Niederschrift über die ausserordentliche Sitzung des Gemeinderates der autonomen Stadt Steyr am 2. April 1926. Tagesordnung. Trauerfeier für Bürgermeister Josef Wokral. Anwesende: Vorsitzender V.Bürgermeister Karl Dedic, die Vizebürgermeister: Dr. Hubert Messenböck und Direktor Julius Russmann, ferner die Gemeinderäte: Kranjak Marie Wolf Josef Lebeda Alois Baumgartner Johann Lind Eduard Voglsam Josef Lischka Hans Molterer Berta Dosch Else Fischer Karl Fiala Karl Furrer Ulrich Dr. Hafner Josef Radmoser Johann Hiessmayr Franz Scherak Franz Schlossgangl Leopold Urban Josef Schneeweiss Rudolf Dr. Januschka Emanuel Steinbrecher Leopold Kisely Berta Tribrunner Franz Klaffenböck Johann Witzany Hans Klement Karl Wolfartsberger Johann. Kletzmayr Hermann Vom Magistrate: Magistratsdirektor Dr. Ferdinand Häuslmayr. Als Schriftführer. Karl Kapinus.
Der Vorsitzende V.B. Dedic eröffnet die Sitzung. Entschuldigt sind: G.R. Saiber, Ecker und Meyer. Der Vorsitzende hält folgenden Nachruf: Sehr geehrter Herren und Frauen! Nicht zur Beratung versammelt sich heute der Gemeinderat der Stadt Steyr. Die heutige Versammlung ist der Trauer gewidmet, die wir alle hegen, sie ist gewidmet dem Andenken unseres Bürgermeisers Josef Wokral, der in sturmbewegten und schicksalsschweren Tagen die Leitung der Geschäfte dieser Stadt übernommen hat. Wir alle stehen erschüttert an der Bahre dieses schlichten und ehrlichen Mannes, der, ein wahrer und opfermütiger Freund seiner Klasse, es verstanden hat, sein Amt so zu verwalten, dass ihm auch die politischen Gegner rückhaltslose Anerkennung zollen. Der Verstorbene hat keine leichte Aufgabe übernommen. Er hat sich dieser Aufgabe mit dem Pflichtbewusstsein und der Beharrlichkeit gewidmet, die sein ganzes Leben auszeichnete. Nicht in letzter Linie ist seine unermüdliche Tätigkeit, die ihm keine Rast und Ruhe gönnte, die Ursache seines frühzeitigen Todes. Bürgermeister Wokral ist am 26. Jänner 1875 in Wien geboren. Seine Geburtsstätte war das Haus schlichter Proletarierleute. Nach einer entbehrungsreichen Jugend ergriff er den Beruf als Silberziseleur. Nach Ablauf seiner Lehrlingszeit stand er auch bereits im politischen Leben und wurde schon in jungen Jahren ein Vorkämpfer seiner Gewerkschaft und der Arbeiterbewegung. Schon in Wien war er bei den Reichsratswahlen in der alten Monarchie Zählkandi-
dat. Wegen seiner Tüchtigkeit entsandte ihn die Gewerkschaft der Metallarbeiter im Jahre 1908 auf den Posten eines Arbeitersekretärs nach Steyr. Seit dieser Zeit war Bürgermeister Wokral ohne Unterbrechung unser Mitbürger. Mit seiner Übersiedlung nach Steyr erwachte auch schon sein Interesse für die an Schicksalsveränderungen reichen Stadt. Rasch eroberte sich Bürgermeister Wokral die Freundschaft und das Vertrauen der Arbeiterschaft von Steyr, so dass er im Jahre 1911 bei der zweiten Wahl nach dem allgemeinen Wahlrecht zum Reichsrate als Kandidat der sozialdemokratischen Partei in Steyr aufgestellt wurde. Selbstverständlich entsandte ihn auch die Arbeiterschaft in den Steyrer Gemeinderat. Eine merkwürdige Schicksalsfügung hat es mit sich gebracht, dass er gerade mit heutigem Tage vor 15 Jahren zum erstenmale in diesem Saale als Gemeinderat erschien: am 2. April1911. Er war aber nicht nur Sekretär der Metallarbeiter, sondern auch Sekretär der Partei. Alle durch den Lebenskampf in den Hintergrund gedrängten, alle wirtschaftlich Schwachen, alle von der wirtschaftlichen Not gedrückten haben bei ihm Zuflucht gesucht und seinen Beistand in Rat und Tat zu allen Zeiten gefunden. Im Kriege war diesem trefflichen Manne, dessen Gesundheit stets eine ausserordentlich schwankende war, nicht erspart geblieben, zum Militärdienste einberufen zu werden. Dreimal während des fünfjährigen Krieges erhielt er die Einberufung, dreimal musste er aus dem gleichen Grunde wieder vom Militärdienste entlassen werden, weil jedem Militärarzte die erste Untersuchung die unwiderlegliche Bestätigung lieferte, dass Wokral wegen seiner angegriffenen Gesundheit den Strapazen des Kriegsdienstes auch nicht einmal im Hinterlandsdienste gewachsen sei. So verbrachte er fast seine ganze Militärdienstzeit während des Krieges in Spitälern und Rekonvaleszentenheimen. Man kann sich des
Eindruckes nicht erwehren, dass die alte Monarchie diesen Mann immer wieder zum Militärdienste einberief, weil ihm sein politisches Wirken, seine Fürsorge für die entrechteten Massen namentlich aber für die unter dem Kriegsdienstleistungsgesetz seufzenden Arbeiterschaft der Waffenfabrik ein Dorn imn Auge war. Wiederholte Lungenentzündungen, auch eine ärztliche Operation waren die betrübende Folge dieser ihm gegen alle Billigkeit aufgezwungenen militärischen Dienstleistung. Nichts aber hemmte seinen Schaffensdrang für seine Arbeitergenossen. In der schwersten Zeit der Arbeiterstreiks im Jahre 1917 und 1918 war er der an Klugheit alle übertreffende Berater der Waffenfabriksarbeiter. Als die sozialdemokratische Partei bei den Gemeinderatswahlen im Jahre 1919 die Verwaltung in dieser Stadt übernahm, kam daher niemand anderer aus den Reihen der Arbeiterschaft als Bürgermeister dieser Stadt in Betracht als unser gemeinsamer Freund Josef Wokral. Als Bürgermeister hatte er für die schwierigen Geschäfte dieser Stadt ein nie erlahmendes Interesse. Es gab keine grosse aber auch noch so kleine Angelegenheit, der er nicht in seinem angeborenen Pflichteifer seine volle Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Es gereicht uns deshalb an seinem Todestage zu unserer grossen Genugtuung, dass das vorbildliche Wirken dieses seinesgleichen suchenden Mannes nicht nur bei allen Parteigenossen uneingeschränkte Anerkennung findet, sondern auch die Achtung und Zustimmung aller Bevölkerungsschichten, ohne Ausnahme. Bürgermeister Wokral war auch tätig in zahlreichen Unternehmungen, in die er von der Gemeinde entsendet wurde. Von allen diesen Stellen, überall wird in gleicher Weise sein rühmenswerter Pflichteifer hervorgehoben und anerkannt. Im oberösterr. Landtage, dem er seit dem Jahre
1919 gleichfalls angehört, hat er die Interessen der Stadt Steyr hingebungsvoll, unermüdlich und häufig mit dem beabsichtigtem Erfolge vertreten. Wenn ich hier meinem verstorbenen Freunde namens des Gemeinderates den Nachruf halte, so darf ich wohl erwähnen, dass die wirtschaftliche, die finanzielle Lage dieser Stadt eine äusserst schwierige ist, dass es in Oesterreich wohl kaum eine autonome Stadt gibt, deren Verwaltung dem Bürgermeister und dem Gemeinderate so schwere Verantwortung und so harte Sorgen auferlegt, wie die der autonomen Stadt Steyr. Diese Sorgen, die unserem verehrten Bürgermeister ununterbrochen beschäftigt haben, sind es denn auch gewesen, die zum grössten Teile den letzten Rest seiner Gesundheit aufgezehrt haben. Wer ihn am Krankenbette besuchte und mit ihm sprach, musste ihn immer wieder beruhigen, denn er redete von nichts anderem als von aktuellen Gemeindeangelegenheiten, deren Lösung ihn nicht zur Ruhe kommen liess. Für Bürgermeister Wokral, der in den letzten Tagen schwer gelitten hat, ist der Tod eine Erlösung gewesen. Für uns aber ist sein Hingang ein unersetzlicher Verlust. Ich glaube daher die einmütige Zustimmung des Gemeinderates zu finden, wenn ich hier sage, das Andenken dieses edlen charaktervollen, durch seinen Pflichteifer unübertrefflichen Mannes, wird uns allen unvergesslich sein. Die verehrten Frauen und Herren gestatten, dass diese meine Ausführungen dem Protokolle der heutigen Sitzung einverleibt werden. Ich lade die verehrten Herrn und Frauen des Gemeinderatss ein, sich am 5. April 1926 um 3 Uhr nachmittags vollzählig an den vom Rathause seinen Ausgang nehmenden Leichenbegängnisse zu beteiligen. Zum Worte meldet sich noch G.R. Hafner zu folgender Danksagung:
Verehrte Herren und Frauen! Gestatten sie mir, dass ich im Namen des Gemeinderates dem Herrn Primarius Dr. Oser, der sich alle die letzten Tage mit unermüdlicher Menschenliebe unseres verehrten Bürgermeisters angenommen hat, obschon die Rettung dieses wertvollen Lebens leider nicht mehr im Bereiche der Möglichkeit lag den wärmsten Dank zum Ausdrucke zu bringen. Die Sitzung wird sodann geschlossen. Der Vorsitzende: Der Schriftführer:
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