Gemeinderatsprotokoll vom 16. Juni 1922

gefährden; alle öffentlichen Faktoren müssen zusammenwirken, ehemöglichst neue Wohngelegenheiten zu schaffen. Das Ergebnis dieser Besprechung ist die in Abschrift zu¬ liegende Zuschrift des Bundesministeriums für soziale Ver¬ waltung. Ein Betrag von einer Million Kronen ist heutzutage geradezu lächerlich, denn damit kann soviel wie gar nichts aus¬ gerichtet werden; und dieser Betrag wird noch davon bedingt, daß die Gemeinde einen gleich großen Betrag bewilligt; man sollte meinen, daß die Herren im Bundesministerium für soziale Verwaltung doch schon wissen, wie große Oofer die Stadtge¬ meinde Steyr zur Linderung der Wohnungsnot bereits ge¬ bracht hat. Die Gemeinde kann sich mit diesem Erlasse wohl nicht zufriedenstellen, sondern muß unbedingt verlangen, daß die bereits angesprochenen Beträge zum Ausbau des Offiziersstöckels in der ehemaligen Jägerkaserne, ferner der Aufbau von zwei Stockwerken auf ein Objekt in der Artilleriekaserne, der Neubau von zwei Wohnhäusern auf der hohen Ennsleite, sowie von vier weiteren Neubauten auf den ehemaligen Seppbauerngründen im Gesamtbetrage von 660 Millionen Kronen bewilligt werden, denn durch Neubauten kann die Wohnungsnot, die gerade in Steyr am krassesten ist, behoben werden. Es wird daher der Antrag auf Fassung folgenden Be¬ schlusses gestellt. „Der Gemeinderat der Stadt Steyr ist nicht in der Lage, die Zuschrift des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 8. Juni 1922, Zl. 5393, zur Kenntnis zu nehmen, mit welcher zur Linderung der Wohnungsnot in Steyr und ins¬ besonders zur Behebung der ärgsten Mängel in den Baracken wohnungen ein Bundesbeitrag von einer Million Kronen unter der Bedingung der Bewilligung eines gleichhohen Betrages durch die Stadtgemeinde Steyr bewilligt wird; nicht allein deshalb, weil die Gemeinde Steyr schon weit höhere Beträge zur Behebung der Wohnungsnot gewidmet hat und etwa nicht gesonnen wäre, auch weiterhin für diesen Zweck die möglichsten Opfer zu bringen, sondern deshalb, weil dieser Betrag bei der heutigen Geldentwertung soviel wie gar nichts ist und mit diesem Betrage fast nichts angefangen werden kann. Die Be¬ willigung eines solchen Betrages kann nur als ein Zeichen dafür erblickt werden, daß im Bundesministerium für soziale Verwaltung für das Wohnungselend in Steyr nicht das richtige Verständnis zu herrschen scheint, obwohl mündlich und schriftlich schon zu wiederholten Malen diese Verhältnisse dargelegt wurden; fast in keiner anderen Gemeinde herrscht eine derartige Woh¬ nungsnot und Verhältnisse, welche raschestens saniert werden müssen, wie hier; zur teilweisen Linderung dieser Wohnungsnot ist rasch-stens durchzuführen der Ausbau des Offiziersstöckels in der ehemaligen Jägerkaserne, ferner der Aufbau von zwei Stock¬ werken auf ein Objekt in der Artilleriekaserne, der Neubau von zwei Wohnhäusern auf der hohen Ennsleite, sowie von vier weiteren Neubauten auf den ehemaligen Seppbauerngründen; daher beschließt der Gemeinderat der Stadt Steyr, daß für diesen Zweck ein Betrag von 90 Prozent der nachzuweisenden Bau¬ kosten zur Verfügung gestellt wird. Weiters beschließt der Gemeinderat die Entsendung einer aus Vertreter aller drei politischen Parteien, bestehenden Ab¬ ordnung um unter Intervention der Nationalräte der Stadt Steyr beim Bundesministerium für soziale Verwaltung in Wien und den politischen Klubs entsprechend aufzuklären um sofortige und ausgiebige Abhilfe durchzusetzen. Professor Brand m. p. für die 1. Sektion. Zum Antrage selbst führt Herr Gemeinderat Professor Brand aus. Es ist zwar alles was das Wohnungselend und die not¬ wendige Abhilfe betrifft, bereits vielfach ausgesprochen und in wiederholten Eingaben an das Bundesministerium für soziale Verwaltung niedergelegt worden. Es ist also auch allen kompe¬ tenten Behörden die Lage in Stadt Steyr bekannt, und im Landtage bereits ein diesbezüglicher Dringlichkeitsantrag be¬ handelt worden, in welchem die tristen Wohnungsverhältnisse von Linz und Steyr eingehendst besprochen wurden. Die Sache muß nun ein bißchen energischer angepackt werden, damit in allernächster Zeit an die Errichtung von Wohnhäusern geschritten werden kann. Es sei wie immer, es ist dringlich und unbedingt notwendig, daß seitens des Bundes und des Landes alles auf¬ geboten werde, um in Steyr entsprechende Wohnungen her zustellen. Herr Vizebürgermeister Mayrhofer bemerkt hiezu, daß die Bemerkung des Herrn Referenten, es sei die Sache nun¬ mehr energischer anzupacken, nicht falsch aufzufassen sei; es sei darauf verwiesen, daß seitens der Gemeinde schon im Herbste vorigen Jahres die Angelegenheit energisch betrieben wurde Es hat auch eine aus 36 Personen zusammengesetzte Kommission von kompetenten Faktoren stattgefunden, deren Teilnehmer er¬ stannt waren, daß es überhaupt denkbar sei, in solchen Baracken zu wohnen. Wenn in Bälde nichts geschieht, wird es zu einer surchtbaren Katastrophe kommen. Der nächste Schneefall wird die Baracken eindrücken und hunderte von Personen unter sich begraben Es wurde sogar in der vorigen Woche eine Wöchnerin durch Umfallen einer Wand verletzt; es muß daher an alle die¬ jenigen Faktoren der lauteste Ruf ergehen, die uns die Mittel zur Abhilfe vorschießen müssen. Die Gemeinde hat sich durch ihr Bestreben, möglichst viele Wohnungen zu bauen, in Schulden gestürzt, aber mit der einen Million, die uns das Bundes¬ ministerium geben will, können wir nicht einmal ein Kabinett errichten. Ich meine, der vorliegende Dringlichkeitsantrag muß laut und vernehmlich den kompetenten Faktoren unterbreitet und das Wohnungselend in seiner ganzen Furchtbarkeit darge¬ stellt werden. Herr GR. Baumgartner bemerkt, daß sich bei näherer Betrachtung die Zuschrift des Bundesministeriums als ein reiner Willkürakt ansieht. Am 30. Mai l. I hat eine Enquete getagt und wurden die Teilnehmer an derselben überall herum¬ geführt. Die Herren-sind zur Einsicht gelangt, daß man solche Zustände in ganz Oesterreich nicht findet. Es ist auch eine Deputation in diesem Saale erschienen und hat energisch Ab¬ hilfe verlangt. Trotzdem hat man bisher nichts von einer ent¬ sprechenden Abhilfe gehört, es sei denn diese Zuschrift. Es be¬ deutet dies wieder eine Labschwänzigkeit der Regierung, welche die Sache sabotiert. Dieser Dringlichkeitsantrag soll nun der letzte Schritt sein; wir können nicht mehr länger warten und auch die Folgen von Verzögerungen nicht auf uns nehmen. Die Leute drohen, daß sie alle Schulen und öffentlichen Gebäude besetzen; dadurch würden nur noch mehr Menschen Not leiden, weil unsere Kinder keine Schule besuchen könnten. Es ist zu begrüßen, wenn auch die anderen Parteien hiefür empfinden und begrüße ich den Dringlichkeitsantrag; es solle aber eine Deputation mit demselben zur Regierung entsendet werden, welche in der aller¬ dringlichsten Form Abhilfe verlangt. Herr GR. Frühwald macht aufmerksam, daß, wenn der Protest und der Dringlichkeitsantrag ungehört verhallen soll, man mit der Verweigerung der Steuern vorgehen werde. Herr GR. Neuhold erklärt, daß genau so notwendig, wie die Schaffung von Wohnungen auch die Vergrößerung und auch der Bau der Versorgungshäuser notwendig sei. Es mußten nämlich viele alte Leute aus den Privatwohnungen in die Ver¬ sorgungshäuser genommen werden, so daß durch die Ueber¬ füllung derselben unhaltbare Zustände eingetreten sind. Herr GR. Prof Brand bemerkt, daß er nicht meinte, die Stadtgemeinde habe nichts unternommen; man sei vom Gegenteile allgemein überzeugt, daß das Möglichste geschehen ist. Ich wollte damit sagen, daß man schon im Juni stehe und durch eine weitere Verzögerung im Herbste die notwendigen Wohnungen nicht fertig werden könnten. Was die Bemerkung des Herrn GR. Frühwald wegen der Verweigerung der Steuern betrifft, kann ich mich für meine Person damit nicht einver¬ standen erklären; über eine solche Drohung müßte in einer späteren Sitzung beraten werden; erst wenn unsere Schritte erfolglos wären, ließe sich darüber reden. Herr Vorsitzender erklärt, daß Herr GR. Frühwald auch nicht meinte, es solle sofort mit der Steuerverweigerung vor¬ gegangen werden Vor allem wird notwendig sein, eine Depu¬ tation zusammenzustellen, welche beim Bundesministerium vor¬ zusprechen hat. Der Antrag wäre daher in diesem Sinne zu ergänzen. Herr Referent GR. Prof Brand erklärt, gegen die Er¬ gänzung im gedachten Sinne nichts einzuwenden. Der Dringlichkeitsantrag samt Ergänzung wird hierauf vom Gemeinderate einstimmig angenommen. Der Gemeinderat tritt sodann in die Behandlung der Tagesordnung ein. Die Punkte 1 und 2 sind vertraulich und werden nach Erledigung des öffentlichen Teiles behandelt. 3. Zuschrift der Sparkasse Steyr betreffend Zustimmung der Garantiegemeinden zur Erweiterung des Sparkassageschäfts¬ betriebes. Referent Herr GR. Reisinger. Die Sparkasse Steyr hat beschlossen, den § 29 der Statuten zu ändern, um eine Reform des Sparkassenswesens zu ermög¬ lichen, welche zur Sicherung der Existenz derselben notwendig erscheint. Die Aenderung betrifft die Berechtigung des kom¬ missionsweisen Kaufes und Verkaufes von ausländischen Valuten und Devisen, wozu die Garantiegemeinden die Haftung über¬ nehmen sollen. Die erste Sektion stellt hiezu nach Beratung den Antrag: „Der Gemeinderat beschließe, dem Begehren der Sparkasse zuzu¬ stimmen". Angenommen. Z. 12684, 4. Rekurs gegen die Verweigerung der Benützung von öffentlichem Grund zur Aufstellung eines Verkaufsstandes. Referent Herr GR Reisinger. Franz Miglbauer hat gegen den abweislichen Bescheid des Magistrates vom 21. März l. J. wegen Verweigerung eines Standplatzes den Rekurs ergriffen. Die erste Sektion stellt nach Prüfung der Sachlage den Antrag: Der Gemeinderat beschließe, den Rekurs aus den in der Entscheidung vom 21. März 1922, Z. 3769, angeführten Gründen abzuweisen. Angenommen. Z. 12.202.,

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