunft hoffen, weil wir von dem Aufstieg der arbeitenden Menschheit überzeugt sind, denn die Arbeit sie bewegt denn doch die Welt. Und weil die Demokratie, die vor zehn Jahren entstanden ist, nach unserer Ansicht die Grundlage der Entwicklung der Menschheit ist, so klammern wir uns an sie und wollen sie ausbauen mit allen unseren Kräften. Ich fordere Sie demnach auf, mit mir einzustimmen in den Ruf : Unsere Republik, sie lebe hoch! Mit einem dreimaligen Hoch schliesst die Festversammlung. Die verehrten Frauen und Herren gestatten, dass diese meine Ausführungen dem Protokoll der heutigen Sitzung einverleibt werden. Der Vorsitzende: Der Schriftführer:
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