Ratsprotokoll vom 27. Dezember 1918

ohne Rücksicht darauf, daß einzelne Gruppen der Gemeinde ihre Interessen etwa verletzt fühlen. Unsere Auffassung als Sozial demokraten geht dahin, daß wir auf jeden Fall und auch dann wenn sich einzelne durch die Tätigkeit des Gemeinderates irgend¬ wie verletzt fühlen, nur das Gesamtwohl in allen diesen Fragen im Auge behalten müssen. Ich habe dies deshalb gestreift, weil ielfach unter den einzelnen Gewerbetreibenden die Auffassung vorhanden ist, daß, wenn die Gemeindevertretung hiezu Stellung nimmt, in erster Linie nur der Schutz des Gewerbes in Betracht kommen soll. Wir sagen aber, wenn allgemeine Interessen in Betracht kommen, können wir nicht immer Rücksicht auf kleine Interessentengruppen nehmen. Ich möchte weiters darauf verweisen, daß die Lösung der Beleuchtungsfrage, des Baues eines Schlachthauses, eines agerhauses, Fragen sind, die allerdings schon lange besprochen worden sind, aber leider durch eine Reihe von Umständen nicht recht vom Fleck kommen konnten und betone ich auch hier, daß bei diesen Durchführungen immer wieder das allgemeine Wohl und nicht die Interessen einzelner Personen maßgebend ein dürfen. Wir haben während des Krieges gesehen, welche ungeheure Bedeutung solche Einrichtungen für uns gehabt hätten und müssen trachten, so bald als möglich zu diesen Einrichtunger zu kommen. Wir Sozialdemokraten sagen, daß wir uns nicht damit begnügen dürfen, nur den Wunsch nach solchen Ein¬ richtungen auszusprechen, sondern daß wir zum Wohle der Allgemeinheit noch vieles werden wirklich durchführen müssen, wenn auch die Kosten hiefür nicht immer aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden können, sondern eventuell auch noch Mittel hiezu aufgenommen werden müssen. Die Ein¬ richtungen werden geschaffen werden müssen, weil sie zur Entwicklung der Stadt unumgänglich notwendig sind. Ich habe dies deshalb zum Ausdrucke gebracht, weil wir uns klar sein müssen, daß unsere Beratungen zu einem Beschlusse mit dem Gesichtspunkte führen müssen, daß wir uns nicht selbst den Weg für die Zukunft verrammeln, sondern trachten, alles bisher Versäumte für die Allgemeinheit durchzuführen. zur Straßenpflege möchte ich kurz bemerken, daß die Art, wie unsere Straßen gepflegt werden, auf die Dauer nicht haltbar ist. Unsere Straßenpflege bildet vielfach einen Teil unserer Armenversorgung; die verwendeten Leute sind meist Armen¬ äusler, infolgedessen gar nicht arbeitsfähig. Es wird unbedingt notwendig sein, die Straßenpflege auf einen ganz anderen Grundsatz aufzubauen. Es geht nicht an, daß man Gemeinde arbeiten als einen Teil der Armenpflege auffaßt. Der Gemeinde verursacht diese Art der Straßenpflege kolossale Auslagen, ohne daß die Armen irgendwie befriedigt werden könnten. Es muß daher unbedingt eine ständige arbeitskräftige Gruppe von Ge¬ meindearbeitern geschaffen werden, die die Gemeinde jederzeit ur Verfügung hat, damit man sich endlich von dieser heute be¬ ehenden Art der Armenpflege durch Verwendung von Gemeinde¬ armen zu Straßenarbeiten losmacht Eine weitere Frage ist die des Pensionsfondes der Gemeinde angestellten. Wir finden im Voranschlage für die Post 2 b „Ruhe= und Versorgungsgenüsse“ auch für das Jahr 1919 den Betrag von 70.000 K, eine Auslage, die alljährlich wiederkehrt und von Jahr zu Jahr steigt; diese sollte eigentlich nicht aus den laufenden Einnahmen bestritten werden, sondern es sollte ein Fond geschaffen werden, aus dessen Zinsen diese Ruhe= und Versorgungsgenüsse gedeckt werden, damit endlich dieser jährliche hohe, das Budget belastende Betrag aus dem Voranschlage erauskommt Eine weitere sehr wichtige Frage ist die der Aufbringung der Mittel der Gemeinde. Bisher ist die Gemeinde in ihren Steuervorschreibungen an die Vorschreibung der staatlichen Er¬ verbsteuer und der direkten Steuer gebunden. Die Folge davon ist, daß eine ständige Aenderung und Schwankung der Einnahmen der Gemeinde eintritt, die mit den Bedürfnissen der Stadt in Widerspruch steht und auf welche sie keinen Einfluß hat. Wir ind der Auffassung, daß es für die Zukunft notwendig wird, ür die Gemeinde eigene Steuern zu schaffen, damit wir von der Umlagenwirtschaft möglichst unabhängig sind und unseren Haushalt so einrichten können, wie wir ihn eigentlich brauchen. Wir haben während des Krieges gesehen, daß durch den Krieg eine Reihe von Gemeinden ganz bedeutend in Mitleidenschaft gezogen worden sind, weil die Industrie in manchen Gemeinden vollständig darniederlag. Die Staatssteuern sanken dementsprechend und damit auch die Einnahmen dieser Gemeinden. Nun sind wir am Ende des Krieges und werden die Folgen desselber auch in Steyr, wo die Waffenindustrie während des Krieges ihre höchste Stufe erreichte, durch den Niedergang dieser Industric zu spüren bekommen, da die Staatssteuern bedeutend sinken und damit auch die Umlageneinnahmen der Gemeinde einen bedenk¬ lichen Tiefstand erreichen werden. Aus dieser Ursache ist es auch ür Steyr notwendig, daß die Gemeinde eigene Gemeindesteuern einführt. Wenngleich natürlich diese eigene Gemeindesteuer heut noch nicht vom Gemeinderate beschlossen werden kann, so ist es doch wichtig, daß sich der Gemeinderat heute schon grundsätzlich damit vertraut macht und in diesem Sinne auf die maßgebenden Körperschaften in der Regierung einwirkt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich weiters darauf ver¬ wveisen, daß die rechtzeitige Vorlage der Gemeinderechnung noch mmer ein besonderes Schmerzenskind ist; wir haben heute noch immer nicht den Rechenschaftsbericht des Jahres 1917, sondern rst vor kurzem die Rechenschaftsberichte der Jahre 1915 und 916 erhalten. Es ist aber etwas wesentlich anderes, wenn ich 3 neben dem Voranschlage des kommenden Jahres den Jahres¬ bedarf des Vorjahres ausgewiesen erhalte, da aus den bloßen ziffern des Erfolges nichts entnommen werden kann. Es können in dem Erfolge des Jahres 1917 eine ganze Reihe von Ueber hreitungen enthalten sein, Ueberschreitungen, die vielleicht gar licht notwendig waren; es ist gewiß auch manches unterblieben was durchzuführen wichtig wäre. Ich würde sehr großen Wert darauf legen, daß endlich unsere Forderung, daß künftig ge¬ egentlich der Beratung des Voranschlages schon der Rechenschafts¬ bericht des Vorjahres vorliegt, erfüllt wird. Ich zweifle nicht daß in der Buchhaltung fleißig gearbeitet wird; wenn die gegenwärtigen Kräfte der Stadtbuchhaltung aber die Arbeit nicht bewältigen können, so müssen eben Hilfskräfte angestellt werden; das sind natürlich Dinge, die intern zu besprechen sind. Weiters habe ich eine Sache zu besprechen, zu der ich aber vorausschicke, daß die Angelegenheit nicht persönlich gemeint ist. die Stellung des Bürgermeisters ist nach unserem Gemeinde¬ tatut eine ganz eigenartige. Der Bürgermeister steht über alles r wird mit der ungeheuerlichsten Verantwortung beladen, wir inden überall der Bürgermeister, der Bürgermeister und überall er Bürgermeister; dieser soll alles in einer Person und ein Mann sein, der als Verwaltungsorgan alles allein erledigen und von dem alles verlangt werden kann Durch die Autonomie der Stadt erwachsen ihm die Agenden ines Bezirkshauptmannes, also eine so bedeutende Belastung, die die Frage aufwirft, ob es nicht möglich wäre, irgend eine Form zu schaffen, die zum Ausdruck bringt, daß der Herr Bürgermeister zwar der Leiter aller Gemeindegeschäfte ist, aber eine Funktion nicht mit einer Form ausgestattet wird, die eher einem Kommandanten als einem Leiter derselben gleichkommt. Ich möchte auch über den Voranschlag etwas bemerken. Nach der Bestimmung des Gemeindestatutes hat der Bürgermeister den Voranschlag zu unterbreiten. Es würde vielleicht dem ürgermeister eine Last abgenommen und wäre es auch für die Zusammenstellung des ganzen Voranschlages praktisch, wenn der Herr Bürgermeister den Voranschlag nicht allein vorzulegen ätte, sondern wenn die Sektionsobmänner und des Gemeinde¬ ratspräsidiums den Voranschlag durchberaten würden und der¬ lbe dann erst dem Gemeinderate vorgelegt wird. Dadurch würde ein einheitlicher, auf die Parteien Rücksicht nehmender Guß des Voranschlages entstehen und außerdem dem Bürgermeister ine Beihilfe gegeben, die ihm einen Teil seiner Last abnimmt. Auch bezüglich der Beratungen in den Sektionen sind wir der luffassung, daß es nicht praktisch ist, wenn in denselben nur der Bürgermeister den Vorsitz zu führen hat. Wir sagen uns, daß es besser wäre, wenn trotzdem im Beisein des Bürgermeisters, er ja mitbestimmend in die Beratungen eingreifen kann, der Sektionsobmann den Vorsitz inne hätte und die Referate auf die einzelnen Mitglieder der Sektion verteilt würden. Es würde jut sein, wenn jeder Herr Gemeinderat nach seinem besten Wissen und Gewissen und je nach seinen Fähigkeiten mitarbeitet und es soll erade dadurch jedem Herrn die Gelegenheit geboten sein, in den u arbeiten, für was er sich eignet und für was er besonders befähigt ist, was aber bei der heutigen Gepflogenheit, wo nur er Sektionsobmann das Referat zu führen hat, nicht so zum lusdruck kommen kann. Die Sektionen würden nach meinem Vorschlage besser arbeiten können als bisher Weiters möchte ich mir noch erlauben, bezüglich der Arbeitsvermittlung und der Wohnungsnot auf folgendes zu erweisen Die Gemeinde hat vor kurzem ein Arbeitsvermittlungsamt errichtet und damit einem Bedürfnisse abgeholfen. Zu beheben bleibt noch die Wohnungsnot. Die Wohnungsnot ist so arg, daß Leute in Wohnungen leben müssen, die einer menschlichen Behausung Hohn sprechen und als solche vom sanitären Stand¬ unkte aus als Wohnungen vollkommen ungeeignet sind. Wir nüssen deshalb wünschen, daß man sich mit einer großzügigen Wohnungspolitik befasse. Grundsätzlich wäre daher zu beantragen, daß schon in einer der nächsten Gemeinderatssitzungen beschlossen werde, die Wohnungsfürsorge dem Arbeitsvermittlungsamt an¬ zugliedern, wo die Anmeldung freier Wohnungen erfolgen soll. Schließlich will ich meinen schon im Vorjahre gelegentlich der Beratung des Voranschlages für das Jahr 1917 aus¬ gesprochenen Wunsch auf Anlegung einer kommunalen Bücherei rneuern. Eine solche Bücherei wäre geeignet, verschiedenen Herren, die nicht so viele Gelegenheit hatten, sich bisher mit ommunalen Angelegenheiten zu befassen, ein Nachschlagewerk zu sein. Die sonst im freien Handel bekömmlichen Bücher sind meist für den Einzelnkäufer sehr teuer und ist es nicht jeden nöglich und auch nicht jedermanns Sache, einige 100 K für etwas auszugeben, was er vielleicht nur kürzere oder längere Zeit braucht. Es möge daher eine für alle Herren des Gemeinde rates gleich zugängliche kommunale Bücherei angelegt werden. ndlich muß ich sagen, daß unsere bisherige Gemeinde verwaltung uns gewiß keinen Anlaß zu besonderer Begeisterung gegeben und man sich schlecht und recht durchgefrettet hat. Wir bünschen, daß in Zukunft etwas mehr geschieht, auch auf die Gefahr hin, daß einzelne unserer Einwohner sich vielleicht nicht damit einverstanden erklären, wenn die Gemeinde irgend etwas vielleicht in der Wohnungspolitik, unternimmt, sagen wir in Grundkäufen zur Wohnungsfürsorge, gegen welche von Einzelnen aus persönlichen Rücksichten Stellung genommen werden wird Ich wiederhole, wenn es zum Wohle der Allgemeinheit geschieht, nuß der Gemeinderat über die Interessen gewisser separater Gruppen hinweggehen. Einen Abänderungsantrag der in den

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