Gemeinderatsprotokoll vom 11. Mai 1923

VII. Sitzung. Protokoll über die ordentliche Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr am 11.Mai 1923, 1/2 6 Uhr abends. Tagesordnung. 1.) Mitteilungen des Vorsitzenden I. und III. Sektion. 2.) Verpachtung eines städt. Grundes 3.) Anschaffung von Kesselkörper für das Krankenhaus 4.) Änderung der Geschäftsordnung 5.) Installationsarbeiten im St. Anna Spitale 6.) Vergebung des Stadtregulierungsplanes Die Sitzung der I. und III. Sektion findet gemeinsam am Dienstag, den 8.Mai 1923 um 1/2 6 Uhr abends im Sitzungszimmer II. Stock statt. Anwesende: Vorsitzender Bürgermeister Wokral, V.B. Dedic und Russmann. Die Gemeinderäte: Baumgartner, Buschberger, Fischer, Frühwald, Grömmer, Hitzlhammer, Klement, Kisely, Lebeda, Neuhold, Radmoser, Saiber, Ruckerbauer, Reisinger, Schreiner, Stallinger, Schwandtner, Steinbrecher, Tribrunner, Vogl, Witzany, Pfaff. Vom Magistrate: Magistratsdirektor Dr. Ferd. Häuslmayr. Als Schriftführer: Karl Kapinus. Bürgermeister Wokral eröffnet um 3/4 6 Uhr die Sitzung, begrüsst die erschienenen Gemeinderäte, konstatiert die Beschlussfähigkeit bzhw. die Anwesenheit von 2/3 der Gemeinderäte und teilt mit, dass die Herren Gemeinderäte Fischer und Frühwald als Protokollprüfer an die Reihe kommen. Vor Eingang in die Tagesordnung macht Bürgermeister Wokral die Mitteilung, dass nach einer eingelangten Zuschrift des Wahlleiters die Wahl in die

Personalvertretung folgendes Ergebnis hatte: Abgegebene Stimmen 159, davon entfielen 119 für Liste I und 49 für Liste II. Als gewählt erscheinen somit: Aus Liste I. Inspektor Neustifter, Schulwart Gammer, Verwalter Andel, Oberwachmann Girkinger, die Mag. Beamten Stepanek, Koller, Vorderwinkler. Aus Liste II. die Mag. Beamten Blüml, Eglseer, Dworschak. Wird zur Kenntnis genommen. Ferner bringt Bürgermeister Wokral zur Kenntnis, dass nach Beendigung der Volkszählungsarbeiten eine Anzahl u. zwar 7 Arbeitskräfte entbehrlich wurden, die mit 9. Mai 1923 zur Entlassung kamen. Wird zur Kenntnis genommen. Schliesslich verliest der Bürgermeister folgende öffentliche Anfrage: Die Sondernummer der Steyrer-Zeitung vom 11. Mai 1923 enthält eine Reihe von Beschuldigungen gemeinderätlicher Funktionäre. Ist dem Herrn Bgm. davon bekannt und was gedenkt er zu tun, um die angegriffenen Funktionäre vor diesen unqualifizierbaren und aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen zu schützen? Hiezu bemerkt Bgm. Wokral, dass in der Wahlausgabe der Steyrer-Zeitung in Form von Fragen Dinge behauptet werden, die geeignet sind, die Ehre von Gemeindefunktionären in den Kot zu ziehen. So wurde unter and. gefragt, ob es wahr sei, dass eine Tochter des Bürgermeisters und 2 Töchter des G.R. Lebeda bei der Gemeinde angestellt seien. Dies wird zugegeben doch tragen die Anstellungsdekrete die Unterschriften des vormaligen Bürgermeisters Gschaider, sind also schon von der früheren Gemeindevertretung angestellt worden. Eine weitere Anfrage wegen Holzzuweisung an G.R. Lebeda wird dahin beantwortet, dass das Holz tatsächlich bezahlt wurde.

Bezüglich der Frage wegen Anstellung des Bruders des G.R. Saiber muss konstatiert werden, dass G.R. Brand selbst es war, der darüber referierte und den Antrag auf Anstellung des August Saiber stellte. Mit der Anstellung des Tumpach hatte V.B. Russmann nichts zu tun, da dieser zu jener Zeit überhaupt noch nicht im Gemeinderate sass. Die Anfrage betreffend Dedic ist eine Verdächtigung der Bereicherung an öffentlichem Volksgute und ist eine bodenlose Verleumdung. Bezüglich der Angriffe wegen Wohnungszuweisung muss konstatiert werden, dass Mag. Dir. Dr. Häuslmayr 5 Monate auf eine Wohnung warten musste, der Sohn des G.R. Tribrunner hat überhaupt nur eine möbilierte Wohnung zugewiesen erhalten und Dr. Seegers Wohnungszuweisung war von vornherein ein Wohnungstausch. Die grobe Beschuldigung des G.R. Baumgartner ist leider wie die übrigen Fragen in eine Form gebracht, bei der es fraglich erscheint, ob der Schreiber des Pamphlets belangt werden könne. Bürgermeister Wokral bemerkt dazu im allgemeinen, wir fühlen uns völlig frei, haben niemanden eine Gunst zugewiesen und müssen derlei Pauschalverdächtigungen von dieser Stelle mit aller Energie zurückgewiesen werden. Eine Reihe von Fragen beschäftigte sich auch mit dem früheren Vicebürgermeister Mayrhofer. Bgm. Wokral bedauert, dass dieser leider nicht mehr hier ist, um auf die Verleumdungen selbst zu reagieren, er wolle jedoch festlegen, dass die Vertreter der Minorität im Stadtgute gesessen sind und auch im Gemeinderate der Bericht des Stadtgutkomitees einstimmig angenommen wurde. Da hat die Minorität den Mund nicht aufgetan und es bedeutet eine ungeheure Pflichtverletzung, dass sie weder im Stadtgutkomitee noch im Gemeinderate irgend etwas beanstandet haben. Jetzt aber werden als Wahlmanöver niederträchtige Anschuldigungen, Lügen und Verleumdungen gebraucht, für die kein Ausdruck zu finden sei, es soll aber dafür gesorgt werden, diese Anfragen tiefer zu hängen.

Bei einem telephonischen Gespräch das Bürgermeister Wokral nachmittags mit Prof. Brand geführt hat, erklärte Brand, dass auch ihm viele Dinge, die die Steyrer-Zeitung anführt, unbekannt waren und dass der Artikel nur deshalb erschien, um noch Gelegenheit zur Richtigstellung zu geben. Es ist das eine ausgemachte Heuchelei, da es unmöglich sei, innerhalb 24 Stunden alle Beschuldigungen zu widerlegen, er appeliert an den Gemeinderat, diese Anschuldigungen auf das energischeste zurückzuweisen und schliesst mit den Worten, dass die Steyrer Zeitung den Beweis erbracht habe, dass die seinerzeit gebrachte Bezeichnung „Strauchrittertaktik" richtig sei. G.R. Klement wünscht die Eröffnung der Debatte zu dieser Angelegenheit und G.R. Steinbrecher stellt einen diesbezüglichen Antrag, welcher angenommen wird. Bürgermeister Wokral nimmt noch Anlass in Bezug auf eine weitere Notiz der Steyrer-Zeitung zu erklären, dass die Vergebung der Uniformen für die Polizei ausgeschrieben wurde und die Vergebung im Interesse der Finanzen der Gemeinde an die billigst offerierende Firma erfolgte. G.R. Steinbrecher bespricht detailliert die einzelnen Anschuldigungen hinsichtlich des Stadtgutes, widerlegt jeden einzelnen Fall und betont, dass G.R. Prof. Brand nie bei den Sitzungen des Stadtgutkomitees irgend einen Einspruch erhoben hat und dass die G.R. Brand und Dr. Peyrer ausdrücklich beantragten, von einem detaillierten Bericht abzusehen. Er bezeichnet das Vorgehen als bodenlose Infamie und meint, dass V.B. Dedic jüngst viel zu höflich war, wenn er sagte, er glaube nicht recht der Versicherung der Mitarbeit. V.B. Russmann erklärt, dass er sich nie um den Herrn Tumpach angenommen habe, dass er ihn gar nicht gekannt habe und es sei eine Gemeinheit, ihn damit in Zusammenhang zu bringen. Er habe um vier Uhr nachm. von der Steyrer-Zeitung die Nachricht bekommen, dass der gesamte

Bericht des Wahlflugblattes aus dem Kreise der Gemeindeangestellten stammen. Wenn dem wirklich so ist und die Fragen der Steyrer-Zeitung eine Grundlage hätten, so liege ein Amtsmissbrauch vor und da entsteht die Frage, wer der grössere Schurke sei, derjenige, gegen den man den Vorwurf der „Freunderl Wirtschaft" erhebt oder derjenige, der die Beamten des Magistrates zu Amtsvergehen verleitet. G.R. Klement berichtet, dass bei einer Sitzung der Hauptwahlbehörde die Herren der Minorität einen ruhigen Wahlkampf wünschten und dass er sofort erklärte, dies hänge lediglich von ihnen ab. Nun gerade die Partei, die einen krassen Wahlkampf nicht haben wollte, bedient sich einer Methode, die mehr als krass zu nennen ist und Provokationen ohne Ende bedeuten. I. und III. Sektion. Punkt 2.) Verpachtung eines städt. Grundes. Zl. 10115. G.R. Tribrunner verliest den Amtsbericht und den Antrag der III. Sektion betreffend Pachtvertrag zwischen der Stadtgemeinde Steyr und Herrn Michael Binder, Grossholzhändler in Steyr. 1.) Die Stadtgemeinde Steyr verpachtet hiemit die ihr gehörige sogenannte Schlachthofwiese, d.i. Grundparzelle Kat. Gem. Steyr Nr. 5/2 im Ausmasse von 6 a 99 m2, Grundparzelle Kat. Gem. Steyr Nr. 6/2 im Ausmasse von 1 ha 73 a und 33 m2 beide E.Zl. 1013 samt Baulichkeiten, Rollbahngeleise und Holzablagerungsbehelfen ab 1.Mai 1923 an Herrn Michael Binder. 2.) Der jährliche Pachtzins beträgt 1250 Goldkronen und ist jeweils am 1. Jänner und 1. Juli im Nach-

hinein zu entrichten. Am 1. Juli 1923 sind für die bis dorthin abgelaufenen Monate Mai und Juni 206 Goldkronen fällig. Überdies wird der Stadtgemeinde die Befugnis eingeräumt, während der Vertragsdauer auf dem Pachtgrunde an einem der Kultur nicht abträglichen Orte Holzvorräte bis zum Höchstausmasse von 1500 m3 einzulagern, wobei dem Pächter die Rechte und Pflichten eines Verwahrers zukommen; Pächter hat auch bei allen vorkommenden An-und Ablieferungen von der Stadtgemeinde gehörigem Holze die erforderlichen Handlangerdienste vornehmen zu lassen und die Benützung der Holzrutschen zu gewähren. Der Pächter tritt auch auf die Dauer des Vertrages in alle Verpflichtungen ein, welche der Stadtgemeinde mit Urkunde vom 8. Dezember 1921 Zl.1/III/53a der Bundesbahndirektion aus Anlass der Errichtung der Holzrutschen übernommen hat. 3.) Afterpacht ist nicht gestattet. 4.) Als Goldkronenkurs wird die periodisch von der Filiale Linz der österr. Nationalbank für Oberösterreich verlautbarten Parität angesehen. 5.) Über den Vollzug der Übergabe des Pachtobjektes wird ein Inventar errichtet und ein Protokoll aufgenommen. 6.) Alle öffentlichen Abgaben und Lasten mit Ausnahme eventueller Hypothekarschulden trägt der Pächter. Ihm obliegt auch die Brandschadenversicherung der bauli¬ chen Objekte mit dem vollen Schätzwerte bei der o.ö. Landesbrandschadenversicherung, widrigenfalls der Pächter im vollen Ausmasse haftet. 7.) Gegenständliches Verhältnis ist durch halbjährige auf den 1. Jänner und 1.Juli erfolgte Kündigung beiderseits lösbar, unbeschadet der Vorschriften nach den §§ 1112, 1117 und 1118 d.b.G.B.

8.) Nach Beendigung des Vertrages ist das Bestandobjekt im dem Zustande, in welchen es übernommen worden ist, unter Bedachtnahme auf die Jahreszeit dem Inventar gemäss zurückzustellen. Für jede Abnützung, sei es durch Mutwillen oder infolge des normalen Gebrauches und für alle sonstigen Beschädigungen des Bestandobjektes, bezüglich deren ein Verschulden oder eine Nachlässigkeit des Pächters vorliegt, haftet dieser, desgleichen für alle zufälligen Elementarereignisse, welche durch die Art der Benützung des Pachtobjektes bedingt sind. Pächter hat inebesonders auf die Pflege des Obstgartens zu achten und den Bestand an Bäumen hinsichtlich Zahl und Qualität aufrecht zu erhalten, ferner den nicht als Holzplatz gewidmeten Teil der Schlachthofwiese landwirtschaftlich so zu bearbeiten, dass der zum Zeitpunkte des Vertragsabschlusses vorherrschende Kulturzustand dauernd gut bleibt. 9.) Alle aus der Errichtung dieses Vertrages erwachsenden Kosten trägt der Pächter. 10.) Ein Rechtsmittel wegen Verletzung über die Hälfte wird ausgeschlossen. Wird ohne Debatte angenommen. Bürgermeister Wokral konstatiert ausdrücklich, dass die Verpachtung nicht ausgeschrieben wurde und das Ansuchen von einem Mitgliede der Minorität gestellt würde. Zl. 11478 Punkt 3.) Anschaffung von Kesselkörpern für das Krankenhaus. Berichterstatter G.R. Vogl stellt namens der I. und III. Sektion den Antrag: Der Gemeinderat genehmige die Anschaffung von Kesselkörpern nach dem Bauamtsvorschlag. V. B. Russmann stellt den Zusatzantrag, dass das Präsidium für die Beschaffung der Mittel zu sorgen habe. Der

Antrag mit dem Zusatzantrag Russmann wird sodann angenommen. Bürgermeister Wokral bemerkt hiezu, dass auch diese Arbeit nicht ausgeschrieben wurde, weil sie der Kessellieferungsfirma übertragen wurde. Zl.11961. Punkt 4.) Änderung der Geschäftsordnung. G.R. Tribrunner als Referent berichtet, dass die §§ 21 und 50 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Stadt Steyr den in der letzten Sitzung vom Gemeinderate beschlossenen Änderungen widersprechen, sie widersprechen insbesonders den Bestimmungen des Finanzverfassungsgesetzes. Namens der I. Sektion stelle er daher folgenden Antrag: Der Gemeinderat beschliesse folgende Abänderung der bestehenden Geschäftsordnung: 1.) Der § 21 hat nunmehr zu lauten: „Die Bestimmungen des Gemeindestatutes über die Beschlussfähigkeit (§ 53) Beschlussfassung (§ 56) und die sonstigen Voraussetzungen einer giltigen Sitzung (§ 57 - 60) hat der Bürgermeister genau zu beachten. Giltige Beschlüsse werden mit Stimmenmehrheit der Anwesenden gefasst, sofern nicht nach dem Gemeindestatute oder rechtsgiltigen anderweitigen Bestimmungen eine grössere Zahl von Stimmen erforderlich ist." 2.) Abschnitt XXII, § 50, ist zur Gänze zu streichen. Diese Änderung tritt sofort in Wirksamkeit. Bürgermeister Wokral konstatiert, dass 25 Gemeinderäte anwesend sind und wird der Antrag bei der Abstimmung angenommen. Zl. 11011. Punkt 5.) Installationsarbeiten im St. AnnaSpitale. G.R. Vogl bringt den Amtsbericht zur Kenntnis und stellt namens der I. und III. Sektion den Antrag: Der Gemeinderat erteile dem Beschlusse des GemeinderatsPräsidiums nachträglich die Genehmigung. Wird ohne Debatte angenommen.

Zl. 1428 B.A. Punkt 6.) Vergebung des Stadtregulierungsplanes. V.B. Russmann bespricht die projektierte Vergebung und dass auch schon früher der Gedanke eines Regulierungsplanes den Gemeinderat beschäftigte. Nun liegt ein günstiges Anbot des Architekten Koppelhuber vor, der ein Kind der Stadt und mit den Stadtverhältnissen völlig vertraut ist, auch auf die Erhaltung der historischen Denkmäler und Gebäude Bedacht zu nehmen in der Lage ist. Ein Regulierungsplan ist für den Ausbau einer Stadt eine unbedingte Notwendigkeit. Die vereinigte I. und III. Sektion beantragen daher: Der Gemeinderat genehmige auf Grund des vorliegenden Offertes der Architekten Koppelhuber und Prof. Karl Hoffmann die Übertragung der Ausarbeitung eines Stadtregulierungsplanes an die genannten Herren und bewilligt die hiefür erforderlichen Mittel im Ausmasse von 150,000.000 K. Das Gemeinderatspräsidium wird ermächtigt, für die Beistellung der erforderlichen Mittel vorzusorgen. Nachdem noch Bürgermeister Wokral die besondere Wichtigkeit betont und G.R. Lebeda den Antrag zur Annahme empfiehlt, gelangt der Sektionsantrag zur Abstimmung. Einstimmig angenommen. Am Schlusse der Sitzung dankt Bürgermeister Wokral allen Gemeinderäten ohne Unterschied der Partei, die in den 4 Jahren mitgewirkt haben für ihre Tätigkeit, insbesondere jenen, die eine Wiederwahl abgelehnt haben. Dem kommenden Gemeinderate möge es gegönnt sein, mit gleichem Erfolge zum Wohl der schönen Industriestadt zu wirken, fruchtbringende und nützliche Arbeit zu leisten und so wie bisher im Interesse der Gesamtheit zu arbeiten und ruft: „ Auf zu neuer fruchtbringender Arbeit!" G.R. Witzany dankt dem Präsidium, insbesondere dem Bürgermeister und den Vicebürgermeistern, auch

dem Vicebürgermeister Nothaft sowie dem früheren Vicebürgermeister Mayrhofer. Nach einem Schlussworte des Bürgermeisters in der er auf die Unterstützung der Gemeinderäte verweisst, schliesst der Bürgermeister die Sitzung um 7 Uhr abends. Der Vorsitzende: Wokral m.p. Die Beglaubiger: Der Schriftführer: Frühwald Kapinus m.p. Fischer m.p.

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