Gemeinderatsprotokoll vom 29. Dezember 1920

10 Herr Vizebürgermeister Nothhaft: Zum Bedeckungsantrage möchte ich bezüglich des Antrages auf eine Einhebung einer 500 prozentigen Gemeindeumlage auch hier meine Bedenken äußern, wie ich sie in der Präliminarkommission dargelegt habe. Unser Präliminare schließt wie ersichtlich mit einem Abgang von rund 17 Millionen Kronen. Diesbezüglich steht wohl Steyr nicht vereinzelt da; jedoch dürfte Steyr die einzige Stadt sein, welche sich durch den unglücklichen Vertrag mit der Waffenfabrik in einer kolossalen Zwangslage befindet, weil Steyr die Umlagen für die Waffenfabrik nicht differenziert vorschreiben darf. Die Präliminarkommission sah sich durch diese Zwangslage genötigt, zur teilweisen Deckung des Abganges ein 500 prozentige Umlage sämtliche Steuerkategorien in Vorschlag zu bringen, auf darunter also auch für die Erwerb= und Hauszinssteuer. Dies trifft selbstverständlich die kleinen Gewerbetreibenden und Haus¬ besitzer besonders hart, weil sie nicht mit jenen Geschäftsumsätzen rechnen können, wie eine Großindustrie. Der Gewerbetreibende wird sich nur durch entsprechende Aufschläge vor dieser Steuer¬ ast helfen können, was aber in der Stadt eine neue Teuerungs¬ welle nach sich ziehen wird. Vollkommen undurchführbar erscheint mir aber eine 50 prozentige Umlage auf die Hauszinssteuer; hiedurch werden manche Gewerbetreibende zweimal getroffen und außerdem die ganze Bewohnerschaft in Mitleidenschaft gezogen Die Hauseigentümer werden dann von den Hauszinseinnahmen nicht einmal mehr ein Prozent herausschlagen können und dabei werden die Mietzinse auf das Doppelte hinaufgehen müssen. Dies wird sich durch eine allgemeine Teuerung vie gesagt — geltend machen und wird Steyr vielleicht dann die einzige Stadt sein, in welcher besonders hohe Preise für Lebensmittel oder die sonstigen Bedarfsartikel bestehen werden. Der Vertrag mit der Waffenfabrik ist seinerzeit unter einer Zwangslage entstanden, er ist daher unmoralisch und auch für Steyr mit seiner Bedeutung als Industriestadt nicht zu er¬ tragen, weil er die Sanierung der Gemeindefinanzen zu ver¬ eiteln geeignet ist. Die Aufhebung des Vertrages wäre auf weierlei Wege möglich: Erstens durch eine Klage, oder zweitens durch gütliche Vereinbarung. Den Weg der Klage ist nicht zu empfehlen, weil man den Ausgang eines solchen Prozesses nie vorhersagen und der betreffende Wortlaut des Vertrages so lückenlos ist, daß kaum Aussicht besteht, durchzudringen. Daß der Vertrag unmoralisch ist, sind wir uns wohl klar; anderseits wissen wir aber auch noch nicht, ob nicht eine gütliche Verein¬ barung von Erfolg begleitet sein könnte Durch eine Klage könnten wir in Disharmonien mit der Waffenfabrik kommen, die uns den zweiten Weg der gütlichen Vereinbarung von vorn¬ herein versperren. Die Waffenfabrik könnte unter Hinweis au das h#utige Präliminare wohl zur Einsicht kommen, daß wir auf eine Differenzierung nicht mehr verzichten können und eine beharrliche Weigerung der Waffenfabrik zu einer Katastrophe ür Steyr führen würde. Auf der neuen Grundlage des Präli¬ minares ist eben noch nicht verhandelt worden. Es solle also loch einmal der Versuch gemacht werden, mit der Waffenfabrik zu verhandeln; die Vertreter der Gemeinde hätten dann ihre Pflicht erfüllt und wären der Offentlichkeit gegenüber geschützt. Die Waffenfabrik hat einmal eingewendet, daß durch Aufhebung des bestrehenden Vertrages alle Steuern auf sie abgewälz werden könnten, dafür könnte wohl die Neufassung des Ver¬ trages Rücksicht nehmen, um unbilligen Verlangen vorzubeugen Ich bite, meine Ausführungen noch einmal in Erwägung zu iehen und stelle daher den Antrag: „Der löbliche Gemeindera beschließe, es sei das Präsidium zu beauftragen, nochmals au Grundlage des jetzt veröffentlichen Präliminares pro 1921, velches auch für die Hauszinssteuer eine geradezu fast unein¬ bringliche Gemeindeumlage von 500 Prozent erfordern würde, mit dn Vertretern der Waffenfabrik in neue Ver hand ungen zu reten, welche es vielleicht im gütlichen Einvernehmen doch noch vermögen, eine entsprechende Differenzierung in den verschiede en Steuerkategorien zu ermöglichen und dadurch die gesamte Bevölkerung Steyrs von einer ihr hiedurch bevorstehenden nanzielle Katastrophe zu bewahren. Herr GR. Dr. Peyrer führt aus: Herr Vizebürger¬ meister Nothhaft hat den Antrag auf eine 500 prozentige Um¬ lage als einen Akt der Verzweiflung hingestellt; ich glaube aber uch, daß Steyr die einzige Stadt in Oesterreich ist, welche eine 500prozentige Gemeindeumlage auf die Hauszinssteuer vorsieht; eine solche Umlage ist aber auch komplett undurchführbar, denn mit einem 500 prozentigen Aufschlag zuzüglich der Landesumlag und der staatlichen Steuer ist es gänzlich ausgeschlossen, die Reparaturen leisten zu können, von einer Verzinsung der Hypo thek gar nicht zu reden; außerdem ist nach dem Antrage noch ie Mietzinsauflage zu leisten. Das sind Dinge, die auf keiner Fall mehr angehen. Es widerspricht auch der Steuergerechtigkeit, weil die 500 prozentige Umlage auch kleine Gewerbetreibende trifft, von welchen viele viel weniger verdienen als ein Waffen abriksarbeiter, die von dieser Umlage befreit bleiben. Ein einziger Ausweg besteht nur in der Differenzierung, wie sie in Linz gemacht wurde; es darf aber nicht der Weg der Ver¬ weiflung und der Verlegenheit begangen werden, welcher zum Ruine vieler Schichten der Bevölkerung führt, weil ein gedeih iches Wirtschaften ausgeschlossen bleibt. Diesen Weg hätte das Präsidium nicht betreten dürfen. Wir sehen alle ein, daß die eutigen Zeiten durch die Preisveränderungen auch andere Steuergrundlagen geschaffen werden und wir mit anderen Zifferr rechnen müssen. In diesem Sinne habe ich auch im Vorjahre on dieser Stelle aus gesprochen. Das „Tagblatt“ hat mir jedock demagogische Plattheit vorgeworfen, welche leicht mit anderen Vorwürfen zu erwidern sind. Es wurden Millionen verpufft, ür die die erwerbende Bevölkerung heute 500 Prozent Umlagen ahlen soll Es würde eine Reihe von Fällen geben, wie uns ie Majorität behandelt hat, und die Majorität die Minorität kalt gestellt hat. Ich finde in meiner praktischen Tätigkeit diverse Akten, die unbedingt in die Rechtssektion gehört hätten, aber nie in derselben behandelt wurden. Früher hieß es, es bestehl eine Paschawirtschaft, ich muß entschieden dagegen Verwahrung einlegen und darauf erwiedern, daß gerade heute der Gemeinde¬ rat nicht entsprechend zur Mitarbeit herangezogen wird. Das Präsidium arbeitet nach besten Wissen und Gewissen, es bemüht sich sicherlich, aber es arbeitet zu selbstherrlich, überläßt vieles en Beamten und der Gemeinderat wird zu einer Klasse von Ja= und Amensagern herabgedrückt. Schließlich wird dann noc jesagt, ihr habt dafür gestimmt. In den nichtigsten Belangen werden im Gemeinderate ganze Debatten abgeführt, weil nie¬ mand im Gemeinderat als höchstens das Präsidium informiert st. Es tut einem weh, wenn eine öffentliche Körperschaft au in solches Niveau kommt. Es ist aber die ganze Führung des Präsidiums, was uns so hereingebracht hat, wo wir sind. Es besteht immer ein gewisses Mißtrauen gegen die bürgerlicher Elemente, man schaltet sie aus, obwohl man unserer Minorität as Zeugnis ausstellen darf, daß sie den besten Willen jederzeit kundgibt, obwohl sie den Vorlagen als desinformiert gegenüber¬ ehen muß. Meine Anregungen, die ich schon im Vorjahre gab nd wieder eingeschlafen; auch die Bedeckungsvorschläge sin icht in der Sektion zur Sprache gekommen, wie es sich gehört. Es war seinerzeit die Sprache, daß der Vertrag mit der Waffen¬ fabrik revidiert werde; es mag ja etwas geschehen sein, aber im roßen und ganzen wissen wir nichts. Es bestehen heute noch keine ständigen Referenten; die Sektionssitzungen schauen aus, aß sich Gott erbarm'. In letzter Minute werden umfangreiche lktenstücke vorgelegt, niemand kennt sich aus, nur die Herren om Präsidium sind halbwegs informiert, dem bestimmten Referenten bleibt keine Zeit zum Studium und nun kommt die Vorlage mit ungenügendem Bericht zum Plenum. Ich will keineswegs vom Parteistandpunkt aus sprechen, sondern nur von den Mangel eines objektiven Verfahrens und den Mangel eines erständnisses für unsere Lebensnotwendigkeiten, die wir leiden Gottes keine Arbeiter sind. Ich spreche nicht für die Interessen der Großindustrie, diese weiß sich ohnedies stets gut zu helfen. Bei einigem Nachdenken müssen Sie sich aber selbst sagen, daß diese 500 prozentige Umlage, wozu noch die Kriegszuschläge kommen ollen, ein Rechenexempel sind, dessen Durchführung einfach un¬ denkbar ist. err Vizebürgermeister Mayrhofer übernimmt den Vorsi err GR. und NR. Witzany: Herr GR. Dr. Peyrer hat angeführt, daß das Gemeinderatspräsidium selbstherrlich arbeitet nun bin ich mir vollkommen bewußt, daß manchmal das Präsi dium rasch handeln muß und es beim besten Willen nicht imme nöglich ist, alle Mitglieder des Gemeinderates mitarbeiten zu lassen. Daß hiebei die betreffende Angelegenheit vielleicht etwas üchtiger behandelt wird, bringt naturgemäß die Kürze der Entscheidungsmöglichkeit mit sich. Ich mache aber insb sonders arauf aufmerksam, daß das Budget für 1921 doch zur Einsicht 14 Tage lang aufgelegen ist und sich Niemand während der Einspruchsfrist dagegen gewendet hat. Herr GR. Dr. Peyren hält uns wohl die Antragstellung auf 500 Prozent vor, sagt uns aber mit keinem Worte, auf welche sonstige Weise die Be deckung gefunden werden soll, weil er es eben selbst nicht weiß, und auch die Gemeinde weiß es selbst nicht mehr, wo sie das Geld zu ihren laufenden Erfordernissen hernehmen soll. Wenn Herr GR. Dr. Peyrer behauptet, daß Steyr die einzige Stadt ist, welche so hohe Umlagen aufzuweisen hätte, so ist dies gleich falls ein Irrtum, denn es gibt Gemeinden, die bis 1000 Prozent Umlagen einheben. Mit der Steuerleistung werden aber nicht nur die Besitzer und Gewerbetreibenden belastet, sondern haupt¬ ächlich die breite Masse, auf welche diese Abgaben abgewälzt verden Die natürlichen Verhältnisse zwingen uns jedoch hiezu, asch Mittel herbeizuschaffen Der Gebahrungsabgang von 11 Millionen Kronen ist nicht gar so hoch, weil dafür auch Aktivwerte geschaffen worden sind, deren etwaiger Verkauf ein länzendes Geschäft für die Stadt bedeuten würde. Herr R Dr. Peyrer hätte seither Gelegenheit genug gehabt, sich ber die Maßnahmen des Gemeinderats=Präsidium auszusprechen, ja er wäre sogar hiezu verpflichtet gewesen. Hinterher mit einer derartigen Kritik zu kommen, ist tatsächlich eine Plattheit, wei ur imm'r in nebelhaften Umrissen gesprochen wird. Wir ommen der Minorität gewiß stets entgegen und hat dieselbe auch in allen miteingearbeitet. Wir greifen auch manchmal etwas auf, manches gefällt uns wieder nicht; hat man aber gute Vor¬ hläge, so soll man sie zeitgerecht preisgeben Herr GR. Doktor eyrer bringt uns aber auch heute nichts und sagt uns mit einem Worte, wie man das Defizit sonst decken könnte. Sie önnten ganz Deutschösterreich retten und der berühmteste Mann verden, wenn Sie irgend sagen können, wie uns allen zu helfen st. Wenn Herr Vizebürgermeister Nothhaft und Sie immer die Gewerbetreibenden anführen, so muß darauf erwidert werden, daß sich jeder Stand nach der Decke strecken wird müssen. Bis¬ her ist auch kein Gewerbetreibender trotz der schwierigen Ver¬ hältnisse, die wir gewiß nicht verkennen, zugrunde gegangen daß die Ve hältnisse jeden überaus wehe tun, ist selbstverständ lich, aber auch jeder Arbeiterfamilie geht es so und gerade diese

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