„Der Herr Interpellant erhebt im Namen der christlich¬ sozialen Fraktion des Gemeinderates Einsprache gegen eine Ver¬ fügung des Bürgermeisters, welche dahin geht, daß die Kosten für die Aufstellung, Schmückung und Abräumung eines trans¬ portablen Altares zur Fronleichnamsprozession nicht mehr von der Stadtgemeinde getragen werden, sondern dem römisch¬ katholischen Stadtpfarramt, welches den Altar zur genannten kirchlichen Feier benötigt, in Rechnung zu stellen und stellt das Ersuchen a) Die Interpellation in öffentlicher Gemeinderatssitzung voll¬ inhaltlich zu verlesen (das ist bereits geschehen in der Ge¬ meinderatssitzung am 27. Juli 1921); b) den bereits an das Pfarramt ergangenen Zahlungsauf¬ trag pro 1921 zurückzuziehen (in der Gemeinderatssitzung vom 27. Juli habe ich bereits erklärt, daß ich die Ein¬ hebung des vorgeschriebenen Betrages vorläufig stunden werde) e) die Beschlußfassung in dieser weittragenden Angelegenheit entweder für die nächste Gemeinderatssitzung oder spätestens für die Präliminarberatungen pro 1922 auf die Tages ordnung zu setzen Ich halte es nicht für zweckmäßig, diese Angelegenheit als besonderen Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinde¬ ratssitzung zu stellen, da es bei Beratung des Voranschlages selbstverständlich jedem Mitglied des Gemeinderates freisteht zu jeder Präliminarpost zu sprechen und zu jedem Kapitel be¬ liebig Anträge zu stellen, mithin reichlich Gelegenheit geboten ist, die Verfügung des Bürgermeisters zu besprechen, Anträg zu stellen und Beschlüsse zu fassen. Ich kann jedoch nicht umhin, einiges zu der von dem Herrn Interpellanten vorgebrachten Begründung seiner Anfrage zu sagen. Nach Gesetz und Statut ist der Bürgermeister das ver waltende und vollziehende Organ. Er hat also wohl auch das Recht, zu verfügen, daß die Gemeinde für geleistete Arbeit, zu welcher sie gesetzlich nicht verpflichtet ist, Zahlung erhalte. Was die Behauptung anbelangt, daß es eine durch Jahr hunderte hindurch ausgeübte kulturelle Tradition sei, daß die Gemeinde die Kosten für die Veranstaltung einer konfessionellen Feierlichkeit getragen hat, und zwar widerspruchslos, so dürfte das auf einem geschichtlichen Irrtum beruhen. Der Streit, ob die Gemeinde die Kosten für die Fronleich¬ namsprozession zu tragen hat, ist schon sehr alt, Dokumente über eine solche Verpflichtung sind nicht vorhanden und werden vergeblich gesucht werden, da schon im Jahre 1602 der damalige Landeshauptmann den Befehl erteilte, in der Registratur über die Stiftung der Fronleichnamsprozession nachsuchen zu lassen Ein solcher Akt wurde weder damals gefunden, noch ist ei heute nicht zu finden. Dagegen konnten in unserem Archive einige ganz interessante Akte festgestellt werden, die bezeugen, daß der Steyrer Bevölkerung die Fronleichnamsprozession mit Gewalt sozusagen mit „Acht und Bann“ aufgezwungen wurde So finden wir vom Jahre 1601 ein Strafedikt wegen Spren¬ gung der Garstner Prozession, vom Jahre 1602 die Erklärung der Täter in „Acht und Bann“, vom Jahre 1604 die Auf¬ forderung an die Zünfte zur Teilnahme an der Fronleichnams¬ prozession, im Jahre 1605 den Befehl des Abtes von Garsten betreffend Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Im Jahre 1606 einen Befehl des Landeshauptmannes betreffend Leilnahme an der Fronleichnamsprozession; vom Jahre 1609 Vorkehrungen zur Verhinderung von Ruhestörungen bei der Fronleichnamsprozession usw. Daraus ist also zu ersehen, daß man die Bevölkerung von Steyr förmlich mit Feuer und Schwert gewaltsam „katholisch“ machte. Seither mögen die Gemeindevertietungen mehr oder weniger „freiwillig“ sich der Gewalt gefügt haben. Nun ist aber endlich wieder eine Zeit gekommmen, wo nicht mehr die Gewalt einer streitbaren Kirche, sondern der Rechtsgrundsatz voller Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften gilt. Wenn trotz alledem die Herren Interpellanten hinzuweisen belieben, es sei trotzdem die Tragung der Kosten für die Fron¬ leichnamsfeier eine durch Jahrhunderte geübte kulturelle Tra¬ dition, so muß nach den vorher kurz angedeuteten historischen Tatsachen gesagt werden, daß dies mit „Kultur“ weit weniger als mit „Rücksichtslosigkeit" zu tun hat. War es e ne Tradition (ein alter Brauch), so ist es eine veraltete, die in die Zeit der Gleichberechtigung aller Staatsbürger und Konfessionen nicht hineinpaßt und mit welcher daher, wie mit vielen anderen alten Bräuchen, gebrochen werden muß. Es ist nicht einzusehen warum oder mit welchem Recht die Gemeinde für die Veran¬ staltung einer konfessionellen Feierlichkeit Kosten trage. Ich bin überzeugt, daß nicht nur die Mehrheit des Gemeinderates, sondern auch die Mehrheit der gesamten rechtlich denkenden Bevölkerung von Steyr mit mir auf dem Standpunkt voller konfessioneller Gleichberechtigung steht und jede einseitige Be¬ günstigung einer Religionsgenossenschaft aus den Mitteln der Gesamtheit ablehnt. katholischen Kirchengemeinschaft derartige, durchaus nicht beab¬Linz bestellten Angestellten in den Dienst der Gemeinde zu Wenn die Herren Interpellanten den völlig rechtlich ein¬ wandfreien Standpunkt religiöser Gleichberechtigung und Neu¬ tralität als „überaus bittere Kränkung" ihrer religiösen Ge fühle bezeichnen, so könnten sich die Angehörigen der römisch¬ sichtigte Berührungen ihrer Gefühle leicht dadurch ersparen, wenn sie endlich einen gerechten und loyalen Standpunkt ein¬ nehmen und gleich den anderen Religionsgenossenschaften die Mittel für ihre religiösen Veranstaltungen und Bedürfnisse aus eigenem aufbringen wollten und nicht immer von den Behörden verlangen würden, aus Steuergeldern, die von allen Staats¬ oder Gemeindebürgern, ob Christ oder Jude usw. gleichmäßig eingehoben werden, ihre einseitigen konfessionellen Bedürfnisse zu bezahlen. Nach einem alten Gesetz sind die Religionsgenossenschaften verpflichtet, ihre Pfarrgemeinden zu bilden Mit Ausnahme der römisch-katholischen haben alle Reli¬ gionsgenossenschaften die Pfarrgemeinden bereits vor vielen Jahren, vor weit mehr als Menschenalter konstituiert und be¬ streiten sich ihre Bedürfnisse aus den Kultusbeiträgen der Gläu¬ bigen. Nach dem gleichen Gesetze sollen bis zur Konstituierung der Pfarrgemeinden die Ortsgemeinden an deren Stelle treten und haben zur Bestreitung der aus dem Bedürfnis der Kirche und Glaubensgemeinschaft notwendigen Auslagen das Recht, eigene Umlagen einzuheben Um der geehrten christlichsozialen Gemeindefraktion und der gesamten römisch-katholischen Bevölkerung zu beweisen, daß es. mir ferne liegt, durch die Vertretung des Standpunktes voller konfessioneller Gleichberechtigung und Neutralität, sie etwa an der Abhaltung eines kirchlichen Festes zu hindern, da durch den Umstand, daß ihre Pfarrgemeinde noch nicht kon¬ stituiert ist, das Pfarramt keine Mittel hat, so erkläre ich mich bereit, in einer der nächsten Gemeinderatssitzungen einen An¬ trag auf Einhebung einer Kultussteuer für die Angehörigen der römisch=katholischen Kirchengemeinschaft in Steyr dem Ge¬ meinderat zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Ich glaube Grund zur Annahme zu haben, daß auch die römischen Katholiken soviel religiöse Ueberzeugung und Opfer¬ mut aufbringen, wie die Angehörigen der anderen Konfessionen in Steyr und mit Freude den für ihre Kirche notwendigen Kultusbeitrag leisten werden Der Bürgermeister: Wokral. Der Herr Vorsitzende ersucht, diese Interpellationsbeant¬ wortung zur Kenntnis zu nehmen und erklärt, daß nur dann eine Debatte über die Interpellationsbeantwortung zulässig wäre, wenn der Gemeinderat den Beschluß faßt, über die Interpellationsbeantwortung eine Debatte abzuführen. Herr Vizebürgermeister Nothhaft erklärt, daß man gelegentlich der Präliminarberatungen auf diesen Gegenstand zurückkommen könne und daher heute eine Debatte hierüber vermeiden könne. Wird vom Gemeinderate zur Kenntnis genommen. Hierauf gibt der Herr Vorsitzende bekannt, daß von der ersten Sektion ein Dringlichkeitsantrag vorliegt und erteilt dem Referenten Herrn GR. Tribrunner das Wort. Herr GR Tribrunner berichtet, daß der Magistrat Steyr seit dem Vorjahre mit dem Bundesministerium wegen Uebernahme des Arbeitslosenamtes in Verbindung mit dem Arbeitsvermittlungsamte in die Verwaltung der Stadtgemeinde in Unterhandlungen steht Nun ist die Sache soweit gediehen, daß die Uebernahme gelingen könnte, wenn der Gemeinderat Steyr einen sofortigen Beschluß fassen würde und ergeht daher an den Gemeinderat vorher das Ersuchen, der Angelegenheit die Dringlichkeit zuzuerkennen. Der Gemeinderat stimmt der dringlichen Behandlung zu Zum Antrage selbst führt Herr GR. Tribrunner aus: Es liegt folgender Bericht des Herrn Bürgermeisters Wokral vor: Nach einer Verordnung des Ministeriums für soziale Verwaltung ist der Staat bereit, von den Kosten der Arbeits¬ losenversicherung und Arbeitsvermittlung fünfneuntel zu tragen. Der Magistrat hat infolgedessen beim Bundesministerium um die Anweisung von 50.000 Kronen für das Jahr 1920 und um Anweisung des Fünfneuntelbeitrages für 1921 angesucht. Wie hierauf durch die Industrielle Bezirkskommission in Linz mitgeteilt wurde, ist hiezu eine besondere Vereinbarung mit dem Staate notwendig Nach Rücksprache des Bürgermeisters mit dem Referenten im Bundesministerium für soziale Verwaltung wurde folgendes vereinbart: Die Gemeinde Steyr übernimmt die bisher von der „In¬ dustriellen Bezirkskommission" in Linz besoldeten Beamten für die Agenden der Arbeitslosenversicherung in den Dienst der Gemeinde. Dem gegenüber verpflichtet sich das Bundesministerium für soziale Verwaltung fünfneuntel der gesamten Kosten des Arbeitslosen= und Vermittlungsamtes zu tragen. Der Gefertigte schlägt daher dem löblichen Gemeinderate folgenden Antrag zur Beschlußfassung vor: „Der Gemeinderat erklärt sich bereit, die im Arbeitslosen¬ amte Steyr durch die Industrielle Bezirkskommission in katholischen Kirchengemeinschaft derartige, durchaus nicht beab¬Linz bestellten Angestellten in den Dienst der Gemeinde zu
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