Gemeinderatsprotokoll vom 25. Mai 1919

2 Herr G.=R. Franz Nothhaft: „Sehr geehrter Gemeinderat! Im Sinne des § 41 des Gemeinde statutes für die Stadt Steyr fällt mir die ehrenvolle Aufgabe zu, bis zur Wahl des Bürgermeisters in der konstituierenden Versammlung des Gemeinderates den Vorsitz zu führen. Indem ich alle erschienenen Damen und Herren auf das herzlichste begrüße, konstatiere ich die Anwesenheit sämtlicher Herren und Frauen Ge¬ meinderäte, erkläre die Beschlußfähigkeit des Gemeinde¬ rates und gehe zur Tagesordnung über. Wahl von zwei Verifikatoren des 1. Sitzungsprotokolls. Ich ersuche um diesbezügliche Vorschläge Herr G.=R Mayrhofer: „Ich erlaube mir, zu Protokollsverifikatoren die Herren Gemeinderäte Franz Aigner und Johann Baumgartner vorzuschlagen da es bisher Gepflogenheit war, die Wahl der Ve¬ rifikatoren nach der alphabetischen Ordnung vorzu¬ nehmen. Herr Vorsitzender: „Wenn gegen den Vor¬ chlag kein Einwand erhoben wird, erkläre ich den Vor¬ chlag als angenommen. Angenommen 2. Leistung der Angelobung der Gemeinde¬ räte nach § 9 der Geschäftsordnung Herr Vorsitzender: „Die Angelobung wird einer gepflogenen Vereinbarung gemäß durch den neu ewählten Herrn Bürgermeister vorgenommen werden, o daß dieser Punkt zu entfallen hat. 3. Wahl von zwei Stimmenzählern. Herr Vorsitzender: „Zu diesem Punkte bitte ich um Vorschläge. Herr G.=R. Mayrhofer: „Als Stimmen¬ erlaube ich mir die Herren Gemeinderäte Karl zähler und Josef Eisterlehner vorzuschlagen. Fischer Herr Vorsitzender: „Wenn kein Widerspruch rfolgt, nehme ich den Vorschlag als angenommen an. Angenommen. 4. Wahl des Bürgermeisters. „Namens unserer Herr G.=R. Witzany: Fraktion schlagen wir unseren bisherigen bestbewährten Herrn Bürgermeister Wokral vor.“ Die Stimmenzähler Herren G.=R. Fischer und Eisterlehner sammeln die Stimmzettel ein und Herr G.=R. Fischer verkündet als Wahlresultat, daß von den abgegebenen 35 Stimmzetteln sämtliche auf Herrn Josef Wokral als Bürgermeister lauten Allgemeiner Beifall.) Herr Vorsitzender: „Ich beehre mich hiemit, das Ergebnis der Wahl bekannt zu geben: Von den 36 abgegebenen Stimmen entfielen 35 auf den bis¬ herigen provisorischen Bürgermeister Herrn Josef Wokral, welcher somit zum definitiven Bürgermeister der l. f. Stadt Steyr gewählt erscheint. Ich erlaube mir, den neugewählten Herrn Bürger¬ meister sowohl im eigenen, als im Namen der gesamten Gemeindevertretung auf das achtungsvollste zu begrüßen und ihm zu dieser ehrenden einstimmig erfolgten Wahl die besten Glückwünsche auszusprechen Sehr geehrter Herr Bürgermeister: In sturm¬ bewegter Zeit nehmen Sie diese nicht geringe Last auf Ihre Schultern. Eine drückende Gewitterschwüle in olitischer und wirtschaftlicher Hinsicht lastet noch immer über Deutschösterreich. Aber auch über die finanziell Zukunft unserer deutschen Stadt Steyr selbst schwebt noch ein fast undurchsichtiger Nebelschleier. Eine Ihrer vorzüglichsten Aufgaben wird es sein, die täglich fast prunghaft sich mehrenden Anforderungen an den Ge¬ meindehaushalt mit der möglichen Steuerkraft der Um¬ lagenzahler im Gleichgewichte zu erhalten Möge es Ihnen vergönnt sein, das Steuerruder unseres städtischen Schiffes, auf dessen Kurs heute Tausende von Augen gerichtet sind, mit starker Hand zu ühren. Der eifrigen Mitarbeit sämtlicher Gemeinderäte glaube ich Sie im vorhinein versichern zu können Nunmehr bitte ich Sie, Ihres Amtes zu walten und den weiteren Vorsitz der heutigen konstituierenden Sitzung zu übernehmen.“ (Beifall.) Herr Bürgermeister Wokral übernimmt den Vorsitz. Herr Bürgermeister Wokral: „Sehr geehrte Frauen und Herren! Bevor ich mir ein weiteres Wort rlaube, halte ich es für meine Pflicht, als erster das Gelöbnis abzulegen, dem deutschösterreichischen Staate inbedingt die Treue zu halten, den deutschen Charakter er Stadt Steyr zu wahren, sowie den Bestimmungen es jeweiligen Gemeindestatutes der Stadt Steyr und der Geschäftsordnung der Gemeinderates stets nach¬ zukommen; ich möchte dieses Gelöbnis mit dem Worte „Ich gelobe!“ leisten Meine sehr geehrten Frauen und Herren! Für die mir zu Teil gewordene Ehrung der einstimmigen Wahl zum Bürgermeister spreche ich Ihnen meinen Dank aus. Sie haben mich durch Ihre Wahl zu einem Amte berufen, das sicherlich kein leichtes ist und wo ich nicht weiß, ob ich wohl im Standensein werde, bei neinen schwachen Kräften dieses Amt voll und ganz ausüben zu können. Dennoch will ich versprechen, das Beste zu tun, was in meinen Kräften steht. Gleichzeitig erlaube ich mir einige kurze Bemerkungen daran zu knüpfen Zum erstenmale ist es in diesem Staate, daß Männer und Frauen als freie Bürger und Bürgerinnen ur Wahl für die Gemeindevertretung geschritten sind, aß die alten Privilegien gefallen sind und die Be¬ ölkerung als freie Staatsbürger ihre freie Meinung um Ausdrucke gebracht haben. In der Erfüllung dieser neuen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wurde durch die Bevölkerung bei der letzten Neuwahl des Ge¬ neinderates entschieden, daß der sozialdemokratischen Partei n ihrer Mehrheit die Geschäfte des Gemeinderates der Stadt Steyr anzuvertrauen und diese nach dem sozial¬ demokratischen Kommunalprogramme zu führen sind. In einer sehr unruhigen Zeit, in einer Zeit der Gährung und Umwälzung sind wir berufen worden, das Schiff der Stadt Steyr zu übernehmen und es zu führen. Es ist dies gewiß keine leichte Aufgabe; wir sind uns der Verantwortung vollauf bewußt. Obwohl die ver¬ lossene Gemeindemajorität dank dem Umstande, daß durch den Geschäftsgang in der Kriegsindustrie die Ein¬ nahmen der Stadt reichlich geflossen und daher Mittel zur Verfügung gestanden sind, so wurde leider von den großen Aufgaben, die einem Gemeinwesen wie der Stadt Steyr obliegen, leider nichts erfüllt. Nun ist die Zeit der guten Konjunktur der Kriegsindustrien, der uten Einnahmen für die Gemeinde so ziemlich vor¬ über. Die nächste Zukunft bedeutet für uns erhöhte Ausgaben und bedeutend verringerte Einnahmen. Es vird daher unsere erste und wichtigste Aufgabe sein, Maßnahmen zu treffen, damit der Gemeindehaushalt im Gleichgewichte erhalten werden kann. Es wird auch unsere Aufgabe sein, alles daran zu setzen, damit wir uns womöglich von dem alten System der Aufbringung der Mittel befreien können, von einem Zustande, der uns nur gestattet, Zuschläge zu den Steuern einheben zu können, so daß wir auf die Steuerfestsetzung selbst einen Einfluß haben und die Höhe der Einnahmen nich on uns abhängig sind; dadurch würde es auch in der Zukunft unmöglich sein, die Einnahmen und Ausgaben in Einklang bringen zu können. In der Zukunft wirk es anders werden müssen, wenn unser Gemeinwesen blühen und gedeihen soll; die Beseitigung dieses alten Systems wird auch eine wichtige Aufgabe der neuen Gemeindevertretung sein. Durch die staatliche Umwälzung dem großen emokratischen Zuge der Zeit folgend, werden der Ge¬

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